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Rinaldowsky.

Eine moderne Räubergeschichte von A. Otto Walster.

Die schöne Erde, auf welcher wir, wenns hoch kommit, achtzig Jahre zu leben haben, wird von mancherlei Ungeziefer bewohnt, und auf demselben Boden, auf dem die duftige Mairose erglüht, nährt sich auch die Giftpflanze. Wer aber wollte entscheiden, ob die Giftpflanze so schlimm geartet, weil ihr die Rose alle edlen Stoffe entzogen, oder ob die Rose so schön deshalb, weil das Giftkraut alle schlimmen Stoffe in ihrer Nähe absorbirt?

Der Mensch schafft Ordnung in der organischen und un­organischen Welt, er bildet und pflegt, schützt und bereitet vor, er reißt das Unkraut aus dem Garten, um den Nutz- und Zier­pflanzen Luft, Licht und Raum zu schaffen; er vernichtet das Ungeziefer und allerlei Raubthiere, aber in seinen Gesellschafts­einrichtungen ist er über die rohesten Anfänge einer Ordnung trotz aller Kultur nicht hinausgekommen. Nur wer ganz plump und roh an den gesetzlichen Schranken und Zäunen rüttelt, ver­fällt dem Gesetz, und es sind gerade diese Unholde oft ganz gut organisirte Naturen, denen nur die Pflege fehlte, welche an andere überreichlich verschwendet wurde. Wie viel Verbrechen werden aber begangen, für welche es keine Strafe gibt, obwohl sie nicht selten scheußlicher sind als solche, welche man bestraft! Im All­gemeinen muß man doch annehmen, daß die Vernichtung der Existenz eines ehrlichen Menschen mit zu den größten Verbrechen zählen muß, trotzdem gibt es eine Unzahl von Handlungen und Verfahrungsweisen, welche solche Vernichtungen im Gefolge haben, aber weder bestraft werden noch allgemeine Verachtung nach sich ziehen. Rinaldowsky hat zwar niemals nach einem Ehrenamte gestrebt, aber es unterliegt keinem Zweifel, daß er je nach seinen Fähigkeiten und weit über deren Werth hinaus bei einiger An­strengung dergleichen Ehren " ämter in Hülle und Fülle erlangt hätte, wie so mancher Andere, der sich später als Betrüger und Schurke gänzlich entpuppte. Und was thut dieser Mensch? Er arbeitet unter dem Schuß und mit Zuhülfenahme der Gesetze und ihrer bestellten Organe an der Ausbeutung seiner Mitmenschen bis zu deren gänzlicher Ruinirung, und Niemand steht auf und sagt: Hier ist Schurkerei," weil wegen dieses Wortes jedes Gericht ihn verurtheilen würde. Wahrlich, es ist hohe Zeit, daß die Völker anfangen, einander durch vernünftige Einrichtungen in ihrem Innern zu befreien.

Wir sinden das neueste Opfer des Herrn Rinaldowsky wenige Tage später in derjenigen Stimmung, welche Shakspeare in dem unsterblichen Monologe Hamlet's , beginnend mit den Worten: ,, Sein oder nicht sein?" so meisterhaft geschildert. Wie ihm von vertrauten Freunden mitgetheilt worden, hat er infolge des Rache­afts jenes Menschen für die nächsten Tage eine Vorladung vor das Militärgericht zu erwarten, und das Ergebniß der Untersuchung ist zweifellos: Cassation, Verlust der Stellung, der Existenz, der Ehre!

Ueber dem Schreibtisch hängt der Revolver, auf dem Tische liegt Etwas, was ihm mehr Schmerz und Seelenangst bereitet hat, als ihm das Mordwerkzeug bereiten kann, schriftlicher Abschied von einer in ihren Kindern nur lebenden Mutter, von einem ernst und rechtlich denkenden, treu sorgenden Vater, und von innig theilnehmenden Geschwistern.

Diese Qual ist überstanden, die letzte ist die schrecklichste. Kopf, Hand und Herz sträuben sich, ihren Dienst für einen solchen Abschied zu thun. Denn wenn er die Worte geschrieben: Meine herzige Jessy," dann tritt die liebliche Gestalt deutlich vor seine Augen, ihr goldenes Haar glänzt in warmen Sonnenwellen, die schönen Augen fenken sich tief in die seinigen und tauchen hin­unter bis an sein Herz. Und die füßen Klänge ihrer Stimme klingen vernehmlich und sagen: Was Sie auch zu ertragen haben, was Ihnen auch zustoßen mag, denken Sie nicht blos an sich, sondern vor Allem an die Nothwendigkeit, daß Sie sich mir er­halten; ich müßte sterben, wenn Sie von mir gingen!" Himm­lische Worte, heilige Worte, wenn es etwas Heiliges anf Erden gibt, sind die, welche aus einem begeisterten Herzen rein und

VII.

unberechnet hervorströmen. Ihre Macht ist eine zauberhafte. Wie oft ein einziger Sonnenstrahl den Grau in Grau gezeichneten Himmel mit wunderbar schönen Farbentönen erstrahlen läßt, so läßt ein schöner Gedanke, eine leuchtende Idee, ein gutes Wort im Geistesleben der Völker wie in dem der Einzelwesen neues Leben, schöneres Streben entstehen.

Und auch in unseres unglücklichen Helden Seele leuchtete es mit einem Male, Nebel zerstreuend.

,, Wie?" rief er, das Papier wegwerfend ,,, eine Geldeintreibe­maschine, wie jener Rinaldowsky, sollte in meinem Geiste obsiegen über die mahnenden Bitten meines Engels? Ich kann auch leben ohne Uniform, ich habe Etwas gelernt. Die Meinen schätzen den Menschen höher als das Kleid, und sie, wenn sie das Kleid mehr liebte, nun, dieses Kleid kann sie vielfach wieder­finden, der Schneider macht davon so viel, als ihm bezahlt wird. Für mich freilich fällt mit der Kleidung auch die Stellung, aber noch bin ich jung."

Schnell hatte er die Briefe an die Seinen zerrissen und einen anderen an deren Stelle vollendet. Nun schrieb er an das Mini­sterium kurz und bündig. Er wußte, daß da andere Begriffe von Ehre herrschten, als vor dem Forum der unbefangenen, reinen Vernunft, aber er vertheidigte sich in seinem Schreiben, als hätten beide Anschauungen da zu urtheilen.

Und nun schrieb er an die Geliebte:

,, Theuerste Jessy!

Das Verhängniß, welches Ihr besorgtes Herz ahnte, ist hereingebrochen und konnte trotz Ihres freundlichen Opfers nicht abgewehrt werden. Der Offizier ist zu Grunde gegangen, aber der Mensch steht heute noch ehrenhaft und unbeschmutzt da, es handelt sich für ihn nur um ein neues Ringen im Kampf ums Dasein und dabei um eine zeitweilige Tren­nung. Ein Wort der Aufmunterung, von Ihren lieben Lippen gesprochen, würde mich mit neuer freudiger Kraft erfüllen zu neuen Thaten und zu neuem Leben. Doch wie es auch kommen mag, treu bis zum Tod bleib' ich, so lang Sie wollen

Ihr

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Und an den Vater der Geliebten schrieb er die Worte: ,, Herr Obrist!

Franz."

Lange bevor ich in einer glücklichen Stunde Fräulein Jessy kennen lernte, nöthigte mich die finanzielle Bedrängniß eines theuren Freundes, bei dem es sich um Ehre und Leben, fast wie bei mir infolge dessen, handelte, Verpflichtungen einzugehen und mit einem Ehrenschein zu decken, den ich nun zwar ein­gelöst, aber nicht so früh, daß ich dem Wucherer die Möglich­feit abschnitt, meine Familie und mich mit hämischen, ehren­rührigen Ausdrücken zu verletzen, deren Zurückweisung den rachsüchtigen Mann veranlaßte, mich bei meiner Behörde zu denunziren. Um den Schritten, die darauf folgen dürften, zuvorzukommen, habe ich mein Entlassungsgesuch eingereicht und will sehen, was ich sonst Nützliches auf Erden schaffen kann, da ich mich bemüht habe, etwas mehr zu lernen, als ein Offizier unumgänglich zu seinem Berufe bedarf. Da ist nun eine Trennung geboten, die mir um so schmerzlicher, als ich nicht weiß, wie lange sie dauern muß.

Sie könnten vielleicht denken, daß ich mich bemühe, mit beschönigenden Worten Schlimmeres zu verhüllen, deshalb nenne ich Ihnen den Namen des Mannes, der Schuld trägt an dieser meiner Lebenswendung. Er heißt Rinaldowsky. Die Stadt fennt ihn, ich lernte ihn zu spät kennen. Mein Reiseziel wird ein weites sein. Mich zieht's nach dem jugendstarken Lande, dessen würdiger Bürger Sie sind, da wird man einen gründlich unterrichteten Ingenieur vielleicht besser brauchen können, und da darf ich vielleicht hoffen, Ihnen früher wieder unter die Augen treten zu dürfen. Inzwischen nehmen Sie herzlichsten Dank für Ihre Nachsicht und stets freundliche Aufnahme."