gewesen und deshalb nur des Diebstahls, nicht des Mißbrauchs der Amtsgewalt schuldig zu sprechen sei. Der Gerichtshof trat indcß dieser Meinung nicht bei, sondern vcrurtheilte den An­geklagten wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt; er ging davon aus, daß Kalab die Briefe und Kreuzbandsendungen nicht entwendet, nämlich nicht auS eines Andern Besitz entzogen, sondern sie kraft seiner Amtspflicht beim Sortiren an sich genommen, widerrechtlich geöffnet und dann behalten habe. Eine Amtsveruntreuung hielt das Landgericht nicht für er- wiesen, weil die Veruntreuung die Ucbergabe eines Gegenstandes voraussetze, und dem Kalab die Briefe nicht übergeben, sondern von ihm nur in Gegenwart anderer Beamten zum Zweck der Sortirung in die Hand genommen worden seien. Dem Antrage der Staatsanwaltschaft, dem Angeschuldigten das höchste Strafmaß zuzuerkennen, entsprach das Gericht,denn," sagte es in den Gründen,wenn ein Verbrecher schon strafbar ist, der die begrenzten Folgen seiner Handlungen übersieht, so müssen Handlungen, wie jene Kalab's, welcher deren Tragweite zu überblicken nicht im Stande war, ihm umsomehr als strafbar angerechnet werden, weil er die Gefahren, welche daraus für den öffentlichen Verkehr, für den Kredit einer öffentlichen Anstalt im In- und Auslande, für den guten Namen seiner Mitbürger und Amtsgenossen, für das Wohl einzelner Familien entstehen konnten und zum Theil wirklich entstanden sind, ganz unbeachtet gelassen hat." Ferner wurden die reifliche Ueberlegung und geflissentliche Vorbereitung der That, die zahllosen Angriffe Kalab's auf die Briefsendungen, die Höhe des Schadens, das öffentliche Aergerniß und die frechen Lügen des Verbrechers als Straferhöhungsgründe geltend gemacht.

Plaudereien über das deutsche i ii. (Schluß.) O, es kommt noch besser! Da ich einmal im Schelten bin, laß mich ausreden! Ich komme jetzt auf den Gedanken, der mich meuchlings befiel: den Gedanken, Possendichter zu werden. Ich sah damals von der Gallerte herab ein vielbeklatschtes, lustiges Stück. Obgleich es.eigentlich dumm' war, mußte ich doch lächeln. Ich begann über den Begriff des.eigentlich Dummen' näher nachzudenken. Die Posse, welche ich sah, zeichnete sich weder durch die Handlung, noch durch Situationen, Witze oder komische Cha- raktere vor den meisten anderen aus, und das war das.eigentlich Dumme', wie Jeder im Publikum wohl dunkel ahnte, das.eigent- lich Kluge' daran aber war die Geschicklichkeit des Autors, mit welcher er die einzelnen Rollen den altbekannten Kategorien zu- liebe skizzirt hatte, sodaß jeder Schauspieler und jede Schau- spielerin sich sehr wohl fühlten, denn sie, die Schablonenspieler, fanden in der Rolle ebenfalls nur eine Schablone. Die Sou- breite konnte die ihr eigenthümlichen Mätzchen und Kußhändchen anbringen, der Liebhaber seine pathetischen ,Ohs' und.Achs', die sentimentale Liebhaberin ihre schönen.Augenaufschläge', der Komiker seine eckigen Bewegungen und Fratzen, die schon so oft beklatscht worden waren; der weibliche Chor seine weißen Strümpfe und Höschen, und so hinab bis zum Souffleur, der das Stück nach einmaligem Lesen schon auswendig konnte, weil er dieselben Phrasen schon seit zehn Jahren in anderen Possen soufflirt hatte. Lieber Freund, fast alle gangbaren deutschen Lustspiele und Possen sind von der Art dieses Stückes und das Publikum beklatscht sie wie wahnsinnig. DaS Publikum hat an solchen Lustspielabenden keine Kritik, es geht in's Theater, um sich zu amüsiren, und fragt dann nicht viel, ob es dieselben Witze früher schon einmal beklatscht hat oder nicht. Ueberdies weiß es das nicht einmal, denn so ist es mir und auch dir wohl häusig ergangen ist die Posse zu Ende, so hat man auch den Inhalt derselben bald im geschäftigen, sorgenvollen Strudel des Lebens vergessen. Kann man diesen anspruchslosen Zuhörern zürnen? Vielleicht.

Das Publikum wohnte den viertägigen Verhandlungen mit einer sich immer höher steigernden Spannung bei und machte seiner Erbitterung gegen den Verbrecher bei dessen Winkelzügen, Ausflüchten und Fabeln, sowie bei der Schutzrede des Verthei- digers durch Zischen und Hohngelächter häufig Luft. Während sonst die bekannte Gutmüthigkeit der Wiener leicht für jeden Angeklagten Partei nimmt, war in diesem Falle die öffentliche Meinung auf's höchste beleidigt, und mit dem Briefdiebe Kalab hatte Niemand Erbarmen. In Folge der Berufung des Staatsanwalts erklärte das Oberlandesgericht in Wien den Angeklagten für schuldig, nicht blos einen Mißbrauch der Amtsgewalt begangen, sondern auch Diebstahl verübt zu haben. Die Richter nahmen eine ideelle Konkurrenz beider Verbrechen an, weil die Briefe Kalab nur in seiner Eigenschaft als Postbeamten zugänglich gewesen seien und deren Entwendung und Beraubung demnach sowohl die Amts- Pflicht, alS die Sicherheit fremden Eigenthums verletzt habe. Der oberste Gerichtshof endlich fand in der Entwendung der Briefe an und für sich das Verbrechen des Amtsmißbrauchs, in der Wegnahme von Geld und Geldeswerth(Bücher, Photogramme und Billets) aus den Briefen aber das Verbrechen des Dieb- stahls begründet. Als Diebstahl und nicht als Veruntreuung wurde die That angesehen, weil die Wertheinschlüsse der Post- anstatt verschwiegen, oder bei Kreuzbandsendungen ihr nicht als solche übergeben, und deshalb weder der Post noch dem Kalab anvertraut waren. In dem Strafmaße stimmten alle drei Instanzen überein, und das gefürchteteStein" wurde somit wirklich auf zehn Jahre Kalab's Aufenthalt.(Schluß folgt.)

Theater und was dahin gehört. Gewiß aber dann, wenn sie sich ernster gemeinten Schau- und Trauerspielen gegenüber ebenso kritiklos verhalten, wie bei den Possen. Leider ist das oft der Fall, doch davon will ich hier nicht sprechen. Diese Faktoren in Betracht ziehend, sah ich sehr schnell ein, daß ein dramatischer Schriftsteller, der für's Brot arbeiten muß, sehr bald Erfolg haben könne, wenn er Poesie und eigene In- tuition an den Nagel hänge. Berechnende Spekulation auf die leicht erregbaren Lachmuskeln der Hörer und Zuschauer ist alles, was man braucht, um ein beliebter Lustspieldichter zu werden, Was fragt das Publikum nach Befolgung ästhetischer Grundsätze. waS nach ethischen Prinzipien, die auch in einem guten Lustspiel nicht fehlen dürfen, wollen wir den Beifall der Kunstverständigen erhalten? Ich kann noch weiter gehen und behaupten, daß das liebe deutsche Publikum von wirklicher Poesie und Schönheit nur träumt, und nicht einmal das; denkfaul und autoritätsgläubig gibt es zu, daß Aesthetiker und Literarhistoriker geläuterte An- sichten und Urtheile haben, und verehrt die großen Männer, welche von der Minorität der Kunstverständigen aus den Sockel des Ruhmes erhoben werden, aber das ist auch alles. Von dem Bestreben, in das Verständniß der Poesie einzudringen und da- durch wirkliche Begeisterung und hohen Genuß sich zu verschaffen, ist wenig zu spüren..Wir wollen weniger gepriesen und desto mehr gelesen sein,' sagte einst Lessing in seinem und aller Dichter Namen. Es scheint, daß das Publikum sich fast zu allen Zeiten gleich geblieben ist in der Manie, seine großen Dichter mit ein- sachem Lob abzuspeisen, während es auf seine Afterdichter vom hohen moralischen Standpunkt herab schimpft, nichtsdestoweniger sie aber dadurch kräftig unterstützt, daß es deren schlechte Schriften liest und schlechte Schauspiele besucht." Und ein solcher Afterdichter willst du werden?" fragte ich, boshaft die Strafpredigt Wilhelm's unterbrechend. Wilhelm fuhr auf; er hatte sich so sehr in die Rolle eine« erhabenen Kritikers hineingearbeitet, daß er schmerzlich durchzuckt wurde, als er sich plötzlich aus seinen eigenen Berus besann.