Staatsinteressen, Demagogenriecherei und andere hochwichtige Arbeiten traten in den Vordergrund. Das zur Unterstützung der Hungernden im Auftrage des Staats angekaufte Mehl verbrauchte das Militär, in Breslau   erstanden prächtige Kasernen, und die Industriebevölkerung hungerte und darbte wieder wie vorher.

Auf den Thron Preußens ist Friedrich Wilhelm IV.   gestiegen; er träumte den Herrschaftstraum jedes neuen Monarchen. Was in der Tiefe des Volks vorgeht, das sieht er nicht und begreift er nicht. Für das Winseln der Verzweifelnden, das nur abge schwächt an sein Ohr tritt, hat er nach Väterweise nur Almosen, Tropfen, die auf einen glühendheißen Stein fallen und spurlos verschwinden.

Zu schrecklicher Höhe ist das Elend entwickelt; gewerbthätige Dörfer sterben aus, und ein Geschlecht von Krippeln wächst heran. Grauenhaftes nur fann die Zukunft bringen.

Auf einem der Abhänge des Gebirges thront das Schloß Falkenberg, ein düsterer mittelalterlicher Bau mit hohen Mauern und stolzen Thürmen, die weit hinaus ins Land blicken. Dunkle Nadelholzwälder steigen aus den Thälern zu seinen Füßen fast bis zu den Mauern empor und heben das Schloß scharf ab von dem im Hintergrunde emporstrebenden kahlen Hauptgebirge.

Es ist kein freundlicher Eindruck, den das Schloß auf den Wanderer macht. Der finstere Charakter, den der alte Ban trägt, läßt ihn mit harten, selbstsüchtigen Menschen bevölkern und un­willkürlich tritt die alte Zeit des Raubritterthums mit ihren Schrecken und ihrer Barbarei in die Erinnerung. Schreiend ist der Gegensatz, den es zu dem grauenhaften Verfall und der Armuth bildet, die es umgeben. Ein greller Mißton in einem tief ergreifenden Bilde ist es, und wie eine Verhöhnung des bittern Elends erscheint es, das in den armseligen Dörfern wohnt. Derartiger Herrensize gibt es gar viele im Lande, und ihren stolzen Bewohnern ist das Landvolk fast ausnahmslos zins und dienstpflichtig, ihnen muß die Armuth für die papierne Freiheit, deren sie sich erfreut, einen schrecklichen Zoll entrichten.

Etwa eine halbe Stunde von Schloß Falkenberg entfernt, liegt, aus einem Thale   aufsteigend, das Dorf Waldau. Es zieht sich über eine Viertelstunde lang an einem Bache hin, der im Augenblicke versiegt ist. Im Thale   liegen die Häuser dichter zusammen, im oberen Theile sind sie dünner gefät, sie lehnen sich an die Berge oder kleben Schwalbennestern gleich an den Gipfeln. Es ist arm und elend, wie die anderen Dörfer im Lande, doch ist die Noth auf den Höhen größer als im Thale  , wo sich noch hie und da die Spuren von Ackerbau zeigen.

Im Osten steigt der junge Tag empor und erleuchtet die Spitzen der Berge. Ueberall beginnt das Leben zu erwachen und auch im Dorfe regt es sich plötzlich geschäftig. Einzelne Thüren öffnen sich und Männer verlassen die Häuser, meist zer­lumpte Gestalten mit abgezehrten, hohläugigen Gesichtern, saft­und kraftlos; nur wenige fallen durch einen kräftigeren Körperbau auf. Auf dem Plage in der Mitte des Dorfes sammeln sie sich. Man begrüßt einander, als hätte man sich monate- oder jahre­lang nicht gesehen, und erkundigt sich theilnehmend nach allen Vorgängen in den Familien, nach der Arbeit und den Lebens­mitteln, ganz so, ale ob man mit Menschen aus einem andern Dorfe zusammenkäme. Und überall finden die Fragen die gleiche Antwort, stummes Achselzucken, Seufzer und Klagen, hie und da auch feuchte Augen oder Flüche. Vom Schlosse trägt der Morgen­wind den Schall der Uhr herüber; es schlägt vier, und die Blicke der Weber richten sich finster nach dem stolzen Gebäude, dessen Fenster vom Morgenlichte vergoldet werden, und keinen unter ihnen gibt es, der in diesem Augenblick nicht Vergleiche anstellt zwischen dem Glück in der Höhe und dem Elende hier unten im Thale  .

Am voraufgegangenen Abende war ein Wirthschaftsbeamter des Grafen im Dorfe erschienen und hatte die arbeitspflichtigen Weber für den nächsten Morgen um fünf ins Schloß beschieden; wohl murrten sie über den Auftrag, denn die Frohnarbeit im Schlosse führte zur Verkürzung der Hungerarbeit in den Hütten;

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doch waren die Pflichtigen zahlreich auf dem Sammelplatze erschienen, zu schwerer, ungewohnter Arbeit bereit. Jede Arbeitsverweigerung wurde vom Grafen mit dem Verkaufe des Grundstücks bestraft, auf dem die Zins- und Arbeitspflicht eingetragen war. Ein alter Mann mit grauem Haar und Bart und einem freundlichen und friedlichen Gesicht löst sich aus dem Haufen. Es ist der Weber Ehrenfried Neumann, der Aelteste von ihnen, den jedes Kind im Dorfe kennt und der seit langer Zeit schon den Webern als Führer gilt. Prüfend gleiten seine Blicke über die Genossen, deren Unterhaltung verstummt.

,, Sind wir Alle beisammen, Freunde?" frug er.

Mit einem Ja!" antworteten die Meisten. Hans Egler fehlt noch!" riefen Einige; auch Jörg ist nicht da!" sagten Andere.

Neumann schaute kopfnidend ins Dorf zurück; an einer düstern Hütte, etwas weiter unterhalb, blieben seine Blicke haften. Ein Kind ist dem Egler wieder gestorben," sagte er; da wird er noch zu thun haben, es soll jetzt beerdigt werden; ein anderes hängt zwischen Leben und Sterben ist ein Unglück mit ihm!" ,, Hat sich immer rechtschaffen gemüht," sagte ein alter Weber. ,, Hilft heutzutage Alles nichts," rief ein Anderer, es wird immer ärger mit uns."

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,, Und die arme Frau!" sagte Neumann wieder. Was hat die Alles aushalten müssen. Daß die Marthe bei allem Leid noch aufrecht ist, das hat mich schon manches Mal gewundert."

,, Was ist denn eigentlich aus dem Konrad Büttner gewor den?" fragte ein Weber. Er soll ja nach Rußland   gegangen sein."

,, Er ist verschollen, Niemand weiß etwas von ihm," antwortete Neumann. ,, Die Marthe hat auch schon alle Hoffnung auf­gegeben, daß er wiederkommt. Aber, wollen wir gehen, oder noch ein wenig auf Egler warten?"

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" Wir wollen warten!" rief man von verschiedenen Seiten. ,, So warten wir noch!" sagte Neumann.

Während die Weber draußen harrten, welch erschütternder Abschied, den sie in der Hütte von dem todten Kinde nehmen! Da liegt auf dem Marterbette, auf faulem Stroh und Lumpen, Frau Egler, eine gramvolle Unglücksgestalt, die Augen voller Thränen, die dürren knochigen Hände verzweifelt ringend. Auf dem Tische in der Mitte des Zimmers steht der schwarze, un­heimliche Sarg, der eins der Kleinode hinausführen soll, das die düsteren Wände bargen, das dem Herzen der Mutter viel bittere Thränen des Kummers erpreßte und doch wie goldener Sonnen­schein in die schwarze Nacht des Grams fiel, und das sie erfreute und der unruhig flackernden Flamme des Lebens immer wieder neue Nahrung zuführte. Wie die Hammerschläge sie erschüttern, welche für immer den Sarg verschließen, wie sie bei jedem Schlage erbebt und matt aufs Lager zurückfinkt, als die dröhnenden Schläge verstummen!

Neben dem Sarge steht Hans Egler, die Augen klagend und grollend auf den Sarg gerichtet, die Lippen fest aufeinander­gepreßt, eine finstere Wolke auf der breiten, tief gefurchten Stirn. An seiner Seite befindet sich seine Tochter Martha, eine zarte Mädchengestalt mit großen ausdrucksvollen Augen unter einer sanft gewölbten schönen Stirn, welche ein reicher Schmuck von blondem Haar umrahmt. Einer Blume des Frühlings gleicht sie, die der Herbst geküßt, noch ehe der Sommer sie begrüßt. Wie lange noch, dann ist der Frühlingshauch, der ihre Wangen schmückt, erloschen und die Rose der Armuth, die ohne Licht und Luft dem harten Boden des Elends entstiegen, entblättert und gestorben! So spricht es aus diesem Gesichte mit den blassen Lippen und den weinenden Augen, die wie die des Vaters auf den Sarg gerichtet sind, der den Liebling aufgenommen, den sie mit treuer Hand, mit zärtlicher Liebe gepflegt. Einen Kranz hat sie auf den Deckel des Sarges gelegt und das Licht des neuen Morgens blickt durch das trübe Fenster und fällt auf den Sarg und umspielt den Kranz, den letzten Abschiedsgruß, den das todte Kind mit hinabnimmt in die stille Gruft. Er fällt auf Frau Egler's Bett und küßt das lockige Haupt des Knaben, der halb­nackt auf ihrem Bette sitzt, die Augen halb geschlossen, ein Lächeln