Oft drehte sich Kalab um und trat an seiren Schreibtisch, um die Landbriefe zu übernehmen; dann kehr'e er den sortirenden Beamten den Rücken zu, und diese hatten viel zu viel zu thun, um sein Treiben eingehender zu beobachten.

Im Frühjahr 1862 bemerkte der Briefträger Mermon, daß Kalab beim Sortiren jeden Tag und bei jeder Expedition mehrere Briefe nicht auswarf. Er konnte nicht glauben, daß Kalab, der schon etwa acht Jahre im Dienste war, bei einer so großen Menge von Briefen die Lage des Bestimmungsortes nicht kennen sollte, und vermuthete daher, daß Kalab vielleicht absichtlich die schwieriger zu sortirenden Briefe zusammensuche, um sie heimlich einem erst eingestellten jungen Beamten, mit welchem er sich nicht vertrug, zum Sortiren in die Hand spielen und diesem hierdurch Verlegenheiten zu bereiten.

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Bedenklicher wurde tem Briefträger Mermon die Sache, als er wahrnahm, daß Kalab, wenn er sich von dem Kontroleur beobachtet glaubte, keinen Brief zurückbehielt, sondern sie alle auslegte. Er sah von jetzt ab Kalab schärfer auf die Finger und überraschte ihn eines Tages dabei, als er auf dem Schreib­tisch ein Packet Briefe in einen Umschlag wickelte und dann in die durch eine Klappe verdeckte Deffnung steckte, welche in die erwähnte Lade mündete.

Gleich darauf nahm Kalab ein zweites Packet Briefe mit sich in das anstoßende Kanzleizimmer, wo sein Arbeitstisch hinter einem Mauerpfeiler stand und er unbeachtet von den Uebrigen manipuliren konnte.

Mermon theilte seine Entdeckung dem Kontroleur Kurzweil mit. Dieser überzeugte sich, daß in der verschließbaren Lade Briefschaften verborgen waren, die er indessen durch die ziemlich enge Oeffnung nur zu fühlen, nicht herauszunehmen vermochte. Der Kontroleur überwachte von nun an das Thun   und Treiben Kalab's genauer. Er bemerkte, daß am Nachmittag des­selben Tages das erste Packet in der Lade nicht mehr zu greifen war; am Abend aber wurde wiederum ein Packet an derselben Stelle gefunden.

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Am andern Tage es war der 8. April 1862 trat unter Zuziehung eines Polizei- Kommissars eine Kommission zu sammen. Kalab wurde, sobald er im Postgebäude erschien, der Schlüssel zu der verhängnißvollen Lade abgefordert. Er erschrat sichtlich und gestand nach kurzem Besinnen, er habe ein Packet Briefe durch die Klappe geschoben. Als man die Lade öffnete, fand sich das Packet, aus 24 Briefen bestehend, die sämmtlichy am Tage zuvor aufgegeben worden waren. In dem Arbeits­tische, den Kalab benutzte, wurden ebenfalls gleichzeitig 44 Brief­packete entdeckt. Kalab räumte solchen Thatsachen gegenüber ein, daß er allerdings seit den lezten drei Monaten beim Sortiren öfter Briefe entwendet, geöffnet und ihres Inhalts beraubt habe. Er wollte sich auf diese Weise 300 Gulden zugeeignet haben.

George Sand  ( siehe Seite 304) ist der Schriftstellername der bei allen Kulturvölkern hochberühmt gewordenen französischen   Schriftstellerin Aurore Amandine Lucile Dudevant, die am 5. Juni des Jahres 1804 als die Tochter des kaiserlichen Offiziers Dupin, eines Nachkom­mens des Marschalls Moritz von Sachsen  , und einer Zigeunerin, zu Paris  geboren ward. Kaum 20 Jahre alt, vermählte sie sich mit dem Baron Casimir François Dudevant  , mit dem sie auf dem von ihrer Großmutter geerbten Gute Nohant in Berry in beständiger Disharmonie lebte. Schon im Jahre 1831 trieben sie die ihr immer lästiger werdenden Familienverhältnisse nach Paris  , wo sie die Hälfte jedes der nächſt­folgenden Jahre, von ihrem Gatten getrennt, ernsten Studien sowohl als von vornherein auch der Schriftstellerei oblag. Ihr erster Roman Rose et Blanche" hatte geringen Erfolg, dagegen machten die 1832 veröffentlichten Indiana  " und" Valentine" durch die Originalität der darin zur Geltung gelangenden Ideen und die Kühnheit, mit der die selben ausgesprochen wurden, bedeutendes Aufsehen. Von dieser Zeit an entströmten der fruchtbaren Feder der Dichterin in rascher Folge eine lange Reihe von Romanen und Novellen, in denen sie in sehr radikaler Weise die Lösung sozialer Probleme versuchte und der Frauen- Eman­zipation geistsprühend das Wort redete. Im Jahre 1836 segte sie die vollständige Trennung ihrer Ehe durch und lebte fortan abwechselnd in der Schweiz  , in Nohant   und Paris  . Auch dem Drama widmete sie

Verantwortlicher Redakteur: W. Liebknecht in Leipzig  .

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Die einer sofortigen Revision unterzogene Hauptkasse zum Klein­verschleiß von Marken war in Ordnung, der Markengroßverschleiß dagegen wies einen Mehrbetrag von 117 Gulden nach, der den bestehenden Vorschriften gemäß für den Postfiskus eingezogen wurde.

Kalab gab zwar zur Erklärung dieses Ueberschusses an, er habe seinen letzten Gehalt nebst Quartiergeld in diese Kasse ge­than; er wurde aber sofort der Lüge überführt, denn der Bureau­diener Scheinlein, von dem Kalab kurz zuvor 100 Gulden, an­geblich zur Ergänzung seiner Dienstkaution, geliehen, hatte Gehalt und Quartiergeld erhoben und sich damit bezahlt gemacht, Kalab waren nur wenige Gulden übrig geblieben.

Von der Kommission aufgefordert, sie in seine Wohnung zu geleiten, wurde Kalab immer unruhiger. Er schickte sich zwar an, dem Befehle Folge zu leisten und führte die Beamten bis zum Bürgerhospital; dort aber brach er zusammen und bat den Polizeikommissar, ihn in das Postgebäude zurückzubringen; er wolle Alles gestehen. Die Kommission beharrte darauf, zunächst seine Wohnung zu durchsuchen, die ja, wie er selbst angegeben, im Bürgerhospital sein sollte.

Jetzt ergab sich aber, daß er gar nicht im Bürgerhospital, sondern in der Vorstadt Neubau" wohnte. Er konnte nicht länger ausweichen, und bald war man an Ort und Stelle. Das von Kalab gemiethete Zimmer lag nach dem Hofe hinaus. Es war sehr eng, nur 2/2 Klaftern lang und kaum 1 Klafter breit. Das Meublement bestand aus einer Kommode mit 4 Kästen, einem Trumeau nebst Schubfach, einem Stehfasten, einem eisernen Ofen, einer Bettstelle, einem Nachtkasten, einem Lederkoffer und mehreren Stühlen. Ein Tisch war nicht vorhanden. Kalab hatte letzteren entfernen lassen, um sich freier im Zimmer bewegen zu können. Er wurde nunmehr angewiesen, alle verschlossenen Behälter zu öffnen, und die Entdeckungen, die man nun machte, überſtiegen auch die kühnsten Erwartungen. Stehkasten, Koffer, das Schubfach im Spiegel waren vollgestopft mit Briefpacketen. Man zählte nicht weniger als 1659 Packete zusammengebundener Briefe! Gleichzeitig fanden sich gegen 500 Billets, 100 Photo­gramme, viele Muster, ausgeschnittene Vignetten Alles offenbar Einlagen von Briefen vor.

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In der Stube standen Schachteln, in denen Silbergeld und eine große Menge von Briefen abgelöster Marken aufbewahrt wurden. Auf dem Stehkaften erblickte man 28 Flaschen Eau de Cologne  .

Kleider und Wäsche besaß Kalab fast gar nicht; dagegen ent­hielten die oberen Kommodenkästen eine ziemliche Sammlung schön gebundener, größtentheils mit Goldschnitt versehener Bücher, meist belletristischen Inhalts; darunter die Werke von Goethe, Schiller, Shakespeare  , Körner, Platen, Rückert, Lenau  , Anastasius Grün 2c.  , ferner Bilderwerke, z. B. ein Album für Deutschlands   Töchter. ( Fortseßung folgt.)

sich während mehrerer Jahre fast ausschließlich, aber mit weniger Glück. In ihren während der sechziger Jahre erschienenen Arbeiten begnügte sie sich damit, poetische Unterhaltung zu gewähren, aber die meister­hafte Komposition und die sprudelnde Lebendigkeit der Ausführung ließen auch hier das selten erreichte Genie der Verfasserin erkennen. Am 8. Juni d. J. 10 Uhr Morgens starb. George Sand   in Nohant  . Xz.

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Eine hübsche Geschichte( siehe Seite 305), nach einem Gemälde von Leo Herrmann. Ein sprechendes Bild fürwahr, das jeden Erklärungsversuch beinahe zu einer Beleidigung für den Künstler macht. Ein sprechendes Bild? Nein, eigentlich nicht, denn es zeigt ja die Wirkungen des Sprechens das Sprechen ist schon vorüber. Ein lachendes Bild ist's; so recht französisch heiter lachend: Alles lacht auf dem Bilde; das Pfäfflein zur Linken, das die ,, hübsche Geschichte" erzählt hat, lacht selbstgefällig in sich hinein, seines Erfolgs" sich freuend; das Pfäfflein zur Rechten lacht aus voller Brust heraus wir hören ihn ordentlich wiehern. Sogar die im Kühler stehende Flasche mit der Karaffe lacht uns an. Und die hübsche Geschichte"? Ob's wohl auch eine saubere Geschichte gewesen ist? Quien sabe wer weiß, sagen die Spanier.

Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .