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Abgerissene Bilder aus meinem Leben.

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Von Joh. Ph. Becker.

( Fortsetzung.)

Hierauf fing nun die Kupfernase so heftig und halsraspelnd, wie sonst noch nie, zu freischen an: Ei, ei, wie der verfluchte Gaudieb auf einmal so fromm thut, als wenn er der Pfarrer von Epstein wär', und als wenn man nicht wüßte, daß dieser Strauchmörder schon früher zwei Jahr' im Zuchthaus von Kaisers­ lautern am Spinnrad gebrummt hätt'. Ja, wenn so ein General­strolch freigesprochen werden thät', so bekämen wir andern brave Leut' über unsere Freisprechung hinaus noch ein gutes Trinkgeld und ein Ehrenkreuz heraus."" ja, dir wünsch' ich ein gutes Trinkgeld, daß du dich todt schnapsen könnt'st und bald ganz die Kränk am Leib hätt'st, du miserabeles Buchsmasergesicht," er­widerte, ergrimmt thuend, der Gaudieb, unter allgemeinem Hohn­gelächter, Zischen und Pfeifen der Andern, wie bei einem Theater­Fiasto. Nun, da soll doch ein Kreuzheiligdonnerwetter so eine lumpige Boutik zusammenschmeißen, wo da jeder Spizbub' un­schuldig sein will," schrie jetzt ein vierschrötiger Küferbursche, mit mächtiger Faust durch die Luft hauend, in den Heidenlärm hinein. Ja," fuhr er fort, ihr seid lauter Heuchler und Großmäuler; ich sag's frei heraus, ich bin nicht unschuldig, ich will auch nicht unschuldig sein, ich bin froh, daß ich schuldig bin. Da hab' ich Da hab' ich vor unserm Haus auf der Gass' einem großen Faß die Reif' angetrieben und dabei das Freiheitslied gepfiffen.

" Der Hauptmann, der lebe, der geht uns fühn voran, Wir folgen ihm muthig auf blut'ger Siegesbahn, als grad' zwei Gensbarmen vorbeimaschirt sind, die mir gesagt haben, ich sollt's Maul halten, das wär' ein verbotenes Lied, das ich pfeifen thät'. Drauf hab' ich gesagt: Nun, wenn man nimmer pfeifen darf, so will ich auch Eins singen, und hab' auch gleich angefangen:

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Fürsten zum Land hinaus,

Jezt kommt der Völkerschmaus; Aristokraten werden gebraten,

Fürsten und Pfaffen, die werden gehängt.""

Da wollten sie mich gleich paden; ich aber war nicht faul, und hab' ihnen mit meinem Küferhammer auch die Reif' angetrieben, daß sie ihr Lebtag an mich denken werden. Gestern Morgen sind sie aber, wo ich schon gar nicht mehr an den Spaß gedenkt hab', ihrer sechs gekommen, haben mich aus dem Bett geholt und da in diesen Brummkasten gesteckt. Wenn ich aber wieder draus bin, und es kommen mir noch einmal so ein Paar bayrische Pappjäd' in den Weg, so hau' ich sie lererweich, und wenn mich's auch das Leben kost't; ich will ein freier Mann sein und immer für die Freiheit kämpfen." Ja, der hat Recht!" Da bin ich auch dabei!" und Ja, so muß es kommen!" riefen nach einander verschiedene Stimmen. Doch ein mir eben näher getretener Ge­nosse sagte mir halblaut: Der Küfer gehört gewiß zu der Schreckensmännerbande, die schon seit Jahr und Tag um Franken­ thal herumhaust und wo einer Namens Schanfilp( Jean Philipp) der Hauptmann davon ist." Das ist wahr," begann jetzt mein linksseitiger Rebenmann mit noch leiserer Stimme, aber um so wichtigerer Miene, den Schanfilp hab' ich schon gesehen( er log natürlich), das ist ein wahrer Herrgottsaferment, ein Kerl wie ein Ries', und wenn der Einen packt, so wirft er ihn über sechs Tisch' hinaus. Ja, der hat die Tausendkränk im Leib und ist noch ärger als der Hesselt( ein Räuberhauptmann), dem sie in Mainz den Kopf' runtergeschlagen haben." Hiermit erfuhr ich über einmal, daß ich schon eine ganz rührende legende hinter mir hatte, was mich bei meiner damaligen Eitelkeit auf meine Leibes­stärke nicht wenig entzückte, obwohl ich dabei die Vergleichung mit einem so greulich berüchtigten Räuberhauptmann mit in den Kauf nehmen mußte. Doch sollte ich jetzt nicht lange solch süßer Berzückung überlassen bleiben, denn eben trat ein kleines, jedoch ziemlich wohlbeleibtes und feingekleidetes Männchen, nicht wenig zubringlich, dicht an mich heran, das, bei mit Baumwolle über­

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mäßig verstopften Ohren, beständig aus seinem rothumflossenen linken Auge helle Thränen fließen ließ und, indem es sich an meinen Rockknöpfen festhielt, mir geiferspritzend und mit widerlich heiserer Stimme in's Ohr sagte: Wir sind hier unter gefähr­lichen Leut'!" Ohne aber das Ende der ekligen Ohrenhüſtelei abzuwarten, rief ich, mich barsch losschüttelnd, laut ihm zu: Nun, so erzählen Sie auch einmal etwas von Ihrer Unschuld, vielleicht trägt Ihr gutes Beispiel etwas zur Besserung dieser gefährlichen Leute bei." Nach einigem Befinnen begann denn auch das Angst­meierchen: Großer Gott, was soll ich sagen von meiner Un­schuld? Es muß doch Jeder sein unschuldig, wenn er nicht kann sein schuldig. Ich soll haben geschrieben einen falschen Wechsel; wie kann ich aber schreiben einen falschen Wechsel, wenn ich nicht fann schreiben einen Buchstaben? Es ist grad', als wenn Einer bätt' keine Händ' und man thät sagen, er hätt' gestohlen einem Andern das Geld aus dem Sack. Behüt' mich Gott vor falsche Wechsel! Aber die Richter werden mir auch helfen heraus, denn wie mancher ist darunter, dem ich hab' gepumpt blankes Geld, und schöne Kleider, als er noch war armer Student"" Potz Himmeljakrament! Da hört einmal das arme Schmulchen, das immer mit dem einen Auge weinen und mit dem andern gleich­zeitig lachen kann, und das sich stets die Ohren verstopft, damit es nichts hört, wenn ihm Einer, den es betrogen hat, zuruft: Hepp, hepp, Spizbubenjud'!"" rief ihm ein bisher stumm ge­bliebener, äuße st blasser und hagerer Stubengenosse entgegen und fügte bei: Wenn du auch einmal einem von den Richtern Geld gepumpt hast, so hast du ihm gewiß dus lauter Freundschaft solche Wucherzinsen abgeschunden, daß ihm die Augen übergegangen sind und er dich nun aus purer Erkenntlichkeit, Wurst wider Wurst, gehörig verknurren helfen wird."" Allmächtiger Gott, ich und Wucherzinsen! Du weißt, wie oft ich keine Zinsen und kein Kapital mehr hab' gesehen und wie ich immer gethan Guts den armen Leut'!" entgegnete weinerlich der auch sonst noch sichtbar beklemmte Unschuldsbetheuerer. Rasch warf ihm jedoch der Hagere folgenden Hieb in's Gesicht: D, du von aller Welt verfluchter Prozentenkrämer! Lass' doch einmal den Herrgott aus deiner schwarzen Wasch', der kümmert sich nicht so viel um dich, als du dich um deinen gespickten Geldsack. Du hast nie etwas ge= schafft, hast Zinsen sammt kapital verloren, hast den Armen Gut's gethan, bist vom armen Betteljud' ein reicher Geldjud' geworden; wie hast du's denn gemacht, wenn nicht gestohlen? Dagegen hab' ich zwanzig Jahr' lang Tag und Nacht geschafft, den Webstuhl getreten und das Schiffchen gestoßen und bin immer ein armer Leineweber geblieben." Während nun auf diese derbe Lektion der ehrliche Sjaak seine linksäugigen Thränen abwischte, sprach der vielgereifte Suppengerſtenhändler recht melancholischen Tones:" Ja, ja, das ist überall, wo man hinkommt, die gleiche Geschicht': der beutelschneiderische Faullenzer wird ein reicher Kautz und der fleißige Arbeiter bleibt ein armer Teufel. Drum hab' ich auch, als ich noch Mihlknecht war, gedacht, wie ist doch das Sprüchwort so wahr, daß, wenn Einer vom Arbeiten reich werden that', so wär' bald der Mühlesel reicher als der Müller. Und da soll man auch noch an einen Herrgott glauben? O, ich wollte, daß einmal ein rechter Teufel kam' und that' Alles zusammen­schmeißen." Es wird eben nicht besser gehen, wenn nicht wieder die Franzosen kommen," feste mit Prophetengeberde der lange Hausnerfrizz hinzu. Was Franzosen! immer warten auf die Franzosen! Wenn wir nicht bald selbst dreinschlagen, so hilft Alles nichts. Der Herrgott mag den Gendarmen gnädig sein, wenn ich wieder' raus tomm'!" schrie zornerglüht der Küferbursche dazwischen, über dessen Worte sich nun ein ebenso verwirrtes als beftiges Wortgezänt entipann, bis nach Ermüdung der erhitzten Schreihälse endlich allgemeine Stille eingetreten war.

( Fortsegung folgt.)