VI.

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Der Mensch.

Von J. Most.

,, Nicht unvermittelt kam der Mensch auf die Erde, sondern vermittelt durch dieselben natürlichen Kräfte und Ursachen, welche allem Leben und Tasein Ursprung gegeben haben." Büchner.

Die ältere Naturforschung stellte sich die einzelnen Arten der Pflanzen und Thierwelt als speziell geschaffen" vor, und selbst Linné, dem man die mit ganz außerordentlichem Scharfsinn bewerkstelligte Klassifikation der organischen Naturprodukte zu ver­danken hat, stak tief in diesem Vorurtheil. Einzelne Stimmen protestirten zwar schon vor langer Zeit gegen solche durch nichts begründete und durch nichts zu beweisende Behauptungen, allein man hörte nicht darauf. Selbst zu Anfang dieses Jahrhunderts noch, wo Goethe und Andere für eine natürliche Entstehung der Arten eintraten, zuckten die größten Gelehrten die Achseln darüber. Und doch kannte man schon längst zahlreiche Erschei­nungen, welche gegen das Erschaffensein der Arten sprachen. Die Ausgrabungen sogenannter Versteinerungen längst vergangener Thier und Pflanzengeschlechter, weit entfernt, sie als einen Wink für die einzuschlagende Richtung der Naturforschung anzusehen, suchte man in wahrhaft komischer Weise zu erklären.

Es gab eine Zeit, wo man so findisch war, die fossilen Ge­bilde für Modelle zu halten, welche der Schöpfer probeweise angefertigt und dann fortgeworfen habe! Nach einer anderen Ansicht sollten es Spielereien der Natur sein. Einige bezeich­neten sie zwar als das, was sie sind, warfen aber die Originale unter der Rubrik ,, vorsintfluthlich" zusammen; Andere vindizirten dem Schöpfer", daß er von Zeit zu Zeit allgemeine Erdrevo­lutionen herbeigeführt und mittels derselben die ganze organische Welt ausgerottet habe, nachträglich jedoch wieder zur Neuschöpfung geschritten sei, wobei er sich einer stetigen Verbesserung befleißigt habe. Und so weiter.

Aber es gibt noch viel auffallendere Erscheinungen, die eine Extraschöpfung der Arten ausschließen. Was in dieser Beziehung die vergleichende Anatomie, namentlich die Embryologie, zu Tage förderte, wurde bereits angedeutet, und dies ist immer noch nicht das Handgreiflichste. Man weiß jetzt, daß einstens an den Polen  ein tropisches Klima herrschte, und findet die in den Erdschichten eingeschlossenen Thier- und Pflanzenreste dem entsprechend, wäh= rend man jetzt die dortige Fauna und Flora ganz und gar für ein faltes Klima geeignet antrifft. Soll es da vielleicht dem Schöpfer" z. B. eingefallen sein, nachträglich, als sich nach und nach die klimatischen Verhältnisse in so rauher Weise geän­dert hatten, Eisbären und dergleichen zu schaffen? Oder liegt es nicht vielmehr auf der Hand, daß sich im Hinblick auf die gedachte Umänderung einzelne Thiere eine entsprechende Lebens­weise angewöhnten und sich überhaupt ihrer Umgebung anpaßten, während sich andere in diese Verhältnisse nicht zu schicken ver­mochten und daher zu Grunde gingen?

In manchen Fällen vollzog sich die Entstehung neuer Arten förmlich unter den Augen des Beobachters. So brachte man z. B. mehrere hundert Exemplare des mexikanischen Kiemenmolchs Arolotl nach Paris  ; die meisten dieser Thiere blieben nach wie vor kiemenathmig, einige krochen aber aus dem Teiche, in den man sie gesetzt hatte, an's Land und wurden lungenath mig! Versetzt man Auſtern von der Nordsee   nach dem Mittelländischen Meere, so erlangen sie eigenthümliche Stacheln. Die europäische Hauskatze hat sich in Südamerika  , wo man sie verwildern ließ, zu einem bösartigen Raubthiere entwickelt. Und so könnten Hunderte von Fällen angeführt werden.

Die klimatischen und sonstigen äußeren Einwirkungen spielen aber bei der Artenbildung nicht die Hauptrolle, sondern sind ge­wöhnlich nur mitwirkende Faktoren; in erster Linie fallen hierbei die Zuchtwahl und der Kampf um's Dasein in's Gewicht, wie dies namentlich Darwin  , der übrigens keineswegs als Vater dieser Lehre, wohl aber als deren vornehmlichster Bahnbrecher

betrachtet werden darf, in mehreren Werken wahrhaft durchschlagend entwickelt hat.

Es ist eigentlich zum Erstaunen, daß solche Theorien nicht längst als selbstverständlich in Aufnahme kamen, indem ja Gärtner und Viehzüchter schon sehr frühzeitig die künstliche Zuchtwahl pflogen, die doch ein Bild für die natürliche Zuchtwahl abgibt. Man brauchte nur darüber nachzudenken, wodurch in der freien Natur die Dazwischenkunft des Menschen ersetzt und überboten werde. Die künstliche Zuchtwahl hat die schlagendsten Beweise ge­liefert, daß die Vererbung aller erdenklichen Eigenthümlichkeiten von Generation zu Generation bewerkstelligt werden kann, selbst wenn dieselben ursprünglich nur bei einem einzigen Eremplare sich vorfanden. Ein Bauer in Massachusetts  ( Nordamerika  ) be­nutzte einen mißgestalteten Widder mit langem Leibe und kurzen, frummen Beinen zur Züchtung ,, weil er dachte, daß derartig ge­bildete Schafe verhindert würden, über die landesüblichen Hecken zu springen, wie es die übrigen Schafe recht gerne thaten. Der Mann hatte ganz richtig gerechnet, denn es gelang ihm in der That, eine ganze Rasse solcher Schafe in's Leben zu rufen, wie er sich gewünscht hatte, so daß zuletzt im ganzen Lande derartige Thiere Verbreitung fanden, unter dem Namen Otterschafe bekannt und erst später, als man eine edlere Rasse eingeführt hatte, auf­gelassen wurden.

In Paraguay  ( Südamerika  ) wurde im Jahre 1770 ein ungehörnter Stier geboren, der später lauter ungehörnte Rinder erzeugte. Die Bauern fanden dies praktisch, wählten mit Vor­liebe ungehörnte Zuchtstiere aus und brachten es auf diese Weise dahin, daß zahlreiche Heerden hornloser Rinder entstanden.

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Auch bei der sogenannten Kreuzung der Arten entstehen neue Arten. Esel und Pferd erzeugen- je nachdem das männ­liche und das weibliche Geschlecht durch die eine oder die andre Art vertreten sind Maulthiere oder Maulesel. Diese wollen zwar Viele nicht als Arten gelten lassen, sondern nur als Bastarde, aber hierbei handelt es sich offenbar nur um Wortklaubereien, wie neuere Gelehrte zugeben. Man hat aus dem Umstande, daß Mawlthiere und Maulesel meistens impotent und unfruchtbar sind, schließen wollen, daß die Kreuzung zweier Arten überhaupt keine fortpflanzungsfähigen Thiere produzire; dies war jedoch ein Irr­thum, wie mehrfach praktisch bewiesen wurde, so z. B. durch das Ziegenschaf, das Hasenkaninchen 2c.

Bei der natürlichen Züchtung findet auch eine Auswahl statt, nur wird dieselbe nicht durch individuellen Willen, sondern nach einem großen Naturgesetze bestimmt, welches Darwin   den Kampf um's Dasein nennt. ,, Jeder Organismus  ", sagt Häckel( jetzt der bedeutendste Vertreter der Entwicklungstheorie) kämpft von Anbeginn seiner Existenz an mit einer Anzahl von feindlichen Einflüssen; er fämpft mit Thieren, welche von diesem Organismus leben, denen er als natürliche Nahrung dient, mit Raubthieren und mit Schmarozzerthieren; er kämpft mit an­organischen Einflüssen der verschiedensten Art, mit Temperatur, Witterung und anderen Umständen; er kämpft aber( und das ist viel wichtiger!) vor Allem mit den ihm ähnlichsten, gleichartigen Organismen. Jedes Individuum einer jeden Thier- und Pflanzen­art ist im heftigsten Wettstreit mit den anderen Individuen der­selben Art begriffen, die mit ihm an demselben Orte leben. Die Mittel zum Lebensunterhalte sind in der Dekonomie der Natur nirgends in Fülle ausgestreut, vielmehr im Ganzen sehr beschränkt und nicht entfernt für die Masse von Individuen ausreichend, die sich aus den Keimen entwickeln könnte. Daher müssen bei den meisten Thier- und Pflanzenarten die jugendlichen Individuen es sich sehr sauer werden lassen, um zu den nöthigen Mitteln des Lebens­unterhaltes zu gelangen; nothwendigerweise entwickelt sich daraus. ein Wettkampf zwischen denselben um die Erlangung dieser un­entbehrlichen Existenzbedingungen...."

( Fortsegung folgt.)