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Seit zwölf Uhr ein neues Schauspiel: Tragbahren mit Verwundeten und Todten erscheinen. Hier trägt man einen Mann mit ergrautem Haar und einem Gesicht, so weiß, wie das Kissen, auf dem er liegt, das ist der tödtlich verwundete Deputirte Charbonnel die Häupter werden stumm vor ihm entblößt,- allein er sieht dies Zeichen mitleidsvoller Verehrung nicht, seine Augen sind geschlossen.-Da geht ein Häuflein Gefangener, sie werden von Mobilgardisten geführt, diese sind noch ganz junge Burschen, fast Knaben; sie flößten zuerst wenig Vertrauen ein, aber sie schlugen sich wie die Löwen. Einige tragen auf den Bajonetten die blutigen Czakos ihrer gefallenen Kameraden oder die Blumen, die ihnen aus den Fenstern von den Frauen zugeworfen wurden.
Die
,, Vive la républi i- ique!" rufen auf beiden Seiten des Boulevard die Nationalgarden, indem sie die letzte Silbe eigen thümlich und traurig ausziehen. ,, Vive la mobi- i- ile!" Gefangenen gehen aneinandergebrängt wie die Schafe, ein ordnungs loser Haufe, finstere Gesichter, viele in Lumpen, ohne Kopfbedeckung, einige mit gebundenen Händen.
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Die Kanonade, das schwere, eintönige Dröhnen, hörte indessen nicht auf. Gegen Abend ist von meinem Zimmer aus etwas Neues zu hören; zu dem Dröhnen gesellen sich schneidige, viel nähere und kurz andauernde Salven. Das ist", sagt man mir, ,, das Erschießen der gefangenen Insurgenten in den Mairies( Bürgermeistereien)."
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Und so eine Stunde nach der andern, Stunde auf Stunde. Auch Nachts ist es nicht zum Schlafen. Versuche ich auf den Boulevard zu gehen oder bis zur nächsten Straße, um entweder etwas zu erfahren oder mich ein wenig zu erfrischen, so werde ich angehalten und befragt: wer und was ich bin, wo meine Wohnung ist und warum ich nicht im Dienstrock stecke? Hatte nun erfahren, daß ich Ausländer war, so wurde ich argwöhnisch angesehen und barsch nach Hause geschickt. Einmal sogar wollte mich ein Nationalgardist aus der Provinz das waren die allereifrigsten durchaus verhaften, weil ich ein Morgenjaquet anhatte. Sie haben den Rock angezogen, um sich bequemer mit den Insurgenten verständigen zu können( pactiser)!" schrie er mich, wie besessen, an.-Wer weiß, Sie sind viel leicht ein russischer Agent, und in ihren Taschen ist Geld, bestimmt, unsere Zwietracht anzufachen( pour fomenter nos troubles)!" Ich bat ihn, meine Taschen zu durchsuchen aber das ärgerte ihn noch mehr. Russisches Gold, russische Agenten haben damals, mit vielem anderem Unsinnigem*) und Ungeheuerlichem, das in den aufgeregten Geistern Platz gefunden, in allen Köpfen gespukt. Ich wiederhole: es war eine peinliche, qualvolle Zeit!
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Unter solchen Umständen vergingen volle drei Tage, der vierte ( 26. Juni) rückte heran. Die Neuigkeiten vom Kampfplatz gelangten ziemlich schnell zu uns, indem sie die Trottoirs entlang von Mund zu Mund liefen. So wußten wir z. B. schon, daß das Pantheon genommen, daß das ganze linke Ufer der Seine in den Händen der Truppen war, daß General Brea von den Insurgenten**) erschossen worden, daß der Erzbischof Affre verwundet und daß nur noch das Faubourg St. Antoine von Aufständischen besetzt sei. Ich erinnere mich, wie wir die Proflamation von Cavaignac lasen, der zum letzten Mal an das patriotische Gefühl appellirte, das auch aus dem verstocktesten Herzen nicht verschwinde. Ein Courier, Husarenoffizier, sprang plötzlich quer über den Boulevard heran und schrie, indem er mit den Fingern seiner Rechten einen Kreis, groß wie ein Apfel, bildete:„ Mit solchen Kugeln schießen sie auf uns!"
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In dem Hause, wo ich wohnte, auch in derselben Etage, lebte der deutsche Dichter G., mit dem ich bekannt war; ich besuchte ihn oft, um doch einige Beruhigung zu finden, das eigne
*) Troßdem steht es fest, daß russische sowohl wie bonapartistische Agenten während der Junischlacht thätig waren. Red. d. N. W.
**) Brea wurde notorisch von bonapartistischen Agenten getödtet; die Prozeßverhandlungen haben dies festgestellt; die Kugel, welche den Erzbischof Affre traf, fam erwiesenermaßen nicht von Seiten der Insurgenten. Red. d. N. W.
Ich ein wenig zu vergessen, die drückende Qual des Nichtsthuns und der Einsamkeit zu betäuben. Und so saß ich auch am Morgen des 26. Juni bei ihm. Morgen des 26. Juni bei ihm. Er hatte soeben gefrühstückt, als der Garçon plötzlich und mit aufgeregtem Gesicht hereintrat. ,, Was gibt's?"
,, Monsieur G., ein Blusenmann fragt nach Ihnen!" ,, Ein Blusenmann? Was für ein Blusenmann?!" ,, Ein Mann in einer Bluse, ein Arbeiter, ein Graufopf fragt nach dem Bürger G. Befehlen, ihn hereinzulassen?"
G. und ich sahen uns verwundert an. Lassen Sie ihn herein," meinte er endlich.
Der Garçon ging, vor sich hinbrummend: Ein Mann in einer Bluse...!" Er war ganz erschreckt. Ach, und vor wenigen Monaten erst, im Rausch der Februarrevolution, hatte die Bluse als das modernste, anständigste und sicherste Kostüm gegolten! Wie lange war es her, daß ich selber, in einer Gratisvorstellung, die im Theatre Français für das Volk gegeben wurde, mit eigenen Augen eine Menge der ausgesuchtesten Modemenschen, der sogenannten Beau- monde( schönen, vornehmen Welt) sah, die in weißen und blauen Blusen steckten, aus denen so eigenthümlich ihre gestärkten Kragen und Jabots hervorragten? Aber mit den Zeiten wechseln auch die Sitten; zur Zeit der Junischlacht wurde die Bluse zu einem Kainszeichen, erregte sie die Gefühle des Schreckens und der Wuth.
Der Garçon kam zurück, und mit einem stummen Schaudern ließ er einen Maurer, einen Mann, der wirklich eine Bluse an= hatte, eine zerfetzte und schmutzige Bluse, vortreten. Die Hosen, die Schuhe des Mannes waren ebenfalls schmutzig und geflickt; den Hals umschlang ein rother Fetzen und der Kopf war mit einem Wald von schwarzgrauen, verworrenen, bis auf die Augenbrauen herabhängenden Haaren bedeckt, unter denen sich eine lange, höckrige Nase erhob und ein Paar kleine, vor Alter entzündete, fahle Augen hervorblickten. Eingefallene Wangen, Nunzeln, tief wie Narben, am ganzen Gesicht; ein breiter, zuckender Mund, der Bart struppig, rothe, schmutzige Hände und jene eigenthümliche Rückgratskrümmung, die den Druck langdauernder Ueberarbeitung verräth... Kein Zweifel wir hatten vor uns einen jener zahlreichen, hungernden und unheimlichen Arbeiter, die so häufig sind in den niedrigen Schichten ,, civilisirter" Gesellschaften. ,, Wer von Ihnen ist Bürger G.?" fragte er mit heiserer Stimme.
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" Ich bin G.," antwortete der deutsche Poet, nicht ohne einige Verlegenheit.
,, Erwarten Sie Ihren Sohn mit seiner Bonne aus Berlin ?" ,, Jawohl, woher wissen Sie das? Er sollte vor einigen Tagen herfahren, aber ich glaubte..."
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" Ihr Knabe ist gestern angekommen, aber da die Eisenbahnstation von St. Denis in den Händen der Unsrigen ist"- bei diesem Worte wäre der Garçon fast vor Schreck umgefallen und es unmöglich war, ihn hierher zu schicken, so hat man ihn zu einer unserer Frauen gebracht-hier auf dem Papierstreifen finden Sie seine Adresse. Mir haben aber die Unsrigen gesagt, ich möchte zu Ihnen gehen, damit Sie nicht unruhig seien. Auch seine Bonne ist mit ihm, er hat eine ganz gute Wohnung, das Essen wird Beiden gegeben. Es ist auch keine Gefahr vorhanden. Wenn Alles zu Ende sein wird, können Sie ihn abholen. Hier, nehmen Sie den Papierstreifen. Adieu, Bürger!"
Der Alte begab sich zur Thür.
,, Halt, halt!" rief jetzt G. ängstlich. Gehen Sie doch nicht
fort!"
Der Alte blieb stehen, wendete sein Gesicht aber nicht zu uns. ,, Also Sie sind blos deshalb hierhergekommen," fuhr G. fort, um mich, einen Ihnen ganz unbekannten Menschen, wegen meines Sohnes zu beruhigen?"
Der Alte erhob sein gebeugtes Haupt:
,, Ja! Je suis envoyé par les nôtres!"( Ich bin von den Unfrigen geschickt.)
,, Blos um dessentwillen?"
Ja!"(