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II.
Am Abend kamen Wilhelm und ich wieder zusammen. Er warf ein halb Dutzend erbrochener Briefe auf den Tisch. Ich überzeugte mich, daß es durchweg sehr schmeichelhafte Schreiben von Theaterdirektoren waren, die meinen Freund ersuchten, ihnen das Aufführungsrecht seiner Possen gegen ein mehr oder minder hohes Honorar zu überlassen. Ich erstaunte. Die Briefe waren voll von Höflichkeiten.
,, Höflichkeit gegen seine Kollegen ist eine der ersten Tugenden des Geschäftsmannes!" rief Wilhelm aus.„ Ich fabrizire die die Waare zu Engros- Preisen, sie verschachern sie en détail. Voilà tout. Gott Apoll hat mit meinen Musenkindern nichts zu schaffen, ihr natürlicher Vater ist Merkur ."
,, Wenn deine Luftspiele nun legitime Apollokinder wären, wie hoch würde sich dann ihr Preis belaufen?" fragte ich.
Soll ich erklären, was pikant ist, was eine pikante Soubrette ist? Ich kann nur durch Aufzählung einiger Einzelheiten diesen Begriff angefähr illustriren. Eine Bühnendame, die ihr holdes Antlitz, gleichviel, ob es niedlich, schön, unregelmäßig, bleich, klug, dumm oder sonstwie erscheint, dem Publikum so, wie es ihr von der Natur geschenkt worden ist, präsentirt, entbehrt jeglicher Pikanterie, wenigstens in den allermeisten Fällen. Diejenigen aber, welche eine Maskte von Schminke vorbinden, eine Maske, welche wir an den Wachsköpfen in Friseurladen bewundern können, diejenigen werden mit dem Epitheton, pikant' belegt. Dieses Wort bedeutet in der deutschen Uebersetzung soviel wie, reizend', stechend' ( in die Augen stechend) ,, interessant. Man sollte denken, alle diese Ausdrücke paßten am besten auf ein Frauenantlitz, das sich durch eigenthümliche Gesichtsbildung auszeichnet und durch dieselbe sich von anderen Gesichtern unterscheidet. Es findet aber grade der umgekehrte Fall statt. Wer häufig verschiedene Theater besucht, ,, Gewöhnlicher Preis gleich Minus! Ich halte mich für findet ja bald heraus, daß die pikanten Masken sich auf ein Haar teinen großen Dichter, aber doch für einen solchen, der in be- ähneln. Abgesehen von den Charakter- und Karrikaturmasten, günstigten Momenten Besuche einer wirklichen Muse erhalten hat. welche von Damen selten benutzt werden, gibt es nur drei Arten Alle jene Poesien, die ich unter ihrer Anleitung mit meinem pikanter Masken' resp. Frisuren, das sind die heroische, die sentiHerzblut niedergeschrieben habe, in welche ich das Edelste, was mentale und die naive. Ach, und grade die letztere, welche der ich besize, die Gefühle und Gedanken meines besseren Ichs Natur am nächsten kommen sollte, sie ist diejenige, welche von hineingelegt habe, haben weder die geringste Anerkennung, noch derselben am weitesten abweicht und auf allen Bühnen, fast bei den kleinsten Heller Belohnung eingetragen. Das ist eine bittere allen Soubretten denselben stereotypen Ausdruck eines übertünchten Erfahrung, die wohl schon mancher Dichter gemacht hat, ehe er Pariser Lorettenantliges trägt. Die modische Frisur, die feuchtsich grade so wie ich- entschloß, dem Publikum die alte glänzenden Augen, welche zauberisch aus dem gemalten Dunkel gewohnte Speise in traditioneller Form unter einer neuen Etikette hervorblicken, die langgezogenen Augenbrauen, die schlanke Nase zu bieten. Ach, uns Dichtern, die nicht über eine eminente Be- mit dem weißen Kreidefleck auf der Spitze, die aufgeworfenen gabung oder über Protektion zu gebieten haben, geht es mit dem rothen Lippen und die falschen weißen Zähne, dazu die koketten großen Publikum, ebenso wie den Predigern mit ihren treuen einstudirten Kopfnickereien, ein gewisses Zappeln in Händen und Gemeindemitgliedern. Letztere finden nur die Predigt schön und Füßen, desgleichen im Ausdruck und Ton der Sprache, fingirte vortrefflich, welche ihnen nichts Neues bringt, sondern in schwung-, findliche Heiterkeit dies Alles zusammengenommen kennzeichnet voller Weise Altbekanntes sagt. Nur dieses können die denkfaulen , geliebten Zuhörer begreifen und kontroliren. Und in dem Kontroliren gipfeln sich die höchste Andacht und die süßeste Erbauung. Doch, wo gerathe ich hin? Ich wollte dir ja erzählen, wie die Abwesenheit eines tiefausgeschnittenen blauseidenen Kleides das Fiasko eines Theaterstücks zur Folge haben kann!
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,, Wenn ich in dem genannten Falle darauf bestehen würde, daß die Tochter unbemittelter Eltern sich dem Publikum nicht in so eleganter Kleidung präsentire, so würde die Soubrette vielleicht vor Aerger frank werden und dadurch die Aufführung des Stückes hintertreiben. Das wäre vielleicht noch das Beste, was geschehen könnte für sie, für mich und für das Stück. Ordnet sich die junge Dame jedoch aus besonderer Liebenswürdigkeit meinem Willen unter, dann könnte ich mindestens auf eine sehr laue Aufnahme des Stückes rechnen. Die meisten, Repertoirund Zugstücke, werther Freund, welche über die deutsche Bühne gehen zu diesen rechne ich auch die meinigen haben fast gar keinen ethischen und poetischen Werth, durch welchen sie direkt auf das Publikum wirken könnten. Sie werden allein genießbar durch die vielen Zuthaten der Musikanten, der Dekorationsmaler und der Schauspieler selbst. Schauspieler können durch stereotype Geberben und Rebensarten, welche sie, unbeirt durch den Inhalt der Rolle, einflicken, die Heiterkeit des Publitums ecregen; Schauspielerinnen wirken hauptsächlich durch ihre äußere Erscheinung, die in der That nur eine äußere ist, zusammengesezt aus dem modischen Faltenwurf eines hübschen Kleides, Schminke, ausgestopftem Schnürleibe, zierlichen Stiefelchen, thurmhoher Frisur, angemalten Augenbrauer: 2c 2c. Es versteht sich von selbst, vorzüglich bei Soubretten, daß die Erscheinung eine hübsche sein muß. Hübsch ist aber in den Augen des Publikums kein mit ästhetischem Maßstabe meßbarer Begriff, sondern reduzirt sich hinsichtlich der Kleidung und der Frisur auf den Begriff, modisch', hinsichtlich der Tournüre und des Gesichts auf den Begriff, pikant'.
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sowohl die Dirne des Quartier Breda , wenn es gilt, einen neuen Liebhaber zu erobern, als auch die deutsche Soubrette( in ihrer Mehrzahl), welche auf der modernen Bühne, es koste, was es foste( nämlich Naturwahrheit und Anständigkeit des Benehmens), sich die Gunst des Publikums erringen will. Also diese stereotypen Bewegungen, Masken und Frisuren nennt man pikant, ganz besonders dann, wenn sie auch elegant sind. Pikanterie ohne wirkliche oder Goldpapiereleganz findet man jetzt selten, nicht nur, weil die Eitelkeit der Schauspielerinnen den Lurus nicht entbehren zu können glaubt, sondern auch weil das Publikum selbst diese Augenweide peremtorisch verlangt. Ja, Gott sei's geklagt, das Publikum verlangt auf der Bühne Puppen und keine wahren, natürlich sich bewegenden und sprechenden Menschen. Nur wenigen hervorragenden Talenten an einzelnen Theatern, die sich ein distinguirtes Publikum erzogen haben, gelingt es heutzutage noch, durch freies und charakteristisches Spiel die Zuhörer zu erwärmen. Ueberall sonst Schablone! Schablonenhaft sind die Rollen in einige wenige Kategorien eingetheilt, und schablonenhaft spielt die heroische, ernste, sentimentale oder naive Liebhaberin eine Rolle wie die andere, mit denselben Mätzchen, denselben widernatürlichen Nüancen 2c., mit derselben Frisur und Maske und denselben stets widerkehrenden Variationen in Ton und Sprache. Und wenn in dieser Weise der Charakter einer Rolle in lauter Aeußerlichkeiten verflüchtigt ist, da kann man unmöglich verlangen, daß die Kleidung einigermaßen charakteristisch ist. Das tiefausgeschnittene blauseidene Kleid gehört zwar nicht in die von mir geschriebene Rolle, aber es gehört zu der Schauspielerin, die eine seltsame Figur ohne dasselbe sein würde. Sie würde sich ohne dies Kleid mißfallen, würde Laune und Lust verlieren, und das Publikum bliebe kalt."
,, Du sprichst ein sehr hartes Urtheil über die modernen deutschen Schauspieler und Zuhörer aus!" fiel ich Wilhelm in die Rede. ( Schluß folgt.)