ungenügend. Ich kann den Rinnstein vor dem Hause, in dem ich wohne, reinigen; aber wenn dies nicht allgemein geschieht, wird der Gestank deswegen doch nicht verschwinden. Ich kann hohe, helle Fenster und eine gute Ventilation in meinem Hause haben; meine Wohnung wird deshalb doch düster und feucht sein, wenn gegenüberstehende Häuser das meine einklemmen, von der Sonne absperren und ihm Luft und Licht abschneiden. Hier kann ebenfalls nur durch allgemein giltige gefeßliche Bestimmungen einem gefahrvollen wüsten Durcheinander vorgebeugt werden. Gesetzliche Bestimmungen sind hier nicht nur im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt, sondern auch im Interesse der öffentlichen Sicherheit, des öffentlichen Verkehrs und des öffentlichen Anstandes nothwendig, und zwar in um so höherem Grade, je größer der betreffende Ort ist. Es stellte sich daher schon früh die Noth­wendigkeit heraus, durch Aufstellung von allgemein giltigen Bau­regeln der planlosen Errichtung von Gebäuden vorzubeugen. Der ursprüngliche Zweck aller so entstandenen Bauordnungen war demnach, zu verhindern, daß zum Nachtheile der öffentlichen Wohl­fahrt, der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Verkehrs und Anstandes gebaut werde. Bis zu einem gewissen Grade tritt dieser Zweck auch bei allen Bauordnungen zu Tage; doch wäh= rend eine wirklich gemeinnüßige Bauordnung das Interesse der öffentlichen Wohlfahrt obenan stellen würde, ohne deshalb die Anforderungen der öffentlichen Sicherheit, des Verkehrs und des Anstandes zu vernachlässigen, haben viele Bauordnungen auf die öffentliche Wohlfahrt nur sehr wenig Rücksicht genommen, dagegen ihr Hauptaugenmerk, je nach den Sonderinteressen der augen­blicklich maßgebenden Persönlichkeiten, auf andere Dinge, sei es auf die äußere Form, sei es besonders auf die Vorkehrungen gegen Einsturz und gegen Feuersbrunst, oder auf die Errichtung von möglichst zahlreichen und großen Gebäuden auf dem möglichst kleinen Raume gerichtet. Obwohl die nach dergleichen Grund­sätzen errichteten Wohnungen für die Besitzer den Vortheil haben, daß sie eine höhere Rente abwerfen, so verschlechtert sich doch dabei der Gesundheitszustand der betreffenden Miethsbevölkerung in so erschreckender Weise, daß einsichtige Behörden sich trotzdem entschlossen haben, der vernachlässigten öffentlichen Wohlfahrt eine größere Aufmerksamkeit in den Bauordnungen zu widmen, auch wenn damit eine Verminderung des Gewinnes der Grundbesizer verknüpft ist.

In der That, wenn die Staatsbehörde sich erst einmal von der Nothwendigkeit überzeugt und sich entschlossen hat, gegen den Verkauf verfälschter und verdorbener Nahrungsmittel einzuschreiten, den Verkauf von mit Arsenfarben gefärbten Tapeten und Kleidern zu verbieten, so darf sie auch nicht zugeben, daß das tausendmal mörderischere schleichende Gift einer finstern, feuchten, engen und mit verdorbener Luft erfüllten Wohnung Jahr um Jahr seine Opfer dahinraffe.

Es waren englische Behörden, welche zuerst entschiedene Maßregeln in dieser Beziehung ergriffen; ihrem Beispiel folgte bald Frankreich nach, während wir bei uns in Deutschland kaum von Anfängen sprechen können. Die Verheerungen, welche durch Cholera und Typhus in den großen englischen Städten in den Jahren 1832-37 angerichtet wurden, veranlaßten die Em­setzung eines Untersuchungs- Ausschusses des Unterhauses, und in folge der Berichte dieses Ausschusses fam die Act for promoting the Public Health( Gesetz zur Beförderung der öffentlichen Gesundheit) am 31 August 1848, und die Act for the more speedy Removal of certain nuisances and the Prevention of contagious and epidemic diseases( Gesetz für die schnelle Wegschaffung gewisser Schädlichkeiten und die Vorbeugung an­steckender und epidemischer Krankheiten) am 4. September 1848 zu Stande, in denen das General Board of Health( allgemeine Gesundheitsamt) errichtet wurde. Hierauf folgten bald andere Gesetze, so 1853 das betreffend die Common lodging houses ( gemeinsamen Logirhäuser), 1858 die Local Government Act ( Gesetz über die Ortsverwaltung), 1863 die Artisans' dwellings Act( Gesetz über Handwerkerwohnungen) und besonders für die Hauptstadt die Metropolitan Buildings Act for London ( Haupt­

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städtisches Gebäudegesetz für London ) und die Act for the better Local Management of the Metropolis( Gesetz für bessere Lokal­verwaltung der Hauptstadt), durch welche die früheren Verord­nungen erweitert und verbessert wurden.

Diese Gesetze bezogen sich zunächst nur auf die Städte mit über 10,000 Einwohnern; sie ordnen für dieselben nicht nur die sanitäre Beaufsichtigung der Neubauten, sie sorgen auch für die Durchführung der Gesundheitsregeln in schon bestehenden Wohn­häusern, setzen die Marimalzahl der Bewohner für die Wohnungen fest u. f. w.. fest u. f. w. Sie ermächtigen die Gemeinden, behufs Ausführung dieser Bestimmungen hohe Geldstrafen auf das Vermiethen von für ungesund erklärten Wohnungen zu setzen, nöthigenfalls deren Ab­sperrung, ja die exekutive Abänderung der Uebelstände, den Ver­kauf zum Abbruch, den Umbau oder Neubau zu verfügen. Von diesen Rechten machten die betreffenden Behörden einen umfassenden Gebrauch.

Frankreich zögerte nicht, dem von England gegebenen Bei­spiel zu folgen.. Am 20. Nov. 1848 wurde die Ordonnance concernant la salubrité des habitants( Verordnung, betreffend die Gesundheit der Einwohner) erlassen, und am 13. April 1850 bie Loi relative à l'assainissement des logements insalubres ( Gesetz, betreffend die Gesundmachung ungesunder Wohnungen). Durch die Verordnungen vom 15. Dezember 1851 und 23. No­vember 1853 wurde die Errichtung von Conseils d'hygiène et de salubrité( Gesundheitsräthe) in allen großen Städten ver­fügt, denen sich für die Departements Generalräthe und in Paris ein Central- Gesundheitsrath( Conseil central de salubrité) an­schlossen. Außerdem wurde für Paris noch eine besondere Com­mission des logements insalubres( Kommission für ungesunde Wohnungen) errichtet, der namentlich die Aufgabe zufiel, die un­gesunden Wohnungen herauszusuchen und die Mängel derselben den Besitzern und dem Conseil municipal mitzutheilen.

Die heilsamen Wirkungen aller dieser gesetzlichen Bestim mungen zeigten sich bald. Die Commission des logements insalubres in Paris fand z. B. allein in den Jahren 1857-59 1645 ungesunde Wohnungen. Von diesen wurden auf den bloßen Rath und die Mahnung der Kommission 1097 Wohnungen oder 66,6 pCt. freiwillig verbessert und in gesunden Zustand versetzt, 247 Sachen wurden vom Conseil municipal entschieden und nur 41 gingen bis zum Conseil de préfecture und 45 vor das Tribunal. Diese 1645 beanstandeten Wohnungen beher­bergten mehr als 70,000 Menschen, worunter viele Greise und Kinder, für welche die Wohnungsschädlichkeiten besonders nach­theilig sein mußten und deren Loos auf diese Weise wesentlich gebessert wurde. Diese Ergebnisse spornten den Eifer der Be­hörden zu noch größerer Thätigkeit an. In den Jahren 1860 61 wurden 1571 und in den Jahren 1862-65 nod) 13,950 Woh­nungen von der Commission des logements insalubres als ungesund bezeichnet. Von diesen 13,950 beanstandeten Wohnungen wurden 12,253 oder 87,8 pet. freiwillig in gesundheitsdienlichen Zustand versetzt und nur 1617 mußten durch Anordnungen des Munizipalraths und 80 durch Befehl der Präfektur entsprechend hergestellt werden. So nimmt auch der Widerstand der Bevöl­ferung gegen neue Maßregeln der Behörden bald ab, wenn dieselben nur wirklich gemeinnüßig sind.

In England war die wohlthätige Wirkung der erwähnten Gesetze nicht weniger großartig. Wie Dr. Chalibaeus in Dresden mittheilt, tamen im Jahre 1850 in London in einem einzigen Public lodging house( öffentliches Logirhaus, Hotel garni) allein 20 Todesfälle an Typhus und verwandten epidemischen Krank­heiten vor. Im Jahre 1853, nachdem diese Logirhäuser den sanitären Bestimmungen entsprechend hatten umgestaltet werden müssen, kamen unter den 30,000 Personen, die in denselben be­herbergt wurden, im Ganzen nur 10 Todesfälle durch typhöse Krankheiten vor. Während ferner im Jahre 1854 in ganz London auf 10,000 Bewohner 44, in den schlechtesten Stadt vierteln sogar 259 Todesfälle tamen, war sie grade in den Logir­häusern, obgleich deren Bewohner sich hauptsächlich aus den schlech­testen Stadtvierteln rekrutiren, 8 auf 10,000. ( Fortseßung folgt.)