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Abriß gab), wohl aber läßt sich eine schmiegsame, gleichsam organische Gesellschaftsform denken( während wir bisher nur mit frystallinischen Gesellschaftsformen zu thun hatten wenn man ein etwas trübes Gleichniß in den Kauf nehmen will), eine Ge­sellschaftsform, die sich mit eigenen Kräften stets so umgestalten fann, wie es jedes neu auftauchende Bedürfniß fordert, die also die Revolution für alle Zukunft menschlichen Erlebens in Per­manenz erklärt und dabei in ihren Erscheinungsformen stets milder und schonender werden läßt. Ist erst der Kampf um eine solche soziale Neugestaltung zum Siege ausgeführt, dann hat jener historische Wechsel von Fluth und Ebbe der Kulturbestrebungen seine Schrecken verloren und sinkt mehr und mehr zu einem neckenden Spiele kleiner Wellen herab, deren jeder Beschauer eine ganze Reihe kommen und gehen sieht, wenn er sich eine Weile ruhig am Strande aufhält. Dann haben wir in immer stei gender Vollkommenheit die Verwirklichung des reinen Menschen thums eine absolute Vollkommenheit liegt freilich außerhalb der Schranke unserer Strebungen.

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Ob es so kommen wird? Wahrsagen kann nur ein Narr; das aber darf als sicher gelten, daß der spezifische Kulturtrieb unserer Zeit mit ganzer Kraft auf eine solche Gestaltung hin­drängt. Wer ein ächter Sohn des neunzehnten Jahrhunderts ist, dem genügt es eben ganz und gar nicht, ein Sohn des neun­zehnten Jahrhunderts zu sein, der will sich heimisch fühlen in allen Denkbarkeiten menschlichen Lebens rückwärts und vorwärts er will gerecht sein, das heißt ein Bürger unseres Zukunft­reiches. Die entseßliche Styllosigkeit modernen Lebens ist nur die natürliche Karrikatur dieser eigensten Werthart unseres heutigen Daseins. Daß die Karrikatur sich vordrängt, da die wahre Ge­stalt noch nicht auftreten kann wen wollte es wundern?

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Und das Mittel, sein eigenes Sein so zum Sein der Mensch­heit zu erweitern? Die kritische Wissenschaft, sowohl die auf­bauende wie die zerstörende, die Anthropologie, Menschenkunde und Menschheitskunde im weitesten Umfang, ebensowohl die natur­wissenschaftliche als die historische Disziplin dieses Namens eine Spaltung, die nicht bis ins Wesen der Sache einschneidet. Und das Versuchsfeld dieser Wissenschaft nach ihrer einen Seite hin, das sind eben die Denkmäler des Vergangenen. Glaube doch Niemand, sein Streben nach reiner, schöner Menschlichkeit habe einige Aussicht auf Erfolg, wenn er die Fünde auf diesem Felde ignorirt. Alles, was Menschen je gewollt, gedacht, ge­schwärmt haben, ist dumm und verkehrt stets nur in seinen in dividuellen Momenten; der bewegende, völkerbelebende Grund­strom ist stets ein Gutes, Wahres und Schönes, und berühre es uns auch in seiner überlieferten Form wie ein Mischmasch von

Ein norwegischer Hochzeitszug. Unser Bild zeigt einen von der Kirche Heimkehrenden Hochzeitszug norwegischer Bauern, der, wie üblich, bei einem der am Wege gelegenen Bauernhöfe angehalten, damit das junge Ehepaar für die ihnen zu Ehren von den Hofbewoh­nern abgegebenen Begrüßungsschüsse danken kann. Die Hofbesizer, Mann und Frau, bringen den Ankommenden als Willkommengruß Bier und Schnaps entgegen. Ist Bescheid gethan, so geht der Zug weiter, um bei jedem der am Wege liegenden Gehöfte aus demselben Grunde einzukehren und in gleicher Weise begrüßt zu werden. Von den Neu­vermählten zeichnet sich die junge Frau durch die Norwegen eigenthüm­liche, in einigen Gegenden des Lands überaus kleidsame Brauttracht aus. Der Kopfschmuck ist überall in Norwegen eine, mitunter ziemlich hohe, silberne und vergoldete Brautkrone, der sich eine Menge silber­vergoldeter Gehänge auf der Brust würdig anreihen. In einigen Land­strichen Norwegens , namentlich im Gebirgslande des Hardangerfield, gehört auch noch zur besonderen Ausschmückung der Braut ein purpur­farbenes Gewand, mit Gold gestickt oder mit goldenen Tressen besetzt. Der norwegische Dichter A. Munch beschreibt in einem hübschen Ge= dichte einen Hochzeitszug in Hardanger, der sich von dem auf unserm Bilde dargestellten nur dadurch unterscheidet, daß er sich über die Ge­wässer des Hardangerfjord( Hardangermeerbusens) nach dem Hochzeits­hause zurückbewegt. Wir lassen das Gedicht in der möglichst getreuen Uebertragung eines uns unbekannten Uebersezers hier folgen.

Es wehet die herrliche Sommerluft Ueber die Wasser des Hardangerfjord,

Wo hoch gen Himmel im bläulichen Duft

Die mächtigen Berge treten hervor.

Der Gletscher glänzt, es grünt Berg und Flur,

Im Festgewand erscheint die Natur-

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Unsinn und Abscheulichkeit. Grade wo wir geneigt sind, vornehm flug zu lächeln oder stolz entrüstet das Haupt zu schütteln, spielen wir stets selbst die Chinesenrolle, die dem oben angedeuteten Wesen des würdigen Sohnes dieser Zeit denkbarst scharf ent­gegengesetzt ist. Liebe und Ehrfurcht fordert jede erkennbare Regung warmen Lebens, die aus einem Stein oder einer Buch­rolle der Vorzeit zu uns redet, und mögen ihre Urheber so spanische" Namen führen wie Kurigalpu und Ptochhotep. Wird das verweigert, so rächt sich die verkannte Menschennatur durch theilweises geistiges Erblinden des Verkenners.

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Haben somit grade wir Vertreter der neuen Welt" das stärkste Interesse, die Kulturhöhen der Vergangenheit zu verstehen, - denn uns gehören ihre Schäße, an denen der bloße Fach­gelehrte herumklaubt, wie der Sklave am Diamanten, den er für seinen Herrn aus dem Flußties hervorwühlt, so dürften grade wir mit großer Freude ein Buch begrüßen, in dem Robert Hamerling , der Dichter des Königs von Sion", es unter­nimmt, den schönsten und größten Lichtmoment in der ganzen Vergangenheit unseres Geschlechts, das Athen der vollendeten, noch nicht ausgearteten Demokratie uns lebendig nahe zu bringen. Um so größer muß diese Freude werden, wenn wir sehen, daß Hamerling grade die Betrachtungsweise, von der wir oben aus­gehen mußten, um die Bedeutung historischer Erkenntniß für uns speziell zu verstehen, bei der Disposition seines Stoffes geübt hat. Er sucht das eigenartig Herrliche jener Zeit zu würdigen und zu preisen, aber zugleich seine Einseitigkeit aufzuspüren und uns verständlich zu machen, wie jener Glanzmoment in Folge dieser Einseitigkeit so schnell vorübergehen mußte. Die Handlung des Romans soll eine anschauliche Eremplifizirung dieses Vor­gangs sein und zwar an zwei so hervorragenden Persönlichkeiten, daß der Selbstvollzug dieser inneren Nemesis an ihnen auf die Hervorbringung des gleichen Vorgangs im Allgemeinen bestim= mend, fördernd wirkt. Sehr richtig ist dabei die Aufgabe des kulturgeschichtlichen Romans aufgefaßt. Der Autor sagt treffend in der Vorrede: Immer hat[ der] Parallelismus von Einzel­und Völkergeschick, von individuellem und allgemeinem Leben mir als das Kunstgeheimniß der epischen Dichtung, als ihr oberstes Prinzip, als ihr eigenstes Schema vorgeschwebt. Nicht so jedoch, daß das Detail des erzählten Einzellebens und das des allge meinen eben nur neben einander herlaufen, eines gleichsam die Episode des andern, sondern daß beide so viel als möglich an einem und demselben Detail sich abspinnen, daß sie soviel als möglich einem organischen Gebilde gleich, lebendig ineinander verwoben und verschlungen sind."

( Schluß folgt.)

Denn sieh! über hellgrüne Wogen

Kommt heimwärts ein Brautzug gezogen. Gleich einer Königstochter, hoch und hehr, Mit Goldkrone und Scharlach angethan, Zieht im Steven die prächtige Braut einher Durch die vom Sonnenglanz erhellte Bahn. Glückselig schwingt der Gatte den Hut Jezt führt er heim das theu'rste Gut, Und in den milden Augen er sieht, Wie sein Leben sonnig vorüberzieht.

Schon erschallt der lockenden Töne Fall Von Tanz und Gesang über die Wogen; Von Fels zu Fels rollet der Büchsen Knall, Und Freudenruf kommt vom Wald gezogen. Mit den Brautjungfern man Scherze treibt, Und der Küchenmeister, wohlbeleibt, Füllt stets aufs neue die Becher, Zu des Brautpaars Ehr', für die Zecher. So ziehen sie hin mit heiterem Spiel, Hinüber zu den erneuten Festen,

Bis Boot auf Boot erreicht das nahe Ziel Mit frohen hochzeitlichen Gästen.

Der Gletscher glänzt, es dunkelt die Kluft, Es duftet balsamisch die Abendluft­

Am andern Ufer die Kirche steht,

Der Segen vom Thurme herüber weht.

Xz.

Verantwortlicher Redakteur: W. Liebknecht in Leipzig. -Druck und Berlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig .