auffallend von dem Zimmer unterschied, das er soeben verlassen. Der Briefträger war ein alter Soldat, der trotz der Jahre seine grade Haltung behauptet hatte. Sein frisches rothes Gesicht wurde durch zwei freundliche blaue Augen belebt.

Ist Wachholder," sagte er, indem er einschenkte und sich ihm gegenüber setzte; ,, denke, es wird euch gut thun, Steiner beste Sorte, eigenes Produkt."

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Der Briefträger hatte den Kopf über seine Tasche geneigt und suchte darin. Ja, ja," sagte er zustimmend ,,, man wird Ab­findung zahlen müssen."

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Der Förster wollte dies in leidenschaftlicher Weise zurück­,, Bin schon lange nicht dagewesen," sagte er sich setzend und weisen, doch bezwang er sich und schwieg. Jetzt reichte ihm auch seine Brieftasche abnehmend. ,, Ging neulich freilich vorbei, brachte der Briefträger einen zweiten Brief. Da, Förster," sagte er, Briefe in's Schloß- der Silberberg hat ja jetzt viel zu schreiben. ,, da ist auch was für euch. Scheint von der Mutter zu sein, Müßte heute auch noch nach oben, denke aber, Ihr könntet mir wohl hat schon lange nichts mehr von sich hören lassen, aber das kommt den Weg ersparen und den Brief morgen früh in's Schloß bringen." so, wenn man alt wird; da will es mit der Feder gar nicht recht Bei dem Namen Silberberg war der Förster zusammen- vorwärts, meine Hand fängt auch schon an zu zittern. Na, es gefahren, doch sagte er nichts, sondern stellte, nachdem er dem ist aber doch schön, daß die Alte sich noch ihres Sohnes erinnert! Briefträger einen Stuhl geboten, eine Flasche und zwei Brannt- Wie alt wird sie denn sein? Sie muß doch schon in den Sech­weingläser auf den Tisch. zigern stehen. Ja, ja, so ist es; als ich im Hause im Quartier lag, da war sie wohl dreißig alt, sah damals noch frisch und schmuck aus wie ein junges Mädchen hatte einen pausbäckigen Burschen auf dem Schoß mit einem Paar Augen, so blau wie der Himmel und einem Gesicht, so heiter und frisch wie ein Maitag. Das war't Ihr, Förster. Da hättet Ihr' mal eure Mutter sehen sollen, wie die mit ihrem Jungen sich hatte. Den ganzen Tag hätte sie euch küssen können, und wenn Ihr auf ihrem Schoße saßet, dann konnte sie das Essen und Trinken dabei vergessen. Na und der Alte, der stand dann schmunzelnd hinter ihrem Stuhle, und das war ein Bild, daß Einem das Herz im Leibe lachte. Aber was ist euch denn, Förster?" rief er, seine Erinnerungen plötzlich unterbrechend. Habt doch keine schlimme Er blickte Nachricht bekommen? Die Alte lebt doch noch?" erstaunt auf den Förster, der mit seltsam veränderten Zügen in den kleinen Brief blickte, dessen unbeholfenes Siegel er erbrochen hatte. ( Fortsetzung folgt.)

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,, Kenne ihn, der hält Leib und Seele zusammen," sagte der Briefträger schmunzelnd und goß ein Gläschen des kräftigen Branntweins hinunter. Er verzog dabei das Gesicht und kniff die Augen zusammen. Ein guter Schnaps," sagte er dann und setzte das Glas nieder. Der treibt Einem ja das Wasser in die Augen. Na und hier ist der Brief für's Schloß vom Silberberg kenne seine Briefe schon von Weitem. Ja, was erzählt man sich nicht Alles in der Stadt! Der Spißbube will ja wohl das Schloß und die ganze Besitzung kaufen- der Graf soll bei ihm hoch im Buche stehen; na, dann wird der Wald bald kahl werden."

Da habe ich doch auch noch ein Wörtchen mitzusprechen," rief der Förster laut und schleuderte den Brief auf den Tisch.

Friedrich Albert Lange  .

Nicht viele Professoren hat Deutschland   aufzuweisen, welche, aus dem Banne der Fachwissenschaft heraustretend, als ächte Ritter vom Geiste mit eingreifen in alle die Kämpfe, in welchen die freie Forschung mit der traditionellen Beschränktheit, der Drang nach Verallgemeinerung der wissenschaftlichen Errungen schaften mit der Abschließungssucht einer dünkelhaften Gelehrten zunft, die Idee der Menschenverbrüderung mit dem Egoismus und der Nationalitätsthorheit um den Sieg und die Menschheits­zukunft ringen.

Von den wenigen Geisteshelden dieser Art war der geist­vollsten, kenntnißreichsten, edelsten einer der am 21. November vorigen Jahres dahingeschiedene Professor der Philosophie an der Universität Marburg   Friedrich Albert Lange.-Am 28. September 1828 wurde Lange zu Wald bei Solingen   ge­boren; nachdem er von 1847-51 zu Bonn   und Zürich   Philo­sophie, Philologie und Nationalökonomie studirt hatte, wurde er 1852 Gymnasiallehrer zu Köln  . In solch beschränktem Wirkungs­kreise vermochte er aber nicht zu verweilen, darum habilitirte er sich 1855 in Bonn   als Dozent für Philosophie. Doch schon 1856 sah er sich genöthigt, zum Gymnasium zurückzukehren; er ging als Oberlehrer nach Duisburg  . Von hier trieb ihn 1866 seine Theilnahme an der Arbeiterbewegung in die Schweiz  , und zwar nach Winterthur  , wo er sich eine neue Existenz als Re­dakteur und Buchhändler gründete. Neben den Geschäften seines engeren Berufs und der Verwaltung mehrerer Ehrenämter wid­mete der unermüdliche sich einer umfassenden schriftstellerischen Thätigkeit, deren Produkte die zürcherische Regierung veranlaßte, ihn im Jahre 1870 als Professor der Philosophie an die Uni­ versität Zürich   zu berufen. 1872 folgte er, bereits schwer lei­bend, aber in voller Geistesfrische und ungebrochener Arbeitskraft, dem Rufe nach Marburg  , wo er seiner unheilbaren Krankheit nach vieljährigem hartem Kampfe endlich erlag.

An dem zweitausendjährigen Streite zwischen der materialisti­schen und idealistischen Weltanschauung nahm Lange im Jahre 1866 mit seiner Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart" hervorragenden Antheil. Dieses sein Hauptwerk gibt neben der geschichtlichen Darlegung der

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Schicksale, welche die materialistische Richtung der Philosophie gehabt, und in diese verflochten, eine kritische Geschichte der Philo­sophie überhaupt; dabei weist es in wohlthuendem Gegensatz zu den übrigen Werken derselben Art den Vertretern des materialistischen Denkens im Alterthum, den Demokrit, Epikur  , Lukrez sowohl, als denen in der neueren Zeit, den Gaffendi, Hobbes  , Lamettrie 2c. den ihrer Verdienste um die denkende Menschheit würdigen Plaz an und dient vor allem der Absicht, die Ueberzeugung wissen­schaftlich zu begründen, daß es für den Menschen keine andere als menschliche Erkenntniß und irdische Befriedigung gibt und daß ein vollkommenes Genügen nur durch die allseitige Entwick­lung der menschlichen Fähigkeiten und die harmonische Befrie­digung des Bedürfnisses nach dem Wahren, Guten, Schönen gewährt werden kann.

Durchleuchtet von einem ungewöhnlich scharfen kritischen Ver­stande, ausgestattet mit reichem naturwissenschaftlichem Material und geschrieben in ebenso eleganter als populärer Form, war und ist die Geschichte des Materialismus" nicht allein von hohem Interesse für den Philosophen, den Naturforscher und den Kulturhistoriker, sondern bietet auch für die weiteren Kreise der Gebildeten überhaupt lebhafte Anregung zum Studium, mannichfachste Gelegenheit zur Aufklärung und Belehrung ja sie ist sogar ganz dazu geeignet, durch die Vermittlung derjenigen unter den Gebildeten, welche ihrer Pflicht der Volkserziehung mehr eingedenk oder mehr ge­wachsen sind, als die Volksschulen und ihre Lenker, zum geistigen Eigenthum aller nach Wissen und Erkenntniß Strebenden zu werden.

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So raschen Eingang in's Publikum, als diesem zu wünschen gewesen wäre, fand die Geschichte des Materialismus", zum guten Theil wegen ihrer hohen Bedeutung, nicht; sie mußte sich ihr Terrain erst mühsam erobern. Wo sie aber auf An­erkennung traf, da warb sie auch warme Anhänger und unver­drossene Wegbereiter für den in ihr enthaltenen Gedankenschatz.

Nicht viel leichter wurde es einer andern bedeutsamen Arbeit Lange's, augenfälligen Erfolg zu erzielen. Seiner im Jahre 1875 in dritter Auflage erschienenen ,, Arbeiterfrage  " sah er sich ge­nöthigt, die Erklärung vorauszusenden, er wende sich nicht mehr