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sie nur auf mäßige Entfernung in's Innere hinein und außer­halb des Polarfreises kulturfreundlich. In der Jugend der Menschheit, wenn die Schifffahrt noch unbeholfen ist, dient auch die durch weite Meere abgeschiedene Lage als Kulturhinderniß. Deswegen sind das Südpol  - Land, Neuyolland und der größte Theil von Afrika   und Asien   sehr, fast ganz Amerifa ziemlich fulturfeindlich, und nur Europa  , mit Ausnahme des Nordostens, fann als eigentlich kulturfreundlich bezeichnet werden, d. h. fähig, eine stets fortschrittliche Menschheit zu entwickeln. In allen an­deren Ländern konnten Menschen entweder gar nicht entstehen, oder, wo sie entstanden und wo sie einwanderten, mußten sie auf einer der niedrigen Entwicklungsstufen stehen bleiben, von welcher aus ein freiwilliger Fortschritt nicht möglich ist. Völker, welche aus einem besseren Kulturlande in ein schlechteres umsiedeln, schreiten ohne Ausnahme zurück, und zwar um so mehr, je größer der Unterschied zwischen beiden ist. Nur Völker der höchsten Kulturstufe trogen der Ungunst des Bodens und Klimas lange, vermögen vielleicht auch sich auf ihrer Höhe zu erhalten, wenn fie eine ganz planmäßig darauf berechnete Lebensweise einhalten; aber daß sie dies können und sogar ihre Natur verbessern, ist noch durch keine einzige geschichtliche Erfahrung belegt. Wenn im Verlaufe der Jahrhunderte der Boden eines Landes aus gesogen oder durch Kriege entwaldet und das Klima dadurch verschlechtert wird, sinft auch die Kultur des Volkes, und sie steigt mit der Verbesserung des Klimas. Kurz, in der Kindheit und Jugend der Menschheit sind Boden nnd Klima die einzigen Ursachen der Entwicklung; sie erzeugen die Verschiedenheit der Rassen und Völker. Die Abstammung tritt erst später in die Verfettung entwickelnder Ursachen ein und wird nie eine so be­deutende Macht auf die Geschichte der Menschen ausüben, daß sie nicht durch Boden und Klima geschwächt werden könnte. Diese und eine Menge weiterer daraus folgender Säße können auf das genügendste bewiesen werden; wie alle naturwissenschaftlichen Geseze keine Ausnahme gestatten, so gibt es auch kein Volk, welches ausnahmsweise seines Klimas Herr geworden wäre, so wenig als je die sogenannte menschliche Willensfreiheit ein Natur­gesetz hat verkehren können.

Nachdem also auf dem Boden Ameritas alle Menschenrassen, ja selbst fast alle ihre Unterarten, nach ihrer Einwanderung ent­weder sofort zurückgeschritten sind oder doch nur eine kurze fort­schrittliche Blüthe entwickelt haben, um dann ihren unaufhalt samen Verfall zu beginnen; und nachdem selbst bei den hierher versezten kräftigsten Fortschrittsvölkern Europas   der Verfall sichtlich begonnen hat, so behaupten wir zwar nicht, daß es kein Mittel gebe, diesen Verfall aufzuhalten oder sogar die Entwicklung in

gleichbleibender Höhe zu erhalten. Was wir aber beweisen können, ist, daß die planmäßige Anwendung passender Mittel noch nicht erfunden, geschweige denn vereinbart wäre, und daß im allerbesten Falle die Menschheit hier Europa   nicht überflügeln, an Kultur­fortschritt nicht übertreffen, nicht die Lehrerin, sondern immer nur die bereitwilligste Schülerin Europas   werden könne. Wir wissen, daß alle Vervollkommnung der menschheitlichen Anlage nur auf dem Boden des westlichen Europa   erzielt werden kann, um von hier aus durch Nachahmung über die Erde verbreitet zu werden. und von diesem Gesichtspunkte aus gewinnt die europäische  Massenauswanderung nach Amerika   die Bedeutung einer Ber­wüstung werthvollster Kraft, welche Europa   zu Rathe halten sollte.

Die Folgen des amerikanischen   Klimas sind zwiefach, je nach­dem die Lebensweise der Einwohner geregelt ist. Entweder man gibt sich einer lebhaften geistigen Thätigkeit hin, wie es die Mehr­zahl der Angelsachsen thun und gethan haben; dann schwächten der arge und so häufig schroffe Wechsel zwischen dem Uebermaße der Hize und Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit, elektrischen Spannung und Abspannung der Luft und die dadurch veranlaßten Unvorsichtigkeiten in der Lebensweise, zuerst das Nervenleben durch vielen Wechsel übermäßiger An- und Abspannung, dann die Er­nährung, dann die Muskelthätigkeit und Zeugungskraft, und Schritt für Schritt auch das Gehirnleben. Und dies Alles ist von den besten hiesigen Aerzten und Naturforschern längst an= erkannt. Oder man bethätigt sich geistig so wenig wie die zweite und die folgenden Generationen der Deutschen   es thun, dann wird eine dem Klima besser angepaßte Diät das Leibesleben zwar länger, aber doch nicht ganz vor Verfall bewahren, jedoch ein gei­stiges Leben nicht in fortschrittlichem Maße aufkommen lassen, während eine unangemessene förperliche Lebensweise obendrein die Gesundheit weit rascher und völliger zugrunde richtet, als man es in Europa   erleben kann.

Es kann aber feinem europäischen   Auswanderer, der dies weiß, gleichgiltig sein, ob er seine Nachkommenschaft einem leib­lichen und geistigen Verfalle von Stufe zu Stufe preisgeben muß, zumal deren massenhafte Rückwanderung nach Europa   kaum möglich ist. Geht auch der Verfall bei vernünftiger Lebensweise ziemlich langsam, so kann doch schon jeder Einwanderer, welcher Großvater oder Urgroßvater geworden ist und ein Auge für der­gleichen hat, die stufenweise Abnahme der Begabung von Glied zu Glied unter den Seinigen recht wohl feststellen. Es ist kein Wunder, daß unter den alten Familien, welche eine amerikanische  Erfahrung von zweihundert und mehr Jahren aufgespeichert haben, der Pessimismus sehr verbreitet ist.

Fingerzeige zum gefunden Leben.

2. Unsere Wohnungen.

( Fortsetzung.)

Von H. V.

Die Hälfte der geborenen Kinder fällt dieser verpesteten Atmosphäre zum Opfer, und auch die Heranwachsenden bleiben weit unter dem durchschnittlichen Lebensalter der in besseren Wohnungen Lebenden. Was nüßt es den Wermsten, Kranken­fassen zu organisiren, wenn die Hauptursache ihrer schlechten Gesundheit, die schlechten Wohnungen, bestehen bleiben? Ist es ein Wunder, wenn sich die Seele so Vieler verfinstert in der düstern, höhlenartigen Behausung? Wenn sie es müde werden, fort und fort ohnmächtig gegen diese Verpestung anzukämpfen, und lieber in Schmutz und Unrath verkommen, dem Neide nach hängen und auf Verbrechen sinnen? Es gehört mehr mora­lische Kraft dazu, als mancher Sittenprediger selbst besitzen mag, um in solchen Wohnstätten sich förperlich und geistig rein zu halten, mehr Entjagung, um dort ein Familienleben zu führen, mehr Selbstüberwindung, um dort noch Liebe für Mitmenschen und Gesellschaft, noch Sinn für Bürgerpflicht zu hegen, als die Mehrzahl der Philanthropen sich träumen läßt. Deshalb ist es

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1876.

auch ein vergebliches Bemühen, durch Lehren und Predigen, durchy Mahnen an christliche Entsagung, durch Hinweisen auf ein freu­diges Dasein im Jenseits die Armen heben und bessern zu wollen. Solche Worte können von ihnen nur als Verhöhnung ihrer trau­rigen Lage aufgefaßt werden. Hier hilft auch keine Privat­wohlthätigkeit, hier kann nur durch energisches Eingreifen der Gesetzgebung, der Kommunal- und Staatsverwaltung eine Aen­derung bewirkt werden.

Ehe wir jedoch die Stellung der Gesetzgebung unseren Woh­nungen gegenüber in's Auge fassen, muß noch eins erwähnt werden: nämlich die Einwirkungen, denen die Wohnungen von außen her ausgesetzt sind. Was nüßt mir das zweckmäßigst gebaute und eingerichtete Wohnhaus, wenn der große oder kleine Rinn­stein, der vor der Thür vorbeiführt, oder die Abtrittgrube unter meinem Fenster die Luft verpestet und ungesund macht, oder wenn nebenan eine Leimsiederei, Talgschmelzerei und dergleichen steht, durch deren Ausdünstungen die Luft ebenfalls in einer Weise ver­borben wird, daß man frank werden muß? Hier ist meine per­sönliche Bemühung um Fernhaltung dieser Schädlichkeiten ganz