es ist ein Verlust des wichtigsten wie größten Kapitals, welches ein Land besitzt. Alle diese so früh verstorbenen Kinder sind gleichsam eben so viele Gäste, die nur consumiren und an den Früchten der Arbeit der übrigen Gesellschaft Theil nehmen, ohne die enormen Summen, die für sie ausgegeben werden, durch ihre Arbeit ja wieder zu ersetzen. Denn der Mensch lebt während seiner ersten Lebensjahre auf Kosten der Gesellschaft, er kontrahirt eine Schuld, die er in späteren Zeiten zahlen soll, und stirbt er früher, so war sein Dasein eher eine Last als ein Gewinn für seine Mitbürger." Arbeitenden ,, Mitbürger" möchte ich ergänzen.

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Die Thatsachen, auf die ich in den vorstehenden Zeilen die Aufmerksamkeit des Lesers hingelenkt habe, sind zum größten Theil bereits an anderen Orten und von anderer Seite zur Sprache gebracht worden. Ich habe bereits erwähnt, daß der Reichstag des norddeutschen Bundes seiner Zeit dem Reichskanzler eine Petition zur Berücksichtigung überwiesen hat, welche das Ungenügende der bestehenden Baupolizeiverordnungen nachweist und eine Reform derselben erbittet; ferner, daß der Vorsteher der Berliner   Stadt­verordneten Herr Dr. Straßmann in seinem bereits erwähnten Vor­trage schon vor mehreren Jahren auf dieselben aufmerksam gemacht hat; ebenso daß der verstorbene Director des Berliner   statistischen Bureaus, Dr. Schwabe, dieselben bereits vor längerer Zeit sehr ausführlich dargelegt hat. Auch die städtische Armenverwaltung hat sich eingehend mit denselben beschäftigt. Doch was weiter?- Die englischen Arbeiter haben ein hartes aber bezeichnendes Wort, wenn sie gewisse Vorkommnisse bezeichnen wollen; sie sprechen dann von sozialem Mord." Was bedeutet dies Wort? Mord nennt man im gewöhnlichen Sprachgebrauch die mit Vor­bedacht ausgeführte Zufügung eines so schweren körperlichen Schadens, daß dadurch der Tod der Beschädigten herbeigeführt wird. Es ist hierbei gleichgültig, ob die That von einem Ein­zelnen oder von Mehreren gemeinschaftlich ausgeführt wird, ob sie durch Handgreiflichkeit oder durch Anwendung indirekter Mittel

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stattfindet. Hiernach ist es nur streng folgerichtig, daß es auch Mord genannt wird, wenn eine ganze Gesellschaftsklasse zu ihrem Sondervortheil Einrichtungen und Maßregeln trifft, von welchen Denen, die sie veranlaßt haben und geschehen lassen, bekannt ist, daß dadurch ein vorzeitiger und unnatürlicher Tod von Menschen herbeigeführt wird. Und es ist dies ebensogut Mord, wie der mit der Flinte oder dem Dolche ausgeführte, und auch dann noch, wenn diese Einrichtungen und Maßregeln durch die be­stehenden Gesetze nicht untersagt sind. Nur, sagen die englischen Arbeiter, ist es dann kein Word von bestimmten Individuen an bestimmten Personen verübt, sondern sozialer Mord," Mord, begangen von der machthabenden Gesellschaft an bestimmiten, dem gegenüber wehrlosen Klassen. Dieser Mord ist sogar weit schlimmer und verhängnißvoller, sagen sie, als der offenkundige Mord durch das Schwert; denn er kann lange Zeit hindurch begangen werden, ohne daß er bekannt wird, ohne daß also die Bedrohten sich vor demselben retten oder wehren könnten. Er scheint kein Mord, man sieht keinen Mörder, man schiebt vielleicht die That desselben lange Zeit ganz anderen Ursachen zu, weil der Tod des Schlachtopfers so natürlich aussieht und weil er durch keine direkte einzelne Handlung veranlaßt ist. Die eng= lischen Arbeiter behaupten nun, daß die moderne Gesellschaft diesen sozialen Mord Jahr aus Jahr ein in ausgedehntester Weise begeht, daß sie bestimmte Klassen in Verhältnisse bringt und in ihnen hält, in denen sie der nöthigen Lebensbedingungen entbehren und öfter erkranken und früher sterben müssen, als andere Klassen. Dabei, so behaupten sie weiter, kann nicht die Entschuldigung angebracht werden, daß den machthabenden Klassent diese Folgen ihrer Einrichtungen unbekannt seien, und daß die­selben nicht mit einigem guten Willen beseitigt werden könnten; denn erstens sind diese Folgen durch mehr als ein offizielles Dokument bekannt und zweitens sind schon bei kleinen Versuchen die glänzendſten Resultate in der Besserung erzielt worden. Ob wohl der von den englischen Arbeitern gebrauchte Ausdruck richtig ist, und ob man ihn noch lange wird gebrauchen müssen?

Major Davel.

Eine biographische Skizze aus der Schweizergeschichte des vorigen Jahrhunderts. Von Robert Schweichel  .

( Fortseßung.)

Unter dem Vorwande einer frühzeitigen Revue berief Davel die Mannschaft dreier Kompagnien seines Militärbezirks voll­ständig bewaffnet und equipirt auf den 31. März, Mittwoch nach Ostern, nach Cully  . Da aber die Milizen nicht verpflichtet waren, ihre jährlichen Waffenübungen außerhalb ihres heimath­lichen Kirchspiels vorzunehmen, so erregte dieser Befehl bei Haupt­leuten und Kirchspielvorstehern Bedenken. Nur der Hauptmann Clavel, Bannerherr von Cully  , deffen Kompagnie nebst der Davel's und des Hauptmanns von Crousaz das Elitencorps der Revo­lutionsarmee bilden sollten, versprach ohne Weiteres, sich ein­zustellen. Er sah in der Anordnung Davel's   nur eine Gelegen heit, mit den Herren Offizieren zu zechen. Gegen die Bedenk­lichen bemerkte Davel leichthin, diese allgemeine Musterung sei nöthig, damit er in Bern  , wohin er sich begebe, Bericht erstatten und die zu den Revuen erforderlichen Gelder in Empfang nehmen könne; dann sprach er davon, daß man wegen der Pest einen Grenzfordon zu ziehen beabsichtige auch sei die Rede von Be­wegungen und gegen diese hätte Bern   auf sein Ansuchen hin beschlossen, drei Kompagnien an die waadtländische Grenze zu beordern. Weitern Anfragen begegnete er in wohlwollend scherz­hafter Weise. Da er außerdem das Mitbringen von Munition nicht forderte, so beruhigte man sich schnell und am Morgen des 31. März standen die geforderten drei Kompagnien nebst zwölf Dragonern auf dem Exerzierplatz zu Cully  . Davel unterwirft die Truppen einer sorgfältigen Musterung; schickt die Leute, deren Kleidung und Waffen nicht in kriegsbrauchbarem Zustande sind,

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nach Hause, läßt die Munition aus den Patrontaschen entfernen und die geladenen Gewehre abfeuern. und die geladenen Gewehre abfeuern. Nun eröffnet er den Haupt­leuten, daß nach dem geheimen Befehl ihrer Excellenzen von Bern  die Revue in Lausanne   stattfinden und bis zum 2. April dauern würde, daß ihnen für den Tag eine außerordentliche Besoldung von 40 Bazen, eine verhältnißmäßige den Offizieren und fünf Batzen den Gemeinen ausgesezt wäre. Diese unerwartete Er­öffnung erregte neue Bedenken; die Hauptleute ziehen Davel in den Kreis der Offiziere und Milizen und fordern ungestüm, den geheimen Befehl zu sehen. Davel entgegnet ihnen furz: Wissen Sie nicht, daß ich Major Ihres Bezirks bin, daß mir in dieser Eigenschaft erlaubt ist, was ich thue, und auf welchem Fuße ich in Bern   stehe? Zu Pferde, meine Herren!" Und er selbst schwingt sich auf das ſeinige, befiehlt den Spielleuten anzuschlagen und unter Trommel- und Pfeifenklang sezt sich der Zug in Bewegung. ,, Sie übernehmen die Verantwortlichkeit für Alles!" rufen die beiden Hauptleute und folgen dem Beispiele ihres Vorgesezten.

Etwa gegen 3 Uhr Nachmittags hielt Davel   durch die Vor­ſtadt Etraz seinen Einzug in Lausanne  , daß durch die plötzliche Ankunft so zahlreicher Truppen in Bestürzung und Aufregung versetzt wurde. In der Rue de Bourg ward er von dem Con­troleur*) von Crousaz, dem als Major des Lausanner   Bezirks

*) Der Controleur, ein Beamter der Regierung, hatte die Sizungen des Magistrats zu überwachen. Gegen die Beschlüsse desselben stand ihm ein absolutes Veto zu.