337
„ Ja, du hast Recht!" rief er bitter aus. Ich werde wohl so ein Subjekt mit der Zeit werden. Jetzt empfinde ich noch Scham, aber wie lange wird's noch dauern mit derselben? Wenn man bemerkt, wie leicht auf den Köder gebissen wird, dann empfindet man ein diabolisches Vergnügen, welches bald die Scham erstickt."
,, Ich bitte dich, schweise nicht ab vom Thema," warf ich dazwischen;„, du sagtest, daß man auch beliebte Possen ohne beson dere Begabung verfertigen könne. Etwas mehr gehört doch wohl dazu?"
,, Nun ja, etwas Mutterwitz, etwas Beobachtung seiner Mit menschen und der Schauspieler, aber das lernt sich bald. Ich glaube, ein Jeder kann den dramatischen Beruf erwählen, so gut wie er zu einem Handwerk greift. Und das ist schlimm."
„ Aber Humor ist doch nöthig, um Possen schreiben zu können?" ,, Gewiß, aber es braucht nicht des Schriftstellers eigener zu sein; er kann ihn stehlen, so gut wie er alle andern Ingredienzen des Lustspiels aus andern zusammenstiehlt."
,, Ja. Und das thust du?"
,, Ja, und zum Beweise will ich dir erzählen, welche Vorbereitungen und Beobachtungen ich machte, als ich mein erstes Stück, das überall guten Erfolg hat, schrieb.
,, Ein Lustspiel muß zuvörderst drastische Situationen haben; dieselben beruhen entweder auf Irrthümern und Mißverständnissen der Personen im Stück oder auf Kontrasten. Natürlich sucht man sich nun in einer Posse recht grobe Fälle dieser Art aus. D, es gibt eine ganze Menge oft dagewesener, die aber immer wieder das Publikum zu lustigstem Applaudiren hinreißen. Wer, wie ich, als Schriftsteller keinen produktiven Humor hat, der neue Situationen erfindet, begnügt sich mit den erprobten alten. Ich ging viel in's Theater, achtete auf das Publikum und lernte unter vielem andern Folgendes:
-
,, Ein falsch angebrachter freundschaftlicher Händedruck( wenn z. B. Jemand sich bei einem Andern für eine Wohlthat bedankt, von welcher dieser nichts weiß) Gelächter im Publikum. ,, Eine falsch angebrachte Umarmung( wenn z. B. eine Braut irrthümlich einem Fremden statt ihrem Bräutigam in die Arme läuft) -anhaltendes Gelächter und Beifall im Publikum. ,, Verwechselung der Personen( wenn z. B. Jemand einen Professor für einen Schornsteinfeger hält und ihn bittet, den Kamin zu fehren) schallendes Lachen im Publikum.
-
" Falsche Beurtheilungen( wenn z. B. Jemand einen Andern für verrückt hält, sich demgemäß beträgt, während dieser doch ein harmloser Spießbürger ist)- wüthender Beifall im Publikum. Berbeugungen der Schauspieler bei offener Scene. Schon das Wort, verrückt wirkt Wunder, z. B. in der groben Frage: Sind Sie verrückt, mein Herr?
,, Noch effektvoller werden die Situationen, wenn Kontraste in den Charakteren hinzukommen; z. B. ein grober Kerl hält einen schüchternen Schulmeister für einen Betrüger und kanzelt ihn ordentlich ab, je gröber, desto besser. Ein heimtückischer Geselle betrügt lächelnd einen harmlosen Naturburschen, ohne daß dieser etwas merkt. Eine alte Tante schwazt einen feurigen Liebhaber, der zu seiner Geliebten stürmen will, im Zimmer fest.
,, Noch lustiger werden die Situationen, wenn komische Eigenthümlichkeiten und Gebrechen einzelnen Personen anhaften; z. B. ein zerstreuter Professor, ein rheumatischer alter Bonvivant, ein trüber Invalide, ein mit Zahnschmerz geplagter Liebhaber wirken immer sehr gut und lassen das Publikum nicht aus dem Lachen
tommen.
,, Was nun den Dialog betrifft, so wirkt derjenige am besten, welcher so wenig wie möglich gewählt ist. Nur wenige SchauSpieler tönnen einen Dialog in feingebildeter Rebeweise gut sprechen, meistens stolpert ihre Zunge darüber, und wenn das nicht ge= schieht, so wird er monoton und langweilig. Nein, der Dialog einer Posse sei turzlustig, mit recht vielen Interjektionen( Oh! Ach! 2c.) und besonders bei Personen niederer Stände recht schnodderig. Kalauer sind immer angebracht, einerlei, ob sie in ben Mund des Redenden passen oder nicht. Man braucht auch
keine neuen zu erfinden, alte Meidinger thun's auch, wenn auch tausend, Au's!" aus dem Publikum erschallen. Das erhöht die Heiterkeit noch, wenn die Zuhörer selbst mitspielen.( Siehe das jetzt so beliebte Possenstück: Der geschundene Raubritter!)
,, Alle diese und noch unzählige andere Zuthaten wirken immer, und mag die Handlung des Stückes noch so langweilig und dumm sein. Die Handlung, bei einem guten Stück die Hauptsache, wie Kenner versichern, ist in modernen Lustspielen überhaupt Nebensache, am wichtigsten ist noch der Schluß. Für diesen hat Schiller uns ein gutes Rezept gegeben: Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch! oder auch harmloser: Wenn sich der Irrthum geklärt hat, wird das Liebespaar zuſammengegeben und der Intriguant wird ausgelacht.
,, Du hast gewiß einmal gehört, daß der berühmte Jean Paul seine gelegentlichen Einfälle auf kleine Streifen Papier schrieb, bis er eine große Anzahl derselben hatte, dann sortirte er dieselben und streute sie wie einen befruchtenden Regen ein in seine Werke. Aehnlich hab' ich's gemacht. Kalauer, Wizze, pikante Redensarten, allerlei Einfälle, Charakterskizzen, meist fremdes Eigenthum, gesammelt aus Zeitungen, Romanen und dem täglichen Umgang schrieb ich mir zu späterer Benußung auf. Die Lustspiele von Kotzebue und Benedir las ich von Anfang bis zu Ende durch, studirte förmlich die Stellen, welche eine komische Wirkung hervorbringen, und als ich das gethan hatte, war ich - ein Possendichter comme il faut, wie so mancher Andere. Das bewies der Erfolg meiner drei ersten Stücke, welche in keiner Hinsicht originell sind, aber vollgefüllt mit allen jenen lachmuskelreizenden Kleinigkeiten, die ich erwähnt habe. Hier sind die Beweise. Die Direktoren bewerben sich um meine Stücke, behandeln mich wie ein Genie, wenn auch die Kritiker sämmtlich über den Nonsens meiner Stücke schimpfen. Alle aber räumen mir den Titel, dramatischer Dichter ein und ich werde wohlhabend dabei."
,, Und du fühlst dich nicht glücklich?"
,, Nein, wie sollte ich auch! Während andere Dichter, welche die Muse nicht zur melkenden Kuh zu erniedrigen brauchen, in vornehmer Ruhe und Muße aus sich selbst schöpfen und das ist eine Quelle, die, so klein sie sein mag, doch unerschöpflich ist und Selbstbefriedigung bringt, so muß ich stets unterwegs sein auf der Jagd nach Einfällen 2c., muß stets beobachten, was das Publikum liebt, muß ausflügeln, was dasselbe wohl günstig stimmen würde, muß lernen, was Humor ist, weil ich es nicht aus mir selbst weiß, mit einem Wort: ich bin der Sklave des Publikums. Ja, du magst es glauben oder nicht, ein solcher Possenfabrikant gleicht einem armen elenden Harlequin. Wenn das Publikum über seine Fadheiten nicht mehr lacht, dann ist sein Ruhm aus und er kann verhungern. So wird's auch mir ergehen. Ich lebe von dem momentanen Beifall der Gegenwart, läßt mich dieser im Stich, so liege ich wie ein Fisch auf trocknem Sande."
,, Das ist allerdings eine fatale Lage. du nicht einen andern Beruf?"
Aber weshalb erwählst
,, Das ist leichter gesagt, als gethan. Bin ich denn jetzt ein so ganz verwerflicher Mensch? Ich hoffe nicht. Ich, der Bossenfabrikant, welcher dem Publikum ein paar lustige Stunden bereitet, bin doch immer noch nüßlicher, als jene Tragödien- und Schauspielfabrikanten, welche in ähnlicher Weise wie ich, arbeiten', nur mit dem Unterschiede, daß sie meistens den blöden politischen, patriotischen und sozialen Ansichten der großen Menge der guten Bürger schmeicheln und dadurch unsägliches Unheil bringen? Aber es werden sich immer solche Schmeichler finden, solange nicht im sozialen Leben ein Umschwung stattgefunden hat."
,, Welchen Umschwung meinst dn?"
,, Die Frage kann ich dir heute nicht mehr beantworten, ich muß dich jetzt verlassen. Aber nimm die Versicherung hin, daß ich nicht ganz verzweifle an mir selbst, am Schauspiel und am Publikum. Nehmen erst unsere politischen und sozialen Verhältnisse einen ebleren Aufschwung, dann wird auch die dramatische Kunst nicht leer ausgehen. Doch davon später."
Kade.
, 36, 1876,