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Pfingsten im Harz.

Wandererinnerungen von Robert Schweichel  .

Goslar  , die alte Kaiserstadt, träumt noch, wie immer, und zwischen den spitzen Steinen der Bürgerstiege sproßt das Gras; aber Lampe ist todt. Lampe  , der große Wunderdoktor, der mit seinen Kräutertränken der medizinischen Fakultät Göttingens ein Schnippchen schlug, ist todt; aber von der Ecke der Kaiserworth blickt das Männlein, welches in hockender Stellung und Beschäf­tigung dem Marktplatz den Rücken zukehrt, noch immer spottend über die Schulter auf die Menschheit herab. Spotte du nur! Jede Zeit hat ihren Wahn, und der große Medizinmann, der mit seinen Kräuterfäften die Menschheit zu verjüngen strebte, ward ebenso gläubig verehrt, wie die fromme Mutter Heinrich's IV., die sich in den frei aufragenden Steinblock vor dem alten Thor der Stadt eine Einsiedelei hatte hineinhauen lassen. Der Wahn wechselt wie Proteus nur die Gestalt, um eine andere Binde über die Augen der Menschheit zu legen.

jährige Krieg vollendete, was unter Kaiser Heinrich IV. begann, dessen Lieblingsresidenz Goslar   war, bis die Empörung der Sachsen  ausbrach und damit allen Herzögen und Grafen des Reiches das Zeichen gegeben wurde, sich aus Beamten und Vasallen des Kaisers in erbliche und möglichst unabhängige Fürsten zu ver­wandeln.

Jetzt entsteht die Lieblingsresidenz der salischen Kaiser wieder aus ihrem Verfall, in dem sie einer Scheune glich. Weiter hinab den grünen Plan, diese Kapelle mit den gewundenen Säulen des Portikus, ist das letzte Ueberbleibsel des von Heinrich III.   ge­gründeten Kaiserdomes. Nach dieser Kapelle zu schließen, die aber offenbar der Vorbau des Domes war, muß der letztere ein zwar plumpes, doch riesiges Gebäude gewesen sein. Der Dom wurde in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts unter dem Vorwande abgebrochen, daß seine Dotation kaum die Unter­haltungskosten zu bestreiten vermöge. In dem Dome schwuren die Ritter des Sachsenlandes am 10. Juni 1073 bei sinkender Als ich auf dem stillen Marktplatz stand und von der Kaiser- Sonne Heinrich IV. an demselben Altare, an dem er die Taufe worth zu beiden Seiten des fetten Mönchleins, welches den acht-| empfangen, Tod und Verderben. Dann schritten sie durch den eckigen Thurm in der Mitte trägt, die altbekannten steinernen noch vorhandenen Vorbau hinaus, durch das Portal, über dem Kaiserbilder herabschauen sah, vor mir das alte Rathhaus sich ein geflügelter Kopf von zwei Schlangen umwunden, den pro­dehnte und ich das Wasser klingend in das metallene Brunnen- phetischen Traum verewigt, der die kaiserliche Mutter vor der becken fallen hörte, da kam es seltsam über mich. Ich fühlte Geburt des vierten Heinrich geängstigt hatte. Ja, es war ein wieder an meinen Wangen den ersten Athem der Jugendliebe, geflügelter Geist, dieser Heinrich, aber Abel und Papstthum der ich ein treues Gedächtniß bewahrt hatte, was auch Schönes umwanden und erdrückten ihn. und Großartiges seit unserer Trennung an meinen Augen vorüber­gegangen war. Die Höhen, welche die alterthümliche Stadt mit ihren plumpen Thürmen einschließen, der Nammelsberg, der Submerberg, sind freilich kahl, allein ich wußte ja, daß hinter ihnen in unvergänglicher Jugendschöne, rauschend und funkelnd, die Harzgöttin mir ihre Arme entgegenbreite.

Niemand weiß, woher das schöne erzene Becken auf dem Markt stammt, und es geht die Sage, daß man nur um Mitter­nacht an dasselbe zu schlagen brauche, um den Teufel zu citiren. Auch als Sturmglocke ist das Becken in alten Zeiten gebraucht worden, um die Bergknappen aus dem Rammelsberge herbei­zurufen, wenn die Stadt plötzlich angegriffen wurde. Die Berg­knappen, welche dann in ihrer schwarzen Tracht dem Feinde muthig entgegentraten, mögen diesem wohl oft genug als wahre Teufel erschienen sein.

Soll ein Urtheil über den Brunnenaufsatz gewagt werden, so dürfte seine Entstehung in die Zeit des Aufschwunges der Erzgießerkunst fallen, wie die silberne Bergkanne, welche im Rath hause hinter einer eisernen Thür verwahrt wird, der Blüthezeit der Goldschmiedekunst angehört. Diese Kanne ist eine äußerst zierliche und geschmackvolle Arbeit. Sie hat eine schlanke gothische Form. Den Deckel zieren Figuren von Gold und Email, ver­schiedene Verrichtungen des Bergbaues darstellend. Eine Reihe von Musikanten schlingt sich wie ein Gürtel um die Kanne. Auch die hübschen Figuren sind von massivem Golde. Liebhaber von Alterthümern finden in dem etwas dunklen Eckzimmer, dessen Wände und Decke mit wunderlichen Heiligen in Lebensgröße be­malt sind, ferner eine Sammlung von alten Lanzen, Bogen, Pfeilen, Ritter- und Richtschwertern; ein altes Bürgerverzeichniß auf Wachstafeln; einen Band in groß Quarto aus dem 14. Jahr­hundert, welcher die auf Pergament geschriebenen Goslar  'schen Berggeseze enthält, und dergleichen Kuriositäten mehr.

Dieses Rathhaus hätte übrigens Deutschland   beinahe um seinen dreißigjährigen Krieg gebracht. Denn hier versammelten sich schon 1641 die Abgeordneten der verschiedenen Parteien zu Friedensverhandlungen. Die gegenseitige Erschöpfung war indessen noch nicht groß genug, um das Schwert zurück in die Scheide zu stoßen, und so wurde noch sieben weitere Jahre an der Ent­murzelung der deutschen   Reichseinheit gearbeitet, und zwar mit dem besten Erfolge. Seit dem westphälischen Frieden war die kaiserliche Gewalt nur noch eine Vogelscheuche. Der dreißig­

Wen es wie mich in die Berge fortdrängt, der hüte sich, dem Gitter zu nahe zu kommen, welches den Vorbau verschließt. Kaum bleibst du stehen, um einen Blick auf das alte Portal, seine gewundenen Säulen, den Schlangenkopf, die Apostel   im Giebelfelde zu werfen, so erhebt es sich schwarz im Innern der Kapelle, das Gitter öffnet sich, und ,, drinnen gefangen ist einer". Kein Rattenzahn, nur ein tarifmäßiges Trinkgeld vermag ihn wieder zu befreien.

In dem kapellenartigen Vorbau werden die Kunstschätze und Kuriositäten des ehemaligen Domes aufbewahrt, insoweit sie nicht in alle Winde zerstreut worden sind. So ist z. B. noch von dem damaligen Kaiserstuhl   die Steineinfassung mit ihren allegori­schen Figuren vorhanden, während sich der Stuhl selbst in dem Besitz eines preußischen Prinzen befindet. Von wirklichem Kunst­werth ist nur der aus Holz geschnitzte Kopf eines Chriftus am Kreuze. Der Moment eines schmerzvollen Verscheidens ist mit ergreifender Wahrheit in dem Gesichte ausgeprägt. Vermuthlich hat dem Kopfe einst der Körper entsprochen. Der jetzige Körper ist aber eine stümperhafte Arbeit, und man erkennt deutlich die Stelle, wo der Kopf dem Leibe angefügt worden ist.

In unmittelbarer Nachbarschaft des Gekreuzigten befindet sich der fabelhafte Altar des noch unergründeten Heidengottes Krodo  . Die Wissenschaft steht bis jetzt rathlos vor diesem Altar. Nur die Ueberzeugung mögen wir mit uns nehmen, daß er weder das ist, wofür er ausgegeben wird, noch daß deutsche Hände an der kunstvollen Metallarbeit schuld sind. Ebenso vergebens hat die Gelehrsamkeit bisher an dem Gotte Krodo herumgedeutelt, von dem eine Abbildung an der Wand hängt. Der fabelhafte Gott steht auf einem großen Fische, in der Rechten trägt er einen Korb mit Blumen und die emporgehobene Linke hält ein Rad. Faßt man das Rad als Symbol der Sonne auf, so könnte man wähnen, das Bild stelle den Gott der Erde und der Fluthen dar. Etwa Wodan als Frühlingsgott. Aber ich will die Fülle der Ver muthungen, welche der würdige Cicerone in schwarzem Anzuge und weißer Halsbinde zum Besten zu geben vermag, nicht noch vermehren. Unser Jahrhundert sucht vor allen Dingen einen festen Boden unter den Füßen zu haben, und so führe ich nur an, was positiv ist. Fest steht nur, daß die Sachſenchronik von Bothe zum Jahre 780 erzählt, König Karl habe auf der Harz­ burg   einen Abgott, der dem Saturn glich, von dem Volke aber Krodo genannt wurde, bei Besiegung der Ostfachsen niedergeworfen.