259
Abgerissene Bilder aus meinem Leben.
Von Joh. Ph. Becker.
( Schluß des ersten Bildes.)
Nachdem sich seine Aufregung etwas gelegt hatte, sagte ich zu ihm: ,, Aber, lieber Freund, wenn du deiner Unschuld gewiß bist, so darfst du auch der guten Hoffnung sein, freigesprochen zu werden und kannst du keinen Grund haben, schon im Voraus an aller Gerechtigkeit zu verzweifeln; denn es gibt noch Männer genug, die deine Unschuld mit ganzer Kraft vertheidigen werden; noch heute werde ich, wenn du willst, einen Rechtsanwalt hierher kommen lassen, der deine Vertheidigung mit Freuden und unent geltlich übernehmen wird."" Ach, Gott," wimmerte er mir entgegen ,,, bas nüßt ja Alles nichts, denn der Untersuchungsrichter hat ein Wort gesagt und das bedeutet gewiß Tod oder ewig, ja Tod oder ewig; o Lisbeth, Lisbeth, du gute Lisbeth!" Nach dem ich aus dieser Mittheilung ersehen, daß hier aller Seelen schmerz einem sicherlich mißverstandenen Worte geschuldet war, beeilte ich mich, ihm die Amtsbefugnisse des Verhörrichters auseinander zu setzen und möglichst klar zu machen, daß derselbe durchaus kein Entscheidungsrecht besitze, und ich ihm jetzt schon sicher versprechen könne, ihn von seiner Höllenpein zu erlösen, wenn er mir frei und offen den Hergang des ihm zur Last gelegten Verbrechens erzählen würde. Meine zuversichtliche, für ihn merkbar wohlwollende Sprache hatte ihn momentan auch derart beruhigt, daß er mir in ziemlich flarem Zusammenhang sein Schicksal wie folgt mitzutheilen begann:„ Ich bin Hufschmied und Bauer in Lambsheim und erst seit sechs Wochen mit meiner Lisbeth verheirathet, hab' von der Gemeinde gutes Zeugniß als friedlicher, fleißiger Mann. Dagegen hab' ich einen Nachbar, der in ganz Lambsheim als lüderlich und streitsüchtig bekannt ist und der mir auch schon öfters Stroh gestohlen hat. So bin ich am letzten Dienstag aus der Schmiede zu meiner Frau heimgekommen, und da hat sie mir gesagt, sie hab' gesehen, wie uns der Nachbar wieder Stroh gestohlen hätt', und das könnt' nicht so fortgehen. Drum bin ich auch gleich zu ihm' gangen und hab' ihm zum ersten Mal Vorwürf' gemacht und ihm mit einer Anklag' gedroht. Da hat er aber mich angefahren, als hätt' ich ihm gestohlen, und hat mir in seiner Grobheit und Bosheit sogar Prügel angeboten. Drauf bin ich verdrießlich in den Stall gegangen, seh' aber über einmal den Strohdieb mit einer Hacke in der Hand auf mich zuspringen, und da wollte ich schnell mit der Mistgabel ihm die Stallthür vor der Nas' zustoßen und fest zuhalten. Aber ach, die Mistgabel ist mir an der Thür abgerutscht und ihm in den Hals gegangen, daß er hernach bald todt war. Ach, da bin ich arg erschrocken und er hat mich recht gebauert; aber die Gensbarmen haben mich doch geholt, als wenn ichy's gern gethan hätt." ,, Aber, lieber, guter Mann," sagte ich ihm, wenn das Alles ist und sich's in Wahrheit so zugetragen hat, so brauchst du dir ja keinen Kummer zu machen, da will ich dir doch meinen Kopf zum Pfand setzen, daß du bald wieder zu deiner Lisbeth gehen fannst. Drum guten Muths, frisch aufgeschaut!" ja, das ist sicher, daß, wenn keiner von uns ' nauskommt, so kommt doch gewiß der Lambsheimer ' naus!" rief unter lauter Zustimmung vieler der Leidensbrüder unser Hammelpeter, während der alte Schnapslump hohnlachend dazwischen schrie: 3hr seid lauter verrückte Käuze; ihr seid froh, wenn ihr ' naus dürft, und ich bin froh, wenn ich drin bleiben darf." Indessen entgegnete der an seiner Unschuld verzweifelnde Hufschmied:„ Das wär' Alles gut, wenn nur der Untersuchungsrichter das böse Wort nicht gesagt hätt'; o, ich hab allemal, wenn er es hergesagt hat, ihm und seinem Schreiber am Gesicht angesehen, daß es Tod oder ewiges Gefängniß bedeutet; ach, Tod, ach Lisbeth!" Dabei wiederholte er die letzten Worte so oft und heftig wie ein wirklich Wahnsinniger, bis ihm völlig der Athem ausgegangen war und er, am ganzen Leibe zitternd, in Thränen gleichsam zerfloß. Beim Anblicke solchen Seelenjammers wurde es mir immer schwüler zu Muthe, ja es kam mir von Sekunde zu Sekunde der Zustand des Mannes bedenklicher vor.
Ich sah ganz deutlich ein, daß dieser arme Teufel blos ob einer falschen Vorstellung dicht an der Schwelle der Verrücktheit und des Todes angekommen war, und mußte ich so befürchten, daß das„ böse Wort" am Ende wirklich Tod oder ewig, d. H. lebenslängliches Irrenhaus, bedeuten könnte. Ich setzte mich sodann neben ihn auf die Fegfeuerbank"( wie sie einer der Verhafteten zum Unterschiede von der„ Höllenbank" im Zuchthaus genannt hatte), schlang ihm ganz brüderlich den rechten Arm um den Hals und explizirte ihm nochmals in treu pfälzischer Bauernmundart, wie der Untersuchungsrichter durchaus nichts in Strafsachen zu entscheiden habe, weder ein gutes, noch ein böses Wort einlegen könne, sondern nur treu und unparteiisch den Hergang eines anklagbaren Vorfalls aufzuzeichnen, zum Amtsberuf habe. Dabei bat ich ihn inständig, sich doch zu besinnen und mir zu sagen, wie das frembe Wort geheißen, um es ihm verdeutschen und ihn überzeugen zu können, daß es nicht, möge es heißen, wie es wolle, von irgendeinem Einfluß auf das alleingiltige Urtheil des Geschwornengerichts sei, und daß eben sein Urtheil nicht königliche, sondern bürgerliche Richter zu fällen hätten. Mit viel Verwunderung und Befriedigung nahm ich inzwischen auch die große Aufmerksamkeit und Stille wahr, mit der die sonst so arg lärmenden Zellenbrüder meinen Auslassungen gefolgt waren. Doch rief jetzt der Leineweber:„ Es ist ein wahres Glück, daß uns die Kostbeutel das Geschwornengericht nicht haben nehmen dürfen, weil's uns der Feldmarschall Blücher in seiner Proklamation versprochen hat, als er über den Rhein ' rüber kommen ist." „ Ja, die Altbayern , die sind mir schöne Kerle, die können ja nicht anders fluchen als, Jesus , Maria , Josef!'; die möchten Alles verbieten und einsacken, so haben sie auch die schwarzroth- goldnen Farben verboten und weggenommen, aber ich hab' heut noch eine Kokarde daheim in meiner Schublad', und die erwischen sie nicht!" fügte wildblickend und heftig gestikulirend der Küferbursche hinzu. Unser Hufschmied nun, der mittlerweile nachdenkend dasaß, sagte dann endlich mit stotternder Stimme: „ Ich besinn' mich und besinn' mich, und ich mag mich besinnen, wie ich will, ich bring's eben nicht heraus; das Wort hat mich immer so arg erschreckt, daß mir's immer gleich wieder aus dem Kopf gefahren ist." Er seufzte nun einige Male tief, erholte sich aber bald wieder und fuhr fort:„ Ich weiß nicht, wie ich's sagen soll, ich glaub' fest, daß es Kaboleon oder Wawoleon, oder sonst so was drum herum heißen thut; aber, ach Gott, ach Gott ! es bedeutet gewiß ein Unglück für mich." Nur durch freundliches Zureben, wobei ich ihn wiederholt mit der Hand über Stirne und Haupthaar streichelte, vermochte ich es zu verhüten, daß er nicht wieder völlig in die alte Misere gefallen. Auch versicherte ich ihm, daß, obwohl das Wort nicht so heißen könne, es mich doch auf die rechte Spur bringen werde, denn ich vermuthete jetzt, daß der Untersuchungsrichter einiges Privatgespräch mit seinem Sekretär geführt und Bezug auf irgendeinen Artikel des bei uns geltenden Gesetzbuches genommen habe und fragte deshalb:„ Hat er vielleicht gesagt Code Napoleon ?"" nein!" antwortete er mir jetzt unerwartet rasch, nicht Napoleon , das weiß ich schon, unter dem hat ja mein Vater und mein Schwäher die Schlacht bei Jena mitgemacht, und sie sagen, es wär' ein guter Kaiser geweft, und so kann er doch nichts Böses bedeuten; aber das andere, das Teufelswort, das ist gewiß mein Tod." Als er dann gleich wieder zu jammern und zu wehklagen anfing, rief ich ihm ganz heiter zu:„ Nur ruhig im Gemüth und ein wenig Geduld, Bruder Lambsheimer, wir werden das Verirwort schon noch herausbringen, und dann wirst du gleich einsehen, wie du deine Todesangst umsonst ausgestanden hast; erzähle mir doch einmal möglichst genau, was der Untersuchungsrichter seinem Sekretär zum Niederschreiben vorgesagt, wenn er das fatale Wort gebraucht hat, damit ich untersuchen kann, in welchem Bezug es zu deinen Aussagen gestanden haben mag. Du mußt deine grundlose Folterpein