streit seine Hand gegen Jemand erhoben, und ich wollte, er hätte mir das Geschäft überlassen; ich hätte es ebenso gut verrichtet und er sich die Hände rein erhalten. Wenige Tage nachher wurde Legros von einem Bombensplitter getroffen. Josua , der davon hörte, empfand keinen Groll mehr und nahm sich des Schwerverwundeten so liebreich und sorgsam an, daß er ihm das Leben rettete.

Keiner arbeitete in dieser Zeit angestrengter, als Josua . Um im Dienste der Menschheit zu arbeiten, dazu war er ja nach Paris gekommen. Von Morgens früh bis Abends spät war er bei den Armen und Hungernden, den Verwundeten und Ent­muthigten, half Allen, die Hülfe brauchten, so gut er konnte,- sanft wie eine Frau, treu und fest wie ein Held. Was die Com­mune ihm sonst auftrug, das that er, sie hatte keinen zuverlässigeren Diener. Auch am Kampf betheiligte er sich, und seine Kame­raden sagten von ihm, im dichtesten Kugelregen habe er keine Miene verzogen. Niemals tam ihm ein selbstischer Gedanke, der ihn schwächte oder ablenkte. Oft ging er mehrere Nächte hinter­einander nicht zu Bett; er schien die Stärke von zehn Männern zu haben und durch eine beinahe übernatürliche Kraft aufrecht er­halten zu werden. Denn der Hunger, welcher die Stadt ver­wüstete, berührte auch Josua mit nicht leichter Hand. Von Tag zu Tag wurde er bleicher und magerer, seine strahlenden Augen, die immer nach Etwas blickten, das weiter entfernt war, als unsere Augen reichten, traten zurück in die Höhlen, seine Wangen wurden eingefallen und bleich, seine Lippen bläulich und trocken. Allein niemals klagte er, niemals dachte er an sich selbst, und wenn er zwölf oder vierundzwanzig Stunden ohne Nahrung gewesen, theilte er seine dürftige Nation noch mit dem ersten besten Vorüber­gehenden, der hungrig aussah. Auch Mary litt durch den Mangel und die Entbehrungen, die uns Allen auferlegt waren. Wir thaten für sie, was wir konnten. Wenn mein Leben das seine oder das ihrige hätte erhalten können, ich würde es gern hin­gegeben haben, so gern wie meine harte Kruste Brot. Aber sie hielten sich tapfer, sie beide. Mary half gleichfalls bei der Pflege der Kranken und Verwundeten. Sie wurde als Schwester" in die englischen Ambulancen( Feldspitäler) aufgenommen und wenn nöthig, durch Dolmetscher unterstützt; selbst in der schlimmsten Zeit war ihr freundliches, sonniges Gesicht den Kranken und Sterbenden, wenn sie sich sanft über ihr Bett beugte, ein Trost, eine Erquidung. Und hier muß ich erwähnen, wie vollständig in den letzten Jahren alle Spuren ihres früheren Lebens ver­wischt waren, durch Liebe gereinigt, das ist der richtige Ausdruck. Es ist dies keine Einbildung von mir. Jeder, der Josua und Mary Prinsep gekannt hat, wird es bezeugen.

Der Tag der unvermeidlichen Katastrophe rückte näher und näher. Paris war dem Verderben geweiht, keine Rettung mehr zu erwarten. Die Versailler waren zu übermächtig, und die Hoffnung auf ein freies Europa war für dieses Mal vereitelt; nur für dieses Mal. Denn so gewiß auf die Nacht der Tag folgt, so gewiß wird das Gesetz der Menschenrechte auf die Tyrannei und Unterdrückung folgen, die bis jetzt in der Welt geherrscht haben, und die heilige Fahne des Menschenthums, roth gefärbt vom Blut der Commune, wird siegreich wehen auf den Trümmern der alten Gesellschaft. Aber vorläufig vae victis! Wehe den Besiegten! Wehe dieser armen, elenden, geknechteten Welt!

Der General- Vicar( Stellvertreter des Erzbischofs) war nach Versailles gegangen, jedoch nicht zurückgekehrt, und das, wenn ich nicht irre, nun zum dritten Mal gemachte Anerbieten, den Erz­bischof Darboy und die übrigen Geiseln gegen den einen Blanqui auszuwechseln, war keiner Antwort gewürdigt worden. Wie oft muß die Wahrheit erzählt werden? Und werden Die­jenigen, deren einziges Streben es ist, ob mit Recht oder Unrecht, die Schmach der Blutschuld auf die Commune zu wälzen, jemals zugestehen, daß der wirkliche Mörder des Erzbischofs Darboy und der anderen Geiseln Herr Thiers war? Thiers wußte, was kommen würde, was kommen mußte, ebenso gut wie ein Mann weiß, was werden wird, wenn er ein bren­nendes Zündholz auf ein Pulverfaß wirft. Er wußte, daß, wenn

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es nicht zu einer Verständigung mit der Commune kam, die Geiseln unrettbar geopfert würden. Zur wildesten Leidenschaft entflammt, wie Paris war, umgeben von Feinden, die es wie ein wildes Thier behandelten und zu seiner Vernichtung selbst dem gemein­samen Feinde die Hand reichten, seine edelsten Männer als un­menschliche Bestien ausgeschrien, die Stunde der Demüthigung und des blutigen Todeskampfs nahe, da konnte von falter Ueberlegung der Folgen, von ruhigem Hinnehmen der Niederlage nicht die Rede sein. Das Blut der Menschen war in fieber­hafter Wallung; die Wirkung wurde vorausgesehen, berechnet und ins Spiel gezogen. Es war ein hoher Einsatz, aber die Com­mune in den Roth reißen und ihr den unauslöschlichen Schand­fleck der Blutschuld anhängen, das war selbst das Leben eines Erzbischofs und einiger sechzig Anderer werth.

Wir waren während der Zeit der Hinrichtung im Gefängniß. Es ist unmöglich, genau zu beschreiben, wie Alles kam. Niemand hat es bisher vermocht, Niemand wird es in Zukunft vermögen. Alles war Verwirrung. Niemand wußte bestimmt, was gethan werden sollte, und von wem; und Niemand besaß eine allgemein aner­fannte Autorität. Die Führer der Commune fochten einzeln auf den Barrikaden, und alle Oberleitung hatte ein Ende. Der Tumult und die Verwirrung in dem Gefängniß spotteten jeder Beschreibung. Leute kamen und gingen, Befehle wurden gegeben und wieder zurückgenommen, Frauen schrieen, einige nach Blut, andere um Erbarmen, Gamins( Straßenjungen) johlten, und durch Alles hindurch, Alles übertönend, hörte man den Donner der Kanonen und das Pfeifen der Bomben, während der Rauch und die Flammen von Paris zum Himmel emporstiegen.

Josua schwang sich auf einen Kanonenlauf und bat um das Leben der Unglücklichen. Die Aufgabe der Commune", sagte er ,,, war, die Befreiung der arbeitenden Klassen zu erwirken, und der Welt die sittliche Kraft der Arbeiter und ihre Fähigkeit zur Selbstregierung zu zeigen. Das Hinschlachten unbewaffneter Menschen würde das Gegentheil beweisen. Es würde nur unsern Feinden eine Handhabe liefern, denn es wäre eine Niederträchtig­keit, der Arbeiter unwürdig- ein Aft, weder menschlich noch edel, weder gerecht noch großmüthig. Wie sehr auch immer die Versailler Regierung sich vergangen hat, Unschuldige dürfen darunter nicht leiden. Laßt die Commune sich in diesem Augen­blick der Prüfung erhaben zeigen durch Tugend, und haltet unfre heilige Sache rein von Blutschuld!"

Während er sprach, zog Legros seinen Revolver aus dem Gürtel.

,, Tod dem englischen Verräther!" brüllte er. Tod dem Werk­zeug der Pfaffen! Er glaubt an Jesus Christus !"

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,, Christus wir können keinen Christen hier brauchen! Tod dem Verräther!" schrie Einer, schrie ein Zweiter aus dem Haufen. In Todesangst um den Mann, den ich auf Erden am meisten liebte, und dessen Leben jetzt an einem dünnen Faden hing, sprang ich vor und deckte Josua's Leib mit meinem eignen, als ein hoch­gewachsener Mann er war einer der Unseren, da er aber jetzt auf einem Bureau der Regierung beschäftigt ist, will ich ihn nicht nennen ruhig den Revolver aus Legros' Hand schlug. ,, Spar' deine Kugeln für die Feinde auf! Verbrauche sie nicht gegen die Freunde!" sagte er. Dieser Mann ist keine Geisel."

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Dann flüsterte er eilig, sich seitwärts zu Josua wendend: Fliehen Sie, so lange es noch geht, ich werde Ihnen zum Rückzug behülflich sein und die Aufmerksamkeit der Wüthenden ablenken."

" Oh, hätte ich die Stimme eines Propheten, daß ich sie Weisheit lehren könnte!" rief Josua .

" Dummes Zeug, Freund," sagte unser Beschützer mit ver­ächtlichem Lächeln. Die beste Weisheit besteht jetzt darin, daß Sie Ihr Leben retten und nicht den albernen Versuch machen, andere Leute zu belehren."

Hinaus mit euch, ihr Spione, Verräther, Pfaffenknechte! Wir können keine Anhänger der Versailler Banditen hier dulden!" schrie ein aufgeregter, halb toll aussehender Mann ganz nahe bei uns. Hinaus mit ihnen, Bürger!"