eintreffen wird", entgegnete der Postmeister ,,, und wie die Sachen einmal stehen, ist es mir recht lieb; denn, wissen Sie, von allen Pferden, welche seit heute Nacht mit Extraposten nach B... abgegangen sind, ist noch keines zurückgekehrt. Meine Ställe sind leer und in der ganzen Stadt ist kein Pferd mehr aufzutreiben. Was jetzt ankäme, Post oder Extrapost, würde wahrscheinlich lange warten müssen."
,, Nun, der Gastwirth P.... hat ja noch vier schöne starke Pferde im Stalle, die Puppen möchte ich wohl einmal vor der Post sehen."
Das Vergnügen werden Sie schwerlich erleben und zwar aus zwei gewichtigen Gründen."
,, Nun, ich wüßte doch keine Gründe, die im Wege sein könnten, wenn die Pferde amtlich requirirt würden?"
,, Das will ich Ihnen gleich sagen. Erstens, weil ich den P.... nicht bitten mag, und zweitens, weil eine Requisition wieder deshalb nichts helfen würde, weil der P.... mit dem Bürgermeister auf besserem Fuße steht als ich."
Freundschaft kann doch nicht entscheiden, wo das Gesetz fordert? Ich wollte dem Bürgermeister schon einheizen, daß er seine Schuldigkeit thun müßte."
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,, Sie kennen das noch nicht! Diese letzten vier Pferde müssen zum Sprißendienst reservirt werden."
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„ Ja, so!- Aber warum wollen Sie denn die Pferde nicht auf freundlichem Wege für die Post disponibel machen?"
,, Weil ich seit dem letzten Maskenball im vorigen Jahre mit dem brutalen Menschen nicht mehr sprechen, viel weniger ihn um etwas bitten mag!"
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,, Ah, jetzt erinnere ich mich und muß noch lachen. Erst kam er als Schneider zu Ihnen und nahm Ihnen vom Zeh bis zum Kopfe Maß, ließ aber wieder ab, weil er meinte: das Maß ist zu kurz, Du trägst die Nase zu hoch! Später fam er wieder als Schirrmeister und drängte sich mit den Worten zwischen Sie und Ihren Nachbar: Nücke zu, Postmeister, und mache Dich nicht so breit! Aber Sie müssen so einen unschuldigen Scherz vergessen, die Leute denken sonst, Sie hätten sich getroffen gefühlt."
Ich kann und mag es nicht vergessen und werde es nie vergessen!"
Der Postmeister war dabei von seinem Platze aufgestanden und an das nach der Straße führende Fenster getreten, um eine eben vorüberfahrende Extrapost zu mustern. Es war ein großer dichtverschlossener Reisewagen. Niemand im Innern desselben fand sich versucht, bei diesem Wetter eines der Fenster zu öffnen, selbst der Diener blieb, fest in seinen Mantel gehüüt, auf seinem am Hintertheile des Wagens angebrachten Sitze unbeweglich, die Ankunft des Wagenmeisters erwartend, um diesem Anweisung zur Fortsetzung der Reise zu ertheilen. Endlich erschien der Wagenmeister. ( Fortsegung folgt.)
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Asparin.
Die perifleische Zeit welcher Sturm erhebender und wehmüthiger Gefühle regt sich bei diesen Worten in der Seele Jedes, der die Geschichte kennt. Wir sind gewohnt, uns die Bewegung der geistigen Kapitale unseres Geschlechts als ein langjames, aber stetiges Wachsen zu denken eine Erinnerung, wie die genannte, mahnt uns daran, daß diese Vorstellung eine irrige ist. Höhepunkte werden erreicht und überschritten, es sieht zuweilen aus, als ob der arme Erdensohn sich in schaurige Labyrinthe verirrte, wo er unrettbar den lauernden Drachen der Nacht zur Beute werden müßte, vergessen ist dann, was er einst erkannt, erkämpft, genossen hatte, Geist und Körper scheinen zu degeneriren bis nach Jahrhunderten ein neuer Aufschwung eintritt, eine neue Höhe geahnt, ersehnt, erstrebt vielleicht nur vielleicht nur theilweise gewonnen, aber jedenfalls nicht dauernd behauptet wird; denn die Finsterniß fordert immer wieder ihr Recht, wenn sie auch noch so sehr in ihre Höhlen zurückgedrängt schien.
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Ein entmuthigendes Schauspiel! möchte man ausrufen. Und man hätte Grund zum Verzagen, wenn die Betrachtung der Wirklichkeit sich in der Wahrnehmung dieses allerdings nicht wegzuleugnenden Turnus von Vorschritt und Rückgang erschöpfte. Aber dem ist nicht so. Jeder Rückgang ist wenigstens immer ermöglicht, vielleicht immer herbeigeführt durch eine Einseitigkeit, eine krankhafte Unzulänglichkeit des vorher erreichten Glückszustandes. Durch und in dem Rückgange erlangt derjenige Trieb der menschlichen Natur, welcher vorher unbefriedigt geblieben und mehr oder minder erstickt war, Gelegenheit sich geltend zu machen. Zunächst thut er das in rächender zerstörender Weise gleich der Lava eines Kraters, die beim gewaltsamen Hervorbruch Aecker und Weiden in Einöden verwandelt. Aber wenn dieses zornige, berwüstende Befreierthum sein Amt gethan hat, dann erzeugt der nun zur Herrschaft gekommene Trieb aus seiner Natur die neue Kulturblüthe, welche keine Wiederholung der alten ist, sondern eine Ergänzung zu der alten, wie auf dem erkalteten Lavastrom zwar nicht das Brot und die Milch gedeihen, wie auf den verschütteten Auen der Vorzeit, wohl aber die edlen Feuerweine, welche jene Wiesen und Getreidefluren nie hervorgebracht hätten. Nur so kann sich die Vielseitigkeit der Natur, auch der menschlichen Natur, in ihrer ganzen Herrlichkeit offenbaren.
Sollten uns diese Erwägungen neu und fremd sein? Wer von uns erwartete nicht einen weltgeschichtlichen Ausbruch, der die Gärten öde machte, in denen der, freilich auch sehr menschliche Trieb der gewaltübenden Willfür König ist, und jene freien Haine hervorzauberte, in denen der Trieb des Gerechtseins heimisch sein wird?
Doch wenn die Geschichte uns nichts weiter zeigte, als diesen spielenden Tanz buntfarbigster Kulturphasen, so möchte immer noch Grund zum Verzagen und zum Verstimmtsein gefunden werden denn nach welchem Ziele treibt uns Kinder der Gegenwart der tiefste, unbesieglichste Herzenswunsch? Nach der Verwirklichung der vollen, ganzen, unverstümmelten Menschlichkeit. Es genügt uns ganz und gar nicht, Reaktion zu machen gegen die ökonomische, politische, religiöse, wissenschaftliche, ästhetische 2c. Lebensform der letzten Jahrhunderte, wir wollen den dunkeln Grund unsers eignen Innern hell beleuchten und all die keimhaft schlummernden Möglichkeiten eines neuen revolutionären Naturprotestes gegen das von uns erstrebte Kulturziel klar erkennen, um ihnen die drohende Feindseligkeit gründlichst zu benehmen, nicht dadurch, daß wir sie im zarten Zustande todtbrennen und also einen Mustermenschen nach unserm Geschmack zurechtschneidern, der dann nichts weiter zu thun hat, als sein holdes Ebenbild in möglichst vielen lebendigen Kopieen auf diesem Planeten herumwandeln zu lassen, so lange Mutter Tellus dies Geschlecht überhaupt noch auf breitem Rücken zu tragen belieben wird sondern dadurch, daß wir bei der Einrichtung des„ neuen Reichs" worunter wir natürlich nicht einen Zuwachs der bestehenden Staatengruppe meinen für jeden dieser Keime die Stelle zum Gedeihen und Ausleben schaffen, so daß die Ergänzung, welche jetzt sich als ein Nacheinander in der Geschichte darstellt, zum Nebeneinander in der Gesellschaft wird. Wohl wird sich eine solche „ Einrichtung" nicht bis zu irgend welchem denkbaren Termine endgiltig erledigen lassen aus dem einfachen Grunde nicht, weil nie ein Mensch wird behaupten können, daß er die ganze Natur seines Geschlechts überschaue( wer sich überzeugen will, zu welchen Albernheiten solche Schematisirungen der Menschennatur führen, bekümmere sich um die Träumereien Fourier's, von denen z. B. der Bracke'sche Volkskalender für 1875 einen hübschen
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