Unwillkürlich drängt sich uns die Frage auf, wodurch die Schwalbe zu dem Ansehen gekommen ist, in dem sie bei dem Volke steht. Es ist nicht ihr Nutzen, der sie dazu gebracht, obwohl dieser nicht gering anzuschlagen ist, indem sie ja in fortwährendem Herumfliegen auf Beute ausgeht. Hunderte von Mücken, Fliegen und allerlei Insekten wandern täglich in ihren Magen, die sie selbst oft während des Fluges von Blumen, Gräfern und Bäumen ablieft. Ofen hat sehr Recht, wenn er in dieser Hinsicht die Schwalbe den ersten Raubvogel nennt. Vor jedem Regen streicht sie lautlos dicht über dem Erdboden hin, weil die meisten der Insekten sich dann in der Nähe der Erde aufhalten. Hierdurch wird sie dem Landmann auch zum Wetterpropheten und kündet ihm den kommenden Regen an. Dies Alles hat sie jedoch nicht zu dem Liebling des Volkes gemacht, das sehr oft diesen Nutzen gar nicht anerkennt. Nur ihre Anhänglichkeit an das Haus des Menschen, ihr zutrauliches und doch gewissermaßen geheimnißvolles Wesen haben ihr diese Stelle im Volksherzen erobert. ,, Das Haus gehört ihr für ewige Zeiten," sagt 3. Mi chelet ,,, wo die Mutter genistet hat, nistet Tochter und Enkelin wieder. Sie kommen alljährlich zurück und ihre Geschlechter folgen regelmäßiger im Besitze als die unfrigen. Die menschliche Familie stirbt aus, zerstreut sich, das Haus geht in andere Hände über die Schwalbe
kehrt immer zurück und behauptet sich in ihrem
Besitzrecht.
Sie ist
auf diese Weise das Sinnbild der Beständigkeit, des festen Wohnsitzes geworden; sie hängt so sehr an demselben, daß, wenn das Haus ausgebessert oder theilweise niedergerissen wird, trotz aller Störungen der Maurer die treue Schwalbe sich wieder anbaut, als könne sie von den alten Erinnerungen nicht lassen. Sie vertraut sich und
ihre Brut in unsere Hände und treibt ohne Furcht vor unseren Augen ihr häuslich stilles Wesen. Und wie unterscheidet sich das Familienleben der Schwalbe von dem der meisten anderen Vögel! Ihrer unvollkommenen Fußbildung wegen müssen die Jungen länger als alle anderen im Neste verweilen, wodurch ein innigeres, zärtlicheres Verhältniß zwischen Eltern und Kindern hervorgerufen wird. Das Nest ist bei ihnen nicht blos ein Brautbett, ein Flitterwochen- Aufenthalt, sondern eine stille Häuslich feit, der Schauplatz einer schwierigen Erziehung und gegenseitiger Opfer. Da waltet eine zärtliche Mutter, eine treue Gattin; die jungen Schwestern bemühen sich, der Mutter beizustehen, während sie selbst schon Mütter sind." Mit ihren Stammverwandten leben sie in geselligen Kolonien vereint und sind gern zu gegenseitiger Hülfe bereit. Ist eine Schwalbe in Gefahr, so schreien sie alle und geben auf jede Weise ihr Mitgefühl zu erkennen. Hat die Katze einmal ein noch unvorsichtiges Schwälblein erwischt, so schießt der ganze. Haufen unter Lautem Klagegeschrei dicht über
161
dem Kopfe der Feindin hin, als wollten sie ihr das Opfe entreißen. Der so berühmt gewordene Naturforscher Cuvie soll durch die gegenseitige Brüderlichkeit der Schwalben zuerst auf das Studium der Naturwissenschaft geführt worden sein. Er war Hauslehrer bei den Kindern des Grafen von Herch und bewohnte mit seinen Zöglingen ein altes Schloß zu Fiquainville. Hier sah er, wie viele Schwalben eine gefangene Schwester aus der Schlinge befreiten, indem sie so lange an derselben pickten, bis diese zerriß und der befreite Vogel jubelnd mit seinen Gefährten davonflog. Werden die Eltern eines Schwalbennestes getödtet, so vereinigen sich die umwohnenden Schwalbenfamilien und nehmen sich der verlassenen Waisen an. Selbst anderen Thieren offenbaren sie Theilnahme, wenn jenen Gefahr droht. So versteht Freund Spatz und das ganze Hofgeflügel sehr wohl den Warnungsruf, den die Schwalbe beim Nahen eines Raubvogels ausstößt, und flüchtet schnell an den sichern Ort.
Und dazu kommt ihr geheimnißvoller Flug, der nur ihre
Flügel uns schauen läßt. Ist das ein Vogel oder ist es ein Geist?" fragt ein sin/ niger Naturbeschauer. Und wahrlich, wer sie fo unermüdlich in demselben Raume die anmuthigen Kurven be= schreiben sieht, die abwechseln, aber sich nicht entfernen, der muß gestehen, selten etwas Schöneres gesehen zu Wenn der haben. Schwalbenflug in grader Richtung auch nicht dem Flug des blitzschnellen Falken gleichkommt, so ist er dafür viel freier, macht hundert Kreise und zierliche Wendungen, die selbst ein geübtes Auge nicht immer verfolgen kann. Der Pterolog( Kenner der geflügelten Thiere) Silberschlag stand nicht an, Demjenigen den Preis in der Mechanik zuzuerkennen, der den wunderbaren Flug der Schwalbe zu erklären vermöchte. ,, Jetzt im jauchzenden Zickzack durch die Wol
ken," wie Masius sagt, jetzt im Kernschuß über den See, jetzt wie Buben im krausen Gewühl einander verfolgend, blitzschnell sich hinabwerfend, wieder hinaufschwingend, oder beim Nahen des Gewitters in langen haftigen Linien lautlos über den Boden streichend und die Mücke, die Wasserspinne im Tanz, im Lauf erhaschend: immer ist es ein Bild voll wechselnder Reize, ein lustiges Labyrinth, dessen Gänge sich tausendfach verwirren." Ja, sie ist gewißlich ,, des Luftreichs Postmeister", wie Hans Sachs fie nennt. An Ausdauer übertrifft sie jeden andern Beherrscher der Luft. Sie erschöpft und ermüdet ihren Verfolger, ohne sich selbst anzuftrengen. Raben, Krähen und andere freche Räuber verfolgt deshalb auch das Schwalbenheer mit lautem Gezwitscher, stürzt aber beim Anblick des Lerchenfalken wie betäubt aus der Luft.
Betrachtet man die Schwalbe, so sieht man ihr auf den ersten Blick an, daß sie der wahre ,, Segler der Lüfte" ist. Die langen Flügel gleichen Sensen, die Augen sind hervortretend, der fast mangelnde Hals verdreifacht die Kraft; der Fuß ist fast unent