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Die Rose.

Von Hugo Sturm.

( Fortseßung.)

Wie der Rose in der altdeutschen Voltsanschauung die Gabe der Vorherverkündigung des Todes beigelegt wird, so findet man dies auch in der christlichen Legendengeschichte. Zu Hildesheim , Lübeck und Breslau kündigte eine weiße Rose jedesmal einige Zeit vorher den Tod eines Domherrn an. Auf dem Stuhlsize oder unter dem Kissen dessen, dem der Tod bestimmt war, fand

sich regelmäßig diese Todesbotin. In Lübed wurde es infolge dessen Sitte, daß jeder Domherr, sobald er im Chore ankam, sein Kissen umwandte, um zu sehen, ob ihm vielleicht der Tod drohe. Nach der schwedischen Volkssage reicht die heilige Jung­frau den sterbenden Kindern eine Rose. Ob aber hiermit, was sehr wahrscheinlich ist, die sogenannte Rose von Jericho", die

George Sand . Originalzeichnung.( Siehe Seite 308.)

auch Auferstehungsblume heißt, oder eine wirkliche Rose gemeint ist, müssen wir dahingestellt lassen.

Doch auch mit dem bösen Geiste hat man die Rose in Ver­bindung gesezt. Müllenhoff erzählt in seinen Sagen aus Schleswig : ,, Als der Herr den Luzifer vom Himmel gestürzt hatte, wollte der Böse wieder hinaufkommen und schuf einen Strauch mit hohen graden Gerten, die voll Dornen waren. An denselben wollte er hinaufflettern, aber der Herr errieth seine Absicht und bog die Gerten abwärts. Da wurde der Böse sehr zornig und er bog auch die Dornen hernieder, so daß sie seit der Zeit herab­gekrümmt sind und alles festzuhalten suchen, was in ihre Nähe kommt. Nach einer andern Volkssage, soll sich Judas der Ver­räther an einem Hagedorn erhängt haben, seit welcher Zeit die

Dornen nach unten gerichtet sind. Hierauf bezieht sich auch der Name Judasbeere", wie man in Angeln die Hagebutten nennt.

Doch nicht allein die christliche Legende hat sich der Rose bemächtigt, auch die Anhänger Muhamed's wissen viel von ihr zu berichten. Auch hier ist eine Aehnlichkeit mit den Sagen des klassischen Alterthums nicht zu verkennen. Wie ja überhaupt der Islam eine Zusammenwürfelung des Heiden-, Juden- und Christenthums ist, so haben auch die Sagen desselben von allen Völkern etwas entlehnt. Ueber den Ursprung der Rose berichtet Soyuti: Als Muhamed zum Himmel emporstieg, fielen einige Schweißtropfen herab auf die Erde, daraus die weiße Rose auf­sproßte; aus denen aber, die Gabriel, sein Begleiter, vergoß, ward die rothe, und aus denen, welche sein Roß El Burat, auf