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Oberflächlich betrachtet erscheint das Gehirn als eine breiige Masse; allein in Wirklichkeit gibt es kein Organ, welches eine so komplizirte Konstruktion hat, wie das Gehirn. Millionen ganz feiner Fäserchen oder Röhrchen, die sich hundertfältig durchkreuzen und verschlingen, sind da vorhanden, die alle bestimmte Funktionen zu verrichten haben, wie man wohl annehmen muß; noch ist es jedoch nicht gelungen, in diese Einzelheiten einzudringen, und die sehr wünschenswerthe Erfindung von geeigneten Ver­größerungs- Apparaten und dergleichen würde ohne Zweifel zu vielfachen Entdeckungen innerhalb der Werkstätte führer, wo die Kräfte des Stoffes so Großartiges leisten, daß die daraus ent­springenden Resultate als Produkte des Geistes" angesehen werden, des Geistes, welchen man sich unabhängig vom Stoff und übernatürlich vorstellt. Wer weiß, ob es der Wissenschaft nicht noch gelingt, diesen Geist" ganz direkt bei der Arbeit zu

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ertappen- viele seiner Mysterien hat sie ohnehin schon enthüllt. So hat z. B. die Chemie bereits einen tiefen Blick in die innere Sphäre der Gedankenfabrik gethan. Es fanden sich im Gehirn Stoffe, die bei keinem andern organischen Körper vorkommen, so das Cerebrin und das Lecithin. Ferner wurde konstatirt, daß die Gehirnmasse nicht durchgängig gleichmäßig stofflich zu­sammengesetzt ist, sondern daß in den einzelnen Theilen derselben beträchtliche diesbezügliche Abweichungen bestehen. Endlich ist man durch zahlreiche Vergleichungen zur Ueberzeugung gelangt, daß der Phosphor, welcher sich im Gehirnfett befindet, der eigentliche Vermittler der sogenannten Geistesthätigkeit sein müsse, indem derselbe in desto größerer Menge vorgefunden wurde, je intelligenter ein lebendes Wesen war. Ohne Phosphor kein Gedanke!" sagt Moleschott. ( Schluß folgt.)

Major Davel.

Eine biographische Skizze aus der Schweizergeschichte des vorigen Jahrhunderts. Von Robert Schweichel  .

Auf halbem Wege von Vevay nach Lausanne   liegt an einer Bucht des Genferfees das Städtchen Cully  . Die steilen, durch ihren Wein berühmten Abhänge des Mont- Jorat drängen hier so nahe an den See, daß die Bewohner des Orts zum Theil genöthigt waren, mit ihren Häusern die Höhe hinanzuflüchten. Ein schmaler länglicher Platz befindet sich zwischen der Stadt und den blauen Fluthen des Leman. Er dient den Milizen zu ihren Waffenübungen, während die Allee alter Bäume, die ihn von der Wasserseite umschließt, eine angenehme Promenade bietet. Auf diesem Platze erhebt sich gerade da, wo der Reisende den Fuß an's Land setzt, eine Spitzsäule von Marmor mit der Inschrift: Seinem unterjochten Vaterlande die Freiheit bietend, Starb er, wie ein Held des Alterthums, allein für dieselbe; Und, ein frommer Vorläufer unserer neuen Zeit, Erwartete er ihren Tag in der Unsterblichkeit. Auf der andern, der Stadt zugekehrten Seite liest man: ,, 1841

Dem Major Davel  ,

gestorben für die Unabhängigkeit seines Vaterlandes den 24. April 1723."

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Wer war Davel  ? Ein Märtyrer der Freiheit seines Vaterlandes!" entgegnet der Waadtländer   lebhaft: denn das Ge­dächtniß desselben lebt noch warm in Aller Herzen.

Die neue Zeit hat die Tafeln der Geschichte mit, unzähligen Namen Derer angefüllt, um deren Stirn die Erinnerung den Märtyrerkranz geflochten hat, und der Fremde verfolgt ohne weitere Frage seinen Weg. Allein seine Kälte reizt und entflammt den Angesprochenen -es gilt die Ehre Dessen, den die in dieser Beziehung so farge Schweiz   eines Marmors werth fand, und er beginnt das Leben seines Helden mit kurzen Zügen zu beschreiben. Die Aufmerksamkeit des Fremden ist gefesselt und nach Analogien in der Geschichte suchend, um sich den Charakter Davel's zu erklären, findet er nur eine die Erscheinung der Jungfrau von die Erscheinung der Jungfrau von Orleans  . Wie sie, so stützte auch Davel sich auf eine besondere göttliche Mission; auch ihm geschahen Zeichen und Wunder. Aber auch ihn wird man ebenso wenig des Betrugs zeihen dürfen wie das Mädchen von Domremy  .

Davel stammte aus einer Familie von Weinbauern; sein Vater hatte indessen den geistlichen Stand erwählt. Er war Pfarrer in Cully  , und hier wurde Johann Daniel Abraham Davel im Jahre 1667 geboren. Der Knabe war nicht ohne tüchtige geistige Anlagen und schon früh überraschte er durch die scharfe Auffassung der Predigten seines Vaters wie durch die Klarheit und Richtigkeit seiner Reflexionen. Dennoch erhielt er statt einer gelehrten eine auf das Praktische gerichtete Erziehung, die seinen förperlichen und geistigen Fähigkeiten eine um so selbstständigere Entwickelung gestattete.

Man betrachtete damals den Kriegsdienst allgemein als das beste Mittel, die Welt kennen zu lernen und Geld und Ehre zu erwerben. Selbst Geistliche theilten diese Anschauung. Auch Davel wurde für diese Laufbahn bestimmt, und er begann sie, nachdem er 20 Jahr zurückgelegt hatte. Ob ihn eigene Neigung oder der Wunsch der Eltern dazu bestimmte, kann nicht entschieden werden. Vielleicht bewog ihn ein geheimnißvolles Ereigniß dazu, auf das ich später zurückkommen werde. Davel diente und focht unter dem Prinzen Eugen, dem Herzog von Marlborough und Ludwig XIV.   mit Auszeichnung. Seine Dienstzeit ging eben zu Ende, als der politisch- religiöse Bürgerkrieg 1712 ausbrach, der die kleinen katholischen Cantone der Schweiz   dem protestantischen mächtigen Zürich   und Bern   gegenüberstellte. Die Unterthanen­pflicht denn schon seit 1536 stand das Waadtland unter der Herrschaft Berns- rief Davel zu den Waffen, ehe er noch die Heimat begrüßen konnte.

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Die Waadtländer   galten damals für die tapfersten Truppen der Schweiz  . Bern   hatte ihnen, wie seiner ganzen Herrschaft, eine vorzügliche militärische Organisation gegeben; sie selbst ver­banden den feurigen Muth der Franzosen mit der zähen Aus­dauer des Bergvolks. Davel galt für einen der besten Offiziere dieser Armee. Zwanzig Kriegsjahre, die er als Adjutant unter seinem Landsmann, dem General Sacconay, gedient, hatten seine Geistesgegenwart, seine Klugheit und faltblütige Unerschrockenheit erprobt. Die Schlachtfelder von Hochstetten und Ramillies waren Zeugen seiner Tapferkeit gewesen; der Sieg bei Bremgarten  , der Ueberfall bei Seiß und der furchtbar blutige Tag von Villmergen, dessen Preis waadtländischer Heldenmuth errang, flochten ihm jetzt neue Lorbeeren.

Abraham Viard, ein Sergeant aus Vevay, schildert Davel während dieser Schlacht, deren Entscheidung lange schwankte, mit folgenden Worten: Schiffley, Secretär der Generalität, sagte zu Davel  :" Wir sind verloren, wir weichen!"" aber Davel, ruhig wie bei einer Musterung, auf die Division Manuel zählend und auf die Ankunft der Brigade von Mullinen, welche die Luzerner  im Rücken angreifen sollte, erwiderte: Das ist nichts Sie bleiben wir fest und Sie werden gleich sehen, daß die Schlacht gewonnen ist."

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Außer seinen Heldenthaten schreibt Davel   selbst sich noch eine besondere Rolle während dieses Kriegs zu, und die halben Geständnisse seiner Zeitgenossen, die sich ebensowenig wie er auf Einzelheiten einlassen, bezeugen, daß er einen bedeutenden Einfluß auf die Ereignisse, eine Art geheimer Leitung derselben, eine besondere vertrauensvolle Stellung, die höher als sein Rang, gehabt habe. Seine Freunde sprechen von bedeutenden Diensten, die er dem Staate geleistet, von delicaten und wichtigen Um­ständen, in denen er sich rühmlich ausgezeichnet habe, während