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Abgerissene Bilder aus meinem Leben.

Von Joh. Ph. Becker.

( Fortseßung.)

Selbstverständlich hat auch diesem humoristisch- beredten Un-| betheuerungen. Nur ein junger, etwa 17 jähriger, bedauerlich schuldsdulder der rauschende Beifallsjubel nicht gefehlt; mir aber rieselte die so drastisch gehaltene Mittheilung über das Vorhanden sein noch anderer frecher Stubengenossen schaurig über die ganze Haut meines Leibes. Jetzt begriff ich erst, warum viele der Leute halbnackt dasaßen, ihre Wäsche und Kleidung durchstöberten, und daß Dieser und Jener juckte und zuckte, als wenn er Nerven­anfälle bekommen wollte. Und immer noch ohne Verhör stand ich vor solch' in jeder Beziehung brillanten Aussichten. Aber die Wahrnehmung, daß trotz vieler Rohheit und Unwissenheit viel mehr Mutterwitz, Freimuth, Selbstkritik und Willenskraft bei meiner geächteten Schicksalsbruderschaft einheimisch war, als bei einer gleich großen Vereinigung ehrbarster Bürgerschaft außerhalb des Gefängnisses, erleichterte es mir sehr, mich mit Gleichmuth der Gewalt der Umstände zu fügen. Zum erstenmale warf ich mir die Fragen auf: ob nicht die verkehrten Staatseinrichtungen die Verbrechen hervorbrächten und die Verbrecher gleichsam erzeugten, und ob es nicht vernünftiger und gerechter wäre, die sog. Ver­brecher als Unwissende, Verirrte und Kranke zu behandeln und den Versuch zu machen, sie durch Belehrung und Erziehung zu bessern und zu heilen, als sie zu verfolgen, zu strafen und zu verderben? Bei der Prüfung dieser Fragen ist es mir mehr als bisher klar geworden, daß der dermalige, auf Standesunterschieden und Klassen gegensätzen, dominirenden und unterdrückten Elementen beruhende Staat, möge er in Wahrheit absolutistisch oder in Lüge konsti­tutionell die Gewalt ausüben, nur beschränkten Unterthanen­verstand und blinden Gehorsam gebrauchen, aber nie für selbst­ständige, sich einer höheren Lebensaufgabe bewußte, die vor­gezeichnete Staatsschablone sammt den Schranken unermeßlicher Gesetzesvorräthe überschreitende Kräfte eine Verwendung haben und Gerechtigkeit für Alle bieten könne, sondern daß er dieselben seiner Selbsterhaltung und seines Zweckes willen zu verfolgen und zu vernichten streben müsse wenn auch im Wesen und auf die Dauer erfolglos. Ja, die mir beim Gefängnißleben nebst reichlicher Erfahrung gebotene Zeit zum Nachdenken und somit zu politischen und sozialen, psychologischen und ethnologischen Studien hat mich erst recht zum selbstbewußten und gründlichen Revolutionär gemacht. Deshalb hatte auch die oben beschriebene Unterhaltung in dem Kerkerloch von Stunde zu Stunde stärkeren Reiz für mich gewonnen, so daß ich, wohl auch um düstere Ge­danken zu verscheuchen, die momentan eingetretene Stille selbst unterbrach, indem ich sagte: Nach Allem, was ich bis jetzt von euch gehört, scheint ihr alle unschuldig hierher gebracht worden zu sein, und es soll mich freuen, dies bewahrheitet und Niemanden, und euch selbst nicht, von euch getäuscht, belogen und betrogen zu sehen." Nun gerieth ich gleichsam in einen Regen von Unschulds

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schmächtiger Bauernjunge sagte: Ich weiß nicht recht, ob ich schuldig oder unschuldig bin; ich hab' bei unserm Nachbar, der für seine Haushaltung selbst gebacken und die Brote zum Ab­dampfen in den Hausgang gelegt hat, einen Laib davon genom­men, weil meine Mutter und kleinen Geschwister bei der theuren Zeit arg Hunger gehabt haben. Meine Mutter war froh und hat gesagt:" Du hast redyt gethan, Michel, wir wollen auch leben!"", und weil ich das Brot so weggenommen hab', daß es alle Leut' haben sehen können, so hab' ich gar nicht gemeint, daß das auch gestohlen wär'; jetzt haben sie mich aber doch drum eingesperrt. Aber ich mach' mir nichts draus, denn jetzt bekomm' ich doch keine Arbeit, daß ich meiner Mutter etwas verdienen helfen könnt." Die deutlich wahrnehmbare Theilnahme der ganzen Gesellschaft am Schicksal des Jungen that mir wohl und machte mir das Gefängniß um Vieles heimlicher. Inzwischen hatte sich aber ein athletisch gestalteter Unschuldskandidat, der bisher am unfläthigsten quer über dem Boden lag, gemächlich emporgehoben, und seine kleinen scheuen Augen, die er von einem Dachmarder ' geerbt zu haben schien, wie ein routinirter Pfarrherr sammt beiden Händen himmelwärts gerichtet und in ächtem Predigerton das Wort genommen:" Gott  , der Herr des Himmels und der Erde, weiß es, daß ich unschuldig bin, so unschuldig, wie's Kind im Mutterleib. Aller Welt will ich es sagen, was mich für ein Unglück getroffen hat, und das ich jetzt in Gottes Namen er­tragen muß. Da bin ich an einem Markttag von Speier nach Haßloch   zugegangen, und da hab' ich unterwegs in dunkler Nacht, Gott   kann mein Zeuge sein, einen todten Mann gefunden; ach, hab' ich gedacht, der Mann hat vielleicht etwas, was er doch nicht mehr brauchen kann, und wenn ich's ihm nicht nehm', so nimmt's ihm ein Anderer ab, denn er war todt, maustovt. Zu­erst hab' ich gerufen, Gott der Allmächtige möchte mir beistehen, dann hab' ich ihm einen Gurt voll Brabanterthaler vom Leib abgeschnallt und eine große filberne Uhr aus dem Giletsack ge­zogen. Hernach hab' ich mich nicht lange besonnen, bin geschwind heimgegangen, hab' mich ruhig in's Bett gelegt und die ganze Nacht gebetet für die arme Seel' von dem todtgemachten Menschen­bruder. Zwei Tag' nachher sind aber die Herren von der Obrig keit gekommen, und weil sie die vielen Thaler und die Uhr bei mir gefunden haben, haben sie gleich gesagt, ich hätt' den Vieh­händler umgebracht und ausgeraubt, und haben mich von den Gens­darmen packen und mit geschlossenen Händ' hierherschaffen lassen. Ich hab' aber den Viehhändler in meinem ganzen Leben gar nicht gesehen, und wenn er mir heut' begegnen thät, so thät ich ihn nicht kennen. Aber Gott   der Vater und Gott der Sohn werden mir helfen, Amen!" ( Fortseßung folgt.)

In der Kunstausstellung. Was drängt die bunte Menge Sich gaffend um dies Bild? Es ist ein junges Mädchen Mit Zügen krampfhaft wild.

Ihr alten, eitlen Gecken, Drängt euch nicht so nahe hin, Reizt nicht an den zarten Formen Den abgeſtumpften Sinn.

Seht hinter euch-o sehet! Dort an der dunkelsten Stell'

Lehnt ohnmächtig vor Hunger Des schönen Bildes Modell.

Ada Christen  .

Spanische Schmuggler( s. das Bild S. 217). Der Schmuggler hat in Spanien  , wie ja mehr oder weniger überall, die Sympathien des Volks; er lehnt sich auf gegen die ungerechten, schwer auf dem armen Mann lastenden Steuergeseze, und der arme Mann leistet ihm dafür jeden möglichen Vorschub. Die Schmuggler, die unsere Zeichnung dar stellt, kommen, wie die halbtropische Vegetation erkennen läßt, nicht aus Frankreich  , sondern vom Felsennest Gibraltar, wo sie englische Waaren in Empfang genommen haben. Im Uebrigen spricht das Bild für sich selbst.

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Don Quixote  . Wie wir aus spanischen Blättern ersehen, sind von Cervantes  ' unsterblichem Werk binnen 271 Jahren seit 1605, wo der erste Band aus der Presse hervorging tausend und neun undachtzig Auflagen erschienen: 425 in spanischer Sprache, 202 in englischer, 170 in französischer, 98 in italienischer, 82 in portugiesischer, 70 in deutscher, 13 in schwedischer, 8 in polnischer, 6 in dänischer, 4 in griechischer, 4 in russischer, 3 in fatalonischer, 2 in rumänischer, 1 in baskischer und 1 in lateinischer Ueberseßung.

Verantwortlicher Redakteur: W. Liebknecht in Leipzig.  - Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .