Gott ! wie lange sollte sie noch gehen, mit dem armen, frierenden Kinde an dem kalten Winterabend! Und wenn sie weiter gegangen, wenn sie die müden Glieder ausgeruht, was sollte dann, was sollte morgen geschehen?
,, Kannst du denn so ruhig und mitleidlos vom Himmel hernieberblicken auf mich unglückliches Weib, du Vater da droben?" Er schien es zu können, es geschah nichts. Nicht einmal einer von den Sternen, die hoch oben leise ihre Bahn wandelten, funkelte heller, daß es sie trösten könnte. Es geschah nichts.- Die Lichter blinkten in den Häusern zur Seite, Wagen sausten vorbei, die Menschen eilten rastlos an ihr vorüber....
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Jetzt fühlt sie, wie ihr Kind die kleinen Händchen regt, und die unglückliche Mutter weint. Da ist die Straße zu Ende. Sie fragt wieder und kann ihre Thränen nicht unterdrücken. ,, Da müssen Sie hier rechts abgehen, sich dann in die nächste Querstraße links wenden und dann wieder fragen!"
Wieder fragen.... Diese Worte schnitten dem armen Weibe durch's tiefste Herz. Sie schluchzt lauter, und wie das geschieht, sammelt sich bald eine Anzahl Menschen um sie herum. Da steckt Einer neugierig den Kopf herein; da noch Einer, und da noch Einer.
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Aber es ist ja nur eine arme, zerlumpte Frau, solche kann man noch genug sehen, und Alle eilen weiter. Die Unglückliche auch, und sie weint immer fort.. ,, Schluchzte es nicht eben hier?" denkt ein junger Mann, der schon an dem Weibe hastigen Schrittes vorbeigeeilt war.
Ja, da weint Jemand, und ein Kind sieht er in dem Arme dieser Frau, nachdem er sich umgewendet und wieder zurückgegangen. In ein bleiches, kummerverkündendes Gesicht schaut er und ein Paar thränenfeuchte Augen trifft sein Blick.
,, Wohin wollen Sie?" fragt er die Dahinkeuchende.
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Vier Tage war es nun schon her, daß sie in dem Asyl für obdachlose Frauen eingekehrt. Jeden Morgen hatte sie ihre Wanderung durch die Straßen der Hauptstadt angetreten, hatte hier die Klingel gezogen und da, um eine Stellung zu finden, die ihr Obdach und Nahrung brächten. Aber die vor der Thür stand in dem zerlumpten Gewande, mit dem blassen Kinde im Arm, die konnte ja mur ein lüderliches Frauenzimmer sein, eine Landstreicherin, eine Diebin vielleicht.-
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D, sie hatte nur zu sehr das Richtige geahnt: überall be- überall schlug gegnete sie denselben mißtrauischen Blicken, man die Thür vor ihr zu.
Und auch dort, in dem sogenannten Asyl, sah man sie mit seltsamen Mienen an, und mürrische Worte mußte sie hören. Vielleicht hätte man sie bereits über die Schwelle zurückgewiesen, wenn nicht der kleine Knabe, der bei ihr war, einiges Mitleid erregt.
Wie weh that es ihr, daß die Menschen ihr so entgegenkamen! Denn sie trug, auch wenn sie ein armes, hülfloses Weib war, ein stolzes Herz im Busen, und ein reineres, edleres, als es Mancher in der Brust schlägt, die in Sammet und Seide einherschreitet....
Heute war sie nun wieder den ganzen Tag gegangen, und überall wieder hatte man sie kaum ein Wort reden lassen, bevor die Thür in das Schloß zurückfiel.
Die Gaslaternen brennen schon lange, und es mag bereits recht spät sein. Wie weit mochte sie sich wieder von der Stätte befinden, wo sie in den vergangenen Nächten ihr Haupt zum Schlummer hingelegt! Nein, nicht zum Schlummer: zum Grübeln und Brüten, zum Sorgen und Weinen....
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Und ein eiskalter Schauer durchrieselte ihre Glieder, wenn sie jetzt daran dachte, daß sie an diese Stätte zurückkehren müsse,
,, Ach, liebster, guter Herr! Wenn Sie mir den Weg zeigen wenn sie anders für sich und den kleinen zur Nacht eine Herkönnten nach der Bartelstraße?"
,, Und was wollen Sie dort?"
,, Ich will in die Anstalt für obdachlose Frauen."
,, Aber, sind Sie denn fremd hier?"
berge verlange. Mit welchen verachtungsvollen Blicken würde man sie wieder empfangen, die Lüderliche,-die Landstreicherin! D, wie sehr es schmerzte, tief drinnen im Herzen! Da war sie auf einer Brücke angelangt. Dort stand ein
,, Nein, ich wohne schon lange in Berlin , aber ich kenne mich dunkles, langgestrecktes Haus. Kaum einige Lichter schimmierten nicht aus."
,, Und dieses Kind? Haben Sie denn keinen Mann?"
Die letzten Worte begleitete der Fragende mit einem scharfen prüfenden Blick, und die Arme schauerte wieder zusammen. Sagte ihr doch dieser Blick, was die Menschen noch oft voll Mißtrauen von ihr denken würden!
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,, Ach, mein Mann ist vor einigen Tagen gestorben, und wo ich hinkomme mit meinem Kinde, da wollen sie nichts von mir wissen!" lautete ihre Antwort, und nun war ihm die ganze, schreckliche Lage der Unglücklichen klar,- ihm, den jäher Schmerz durchzuckte und der schweigend neben ihr weiter schritt...
Jetzt kamen sie an einem Friedhof vorbei, die Frau weint und schluchzt noch immer. Den ganzen Tag habe sie noch nichts gegessen, habe sie ihrem Kinde noch keine Nahrung reichen können, seufzt sie und:„ Wenn wir nur beide sterben thäten!" spricht ihr bleicher Mund.
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durch die Fenster; recht still schien es drinnen zu sein. Und auch in der Straße daneben herrschte tiefe Ruhe; nur manchmal hallte. ein Schnitt herüber.
Hetzt lenkt Jemand der Brücke zu, vom Kopfe...
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der Hut fliegt ihm
Hu! wie der Wind pfeift und den Schnee vom Boden emporwirbelt!
Der Kleine zittert wieder und schmiegt sich weinend dichter an die Brust der Mutter. Diese lehnt am Geländer und hat die Augen halb geschlossen; freilich, das Wandern durch die belebten Straßen, wo man sich mühsam durch die Menge drängen muß, es strengt an und macht müde. Und sie war todtmüde.... Das Eis knarrt drunten im Strome und die übervoll mit Torf beladenen Kähne heben sich in dunklen Umrissen von der glatten, weißen Fläche ab. Da sieht man auch noch das Wasser blinken, -die Kähne haben hier die harte Decke durchbrochen.
Der Schnee fliegt in dichten Flocken herab, und das dünne, zerrissene Kopftuch ist schon ganz durchnäßt.... Wieder ein kalter, schneidender Windzug, daß unten einige Torfftücke mit Gepolter herabfallen. Sie zittert an allen Gliedern.
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D, Sie dürfen nicht so denken!" sucht ihr der neben ihr Wandelnde, sich selbst zwingend, Trost zuzusprechen.„ Vertrauen Sie auf", wollte er eben noch hinzusetzen; aber er brachte die Worte nicht über die Lippen, eine Sünde fast schienen sie ihm dieser Hülflosen gegenüber. Sie möchte wohl heimgehen, der Kleine weint ja immer Wilder Zorn glüht in seinem Herzen und hämmert an den noch und friert auch.... Aber das Haus dort und die finsteren Schläfen: Menschen, und ihre Blicke, und ihre Worte. Und morgen, Armes, armes Kind, hülle nur morgen wieder. deine Händchen ein! Wie man dort ruhig die Wasser Ist es nicht, als habe unter der Eiskruste hervorgleiten sieht!
Hier!" ruft er einem trübsinnig an seinem Wagen lehnenden Droschkenkutscher zu, indem er ihm ein Geldstück in die Hand drückt; hier, fahren Sie diese Frau nach der Bartelstraße, in das Asyl für obdachlose Frauen!"
Und heller strahlte es in dem Blut der Armen. Sie wollte in höchster Rührung seine Hand ergreifen, doch der junge Mann war schon davongeeilt.
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Ach, hätte er selbst nicht so sehr für sich zu sorgen gehabt, er hätte ihr gern seine Geldbörse in die Hand gedrückt....
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man da geöffnet, damit ein armes Weib sich hineinlegen könne, Ja, er, der treue Mann, er mag wohl tief, tief hinein? schon lange schlafen, und süß, gar süß! Sie beugt sich weiter hinüber, losgelöst und flattert um's Haupt;
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einer ihrer Zöpfe hat sich das Geländer fnarrt,
die Wasser blinken und blinken heller, und der Mond, welcher aus den grauen Wolken droben hervortritt, er wirft eben einen