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Der Mensch.

Von J. Most.

Die Jntelligenz des Thieres äußert sich ganz in derselben Weise, wie die des Menschen... Es ist kein wesentlicher, sondern nur ein gra bueller Unterschied zwischen Instinkt und Vernunft nachweisbar." Krahmer.

Der Haupttrumpf, welchen die Widersacher der Monogenisten ( Anhänger der Lehre von der Entwicklung der Einzelheiten aus dem einheitlichen Ganzen der Natur) ausspielen, besteht in der Behauptung, daß der Mensch durch die Sprache vor allen an­deren lebenden Wesen ausgezeichnet sei; aber dieser Trumpf ist weiter nichts, als ein trauriges Armuthszeugniß, durch welches die betreffenden Hochmuthsträger ihre krasse Ignoranz in natur­wissenschaftlichen Dingen bescheinigen. Wer sagt diesen Leuten denn, daß der Mensch immer eine Sprache besessen, die nach den heutigen Begriffen diese Bezeichnung verdiente? Und woher wissen sie, daß die Thiere sprachlos sind?

Schon in einem frühern Abschnitt wurde darauf hingewiesen, wie kläglich heute noch die Sprache mancher Völkerschaften be­schaffen ist, und wie wenig sich dieselbe von dem Geschnatter anderer Thiere unterscheidet. Und da die Ueberreste des Ur­menschen, wie sie an den verschiedensten Stellen der Erde auf gefunden wurden, bis zur Evidenz beweisen, daß unsere Vorfahren den rohesten Menschenstämmen der Jetztzeit noch bedeutend nach standen, so kann man sich doch wahrhaftig an den fünf Fingern abzählen, daß bei ihnen von einer Sprache im modernen Sinne nicht die Rede sein konnte. Der Urmensch kann, wie sich Westropp ausdrückt, nichts weiter gewesen sein, als ein stummes oder sprach loses Wesen, das sich erst im Verlaufe langer Zeit, ähnlich wie jetzt die kleinen Kinder, die Fähigkeit aneignete, seinen Bedürf­nissen und Gefühlen Ausdruck zu geben, während er sich bis dahin mit Geberden und unartikulirten Lauten behelfen mußte, wie jedes andere Thier.

Und was die heutige Menschensprache anlangt, so beweist schon ihre Vielheit, daß sie nicht auf ein erstes Menschenpaar zurückgeführt werden kann, dem sie der Schöpfer" eingetrichtert hatte. Moses glaubte sich zwar über diesen auffallenden Um­stand durch die naive Ausflucht, beim Thurmbau zu Babel sei eine Sprachverwirrung entstanden, hinweghelfen zu können; seinen Juden gegenüber mag auch eine solche Erklärung durchgeschlagen haben, allein der aufgeklärte Mensch läßt sich mit solchen Er­zählungen nicht abspeisen, sondern will eine natürliche Auskunft haben. Der Naturkundige," sagt Virchow sehr richtig, ,, kennt nur Körper und Eigenschaften von Körpern; was darüber ist, nennt er transcendent( übernatürlich), und die Transcendenz be­trachtet er als eine Verirrung des menschlichen Geistes."

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Bei vielen Stämmen blieb auch die Sprache noch Jahr­tausende lang, wo andere Stämme schon wohlausgebildete Sprachen besaßen, auf ganz primitiver Stufe stehen, wie es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden unsere Wilden" be­weisen. Die Sprachen der kultivirten Menschheit kann man wohl auf wenige gemeinsame Wurzeln zurückführen, nicht aber auf eine einzige, so daß die Gewißheit besteht, daß an mehreren Punkten der Erde von einander unabhängige Sprachentwicklungen statt­fanden. Manche Naturforscher behaupten ja sogar, die Mensch­werbung selbst sei zeitlich und örtlich getrennt von Statten gegangen.

Von der Sprache des Menschen wird auf seine Vernunft geschlossen, als ob die übrigen Thiere keine Vernunft befäßen! Es hieße wohl Wasser in's Meer schöpfen, wenn ich auch noch Beispiele anführen wollte, aus denen erhellt, daß kein Thier unvernünftig ist. Wer trotz Allem, was darüber schon geschrieben wurde, hinsichtlich dieses Punktes noch im Unklaren tappen sollte, dem kann ich nur dringend empfehlen, daß er das Thun und Treiben der Thierwelt beobachten möge; wer nicht mit Blindheit geschlagen ist, der muß bei solcher Gelegenheit in's Kelare kommen. Selbst die Theologen und theologifirenden Naturforscher wissen in dieser Beziehung Bescheid, sonst hätten sie durch die Erfindung

des ,, Instinkts" der Anerkennung thierischer Vernünftigkeit keinen Stein in den Weg zu legen gesucht.

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Freilich, die Grade der Vernunft, welche die verschiedenen Thiere besitzen, sind sehr verschieden, sowohl hinsichtlich der Arten, als auch hinsichtlich der Individuen. Ein Hund ist klüger als ein Schaf; und mancher Hund besitzt viel, mancher wenig Ge­lehrigkeit. Und unter den Menschen selbst existirt sicherlich die allergrößte Mannichfaltigkeit bezüglich der Vernunft. Ein Neu­holländer ist viel dümmer, als der ungebildetste Engländer; und auf den armen und darum(!) wenig gebildeten Mann einer be­liebigen Intelligenzstadt blickt der Gelehrte recht ungebildeter­weise, wie ich nebenbei bemerken will- nur sehr verächtlich herab. Der Grad der Vernünftigkeit eines lebenden Wesens hängt von der Quantität und Qualität seines Gehirns ab. Die­jenigen Thiere, bei welchen gar kein eigentliches Gehirn vorhanden ist, und bei denen statt desselben nur Nervenknoten vorkommen, wie z. B. bei den Insekten, sind gewöhnlich in geringerem Grade vernünftig, als solche, welche damit ausgestattet sind, obwohl auch hier einzelne Gattungen viel Verstand an den Tag legen, wie die Ameisen, Bienen 2c. beweisen.

Alle Wirbelthiere besitzen Gehirne, und zwar läßt sich nicht verkennen, daß auch dieses Organ sammt dem damit verknüpften Nervensysteme, ähnlich wie das Knochengerüste, die Verdauungs­organe u. s. w., nach einem einheitlichen Plane angelegt ist. Alle Gehirne, von denen der niedrigsten Fische bis zu denen der civilisirtesten Menschen, bilden eine Stufenleiter, die ganz all­mählich und wohlvermittelt emporsteigt. Im Allgemeinen steht fest, daß hinsichtlich der Thierarten die relative Durchschnitts­größe des Gehirns über den Grad ihrer Vernünftigkeit entscheidet, im Einzelnen, also gegenüber den Individuen aber kommt daneben noch die Qualität in Betracht, und zwar so, daß nicht selten z. B. ein Mensch mit kleinerem Gehirne weit flüger sein kann, als einer mit quantitativ größerem Denkorgane. Dies beruht nicht etwa nur auf bloßen Folgerungen, sondern ist handgreiflich bewiesen worden. Die Qualität des Gehirns ist nämlich sehr auffallend äußerlich wahrnehmbar. Schon die Form des Schä­dels, die sich der Gehirnform entsprechend entwickelt, läßt den Kenner selten auf falsche Fährten gerathen, sondern offenbart ihm in der Regel, wenigstens annähernd, die betreffende Gehirn­qualität. Es ist dies nicht allein bestätigt worden durch die Messungen von Schädeln gebildeter und ungebildeter Leute und civilisirter und wilder Menschen, sondern duch durch die Messungen von Schädeln der lebenden und längst verstorbenen Geschlechter. Ein Hauptmerkmal ist in dieser Hinsicht die Abflachung der hin­teren und Auswölbung der vorderen Schädelpartien bei qualifi­zirten Gehirnen, während ein umgekehrtes Verhältniß durchschnittlich eine geringe Gehirnqualität anzeigt. Eine gewisse relative Größe ist indeß unerläßlich, und Gehirne von besonderer Kleinheit können nicht qualifizirt sein, vermuthlich weil sie von den gewöhnlichsten Denkfunktionen schon so sehr in Anspruch genommen sind, daß zu ihrer qualitativen Entwicklung keine Gelegenheit gegeben ist. Idioten lassen stets schon in der Schädelbildung ein sehr kleines Gehirn erkennen; und die Dummheit der Flach köpfe" ist längst sprüchwörtlich geworden.

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Wird nun aber ein Schädel geöffnet, so daß das Gehirn bloßliegt, dann kann dessen Qualität vielfach erkannt werden. Da sind zunächst die Windungen und Furchen der Gehirn­oberfläche zu beachtende Erscheinungen. Zahllose Untersuchungen haben ergeben, daß die Mannichfaltigkeit der Gehirngliederung, wenn man vom Menschen abwärts schreitet, immer weniger her­vortritt, und daß eine Thierart desto verständiger ist, je tiefer die Furchen, je zahlreicher die Windungen sind und je regelloser die Gehirnoberfläche beschaffen ist. Die Gehirnmasse großer Denker wurde tief durchfurcht gefunden, deren Windungen waren viel zahlreicher, als bei Menschen von durchschnittlicher geistiger Be­fähigung.