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Ein Wirthschaftsbeamter aus der Provinz sandte weder Geld noch Nachricht über den Ertrag des Gutes an seinen Herrn. Schon war dieser im Begriff, den lässigen Diener seines Amtes zu entheben, als sich ergab, daß Kalab die Briefe gestohlen hatte. Eine in Kindesnöthen liegende Frau verlangte mittels Stadt­briefs eine Hebamme; der Brief war als ,, dringend" bezeichnet, erreichte aber erst nach zwei Jahren seine Adresse.

Bestellungen der verschiedensten Art gingen nicht ab, längst erwartete Waaren trafen nicht ein, Einladungen, Entschuldigungen e tamen nicht an, Geschäftsverbindungen lösten sich, Verwirrungen, Verdrießlichkeiten, Störungen aller Art, Feindschaften wurden durch Kalab's frevelhaftes Eingreifen erzeugt, und Sorgen und Thränen von Tausenden hat er verschuldet. Ja, wenn eine ziemlich verbürgte Nachricht nicht täuscht, so hat Kalab sogar einen Menschen zum Wahnsinn gebracht. Ein junger Mann re­flamirte einen Brief mit 400-500 Gulden, den er irrthümlich ohne Deklaration des Inhalts in den Briefkasten geworfen haben wollte. Alles Suchen war vergebens, der Brief blieb verloren und der Aufgeber selbst wurde verdächtigt, den Brief unterschlagen zu haben. Nach einiger Zeit hieß es, die Mutter des jungen Menschen sei aus Gram darüber schwer erkrankt, der junge Mann selbst aber irrsinnig geworden.

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Wir überlassen es der Phantasie unserer geehrten Leser, sich die Folgen von Kalab's Verbrechen selbst weiter auszumalen,

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und brauchen kaum anzudeuten, daß sein Vermögen einem Tropfen im Meere glich, wenn man die Größe der Verluste erwägt, die er dem korrespondirenden Publikum zugefügt hat. Er selbst scheint übrigens niemals Reue empfunden zu haben. Auf die Eröffnung, daß die Postbehörde zur Sicherstellung von Entschädigungs­ansprüchen seine Häuser mit Sequestur belegt habe, antwortete er: Das also ist der Lohn für meine langjährige treue Dienst­leiſtung!"

Und in der Vertheidigungsrede, die er schriftlich aufgesetzt hatte, dann aber nicht hielt, kommt die charakteristische Entschul­digung vor: Die Postanstalt habe jedenfalls von seinem Treiben Gewinn gezogen; denn Jeder, der einen Brief erwartet, aber nicht erhalten habe, werde vermuthlich deshalb bei seinem Korrespon­denten angefragt haben, und nach der Ankunft der bei ihm ge­fundenen und dann versendeten Briefe hätte gewiß jeder Empfänger den Empfang des Briefes angezeigt, und somit habe die Post durch ihn an Porto   mehr eingenommen als eingebüßt. Wir sehen, Kalab hatte nicht das mindeste Gefühl für die seinen Mitmenschen tausendfältig bereiteten Leiden. Sein ein­ziges Bestreben war darauf gerichtet, sein Vermögen und die Häuser zu retten. Nur deshalb hatte er den unbekannten Krösus Minkow und sein Verhältniß zu ihm erfunden. Schmerzlicher fast als die Strafe war es ihm, daß durch das Erkenntniß sein ganzes Vermögen als eine Frucht seiner Verbrechen bezeichnet wurde.

I. ( Fortsetzung.)

Pfingsten im Harz.

Wandererinnerungen von Robert Schweichel  .

Die Häuser von Oker   drängen sich wie ein Keil tief in die Mündung des Thales. Die rothen Dächer unter den Obst­bäumen auf dem dunkelgrünen Hintergrunde der Thalwände ge­währen einen freundlichen Anblick. Ueberall in den Wohnhäusern stehen die Fenster offen und die Vorhänge flattern im Winde heraus. Da wird gescheuert und gesäubert, weggelöscht die Spuren der Werktage; denn morgen ist Pfingsten. Mädchen mit großen Brettern schreiten über die Straße. Sie tragen den Feiertags­fuchen zum Bäcker oder kommen von dort zurück. Wir möchten wohl auch ein Stück Pfingstkuchen zum Vorgeschmack des Fest­tages. Eine Fülle von Riesenkuchen duftet uns in der Stube des Bäckers verlockend entgegen. Aber wir bieten umsonst das Agio guter Worte zum Gelde: es ist alles bestellt.

Wir sollten entschädigt werden. Wie wir die letzten Häuser des Ortes hinter uns haben, da blühen am Wege die wilden Rosen. Einen Rosenstrauß zum Willkommen, was hätte der Harz mir Schöneres bieten können beim Wiedersehen nach so langer Trennung? Und mir ist's, als riefen die Wellen der Ofer, die mir rasch und munter entgegenspringen: Grüß Gott!"

Ja, grüß Gott  , ihr lieben Berge! Ich athme tief auf. Waldduft, Bergluft! Wie die Brust sich weitet, wie mit jedem Schritte die Seele freier wird von dem Staub der Städte, wie der Geist abschüttelt die mühenden Gedanken des täglichen Lebens! Ein neues Leben strömt durch die Adern; was dahinter liegt, ist vergessen, und alles Empfinden ist ein Wohlgefühl. Auch das thut wohl, daß die Leute, denen wir begegnen, einen Gruß für uns haben. Es spricht sich darin aus, daß der Mensch auf den Menschen angewiesen ist. In den Städten, namentlich in den großen Städten, ist dieses Bewußtsein zerstört.

Das Oferthal ist ein schmales, etwas düsteres Thal. Die Straße hat den Felsen abgewonnen werden müssen, die steil aus dem Flußbette emporsteigen. Es sind überwiegend Föhren, welche die Thalwände bekleiden, und aus ihrem schwärzlichen Grün ragt das nackte Gestein phantastisch gestalteter, zersplitterter Klippen auf, Nadeln nennt man sie in der Schweiz  . Der rasche

Wechsel eines lichthellen Himmels und dunkler Wolken überschüttet bald die Höhen mit einem goldenen Glanze, daß die Klippen in der rauschenden Brandung der Föhren aufleuchten, bald verdüstert er den Charakter des schmalen Thales noch mehr. Die Ofer murrt in ihrem Steinbette, das ihr bei der langen Dürre zu weit geworden ist. Sie muß manchem Blocke aus dem Wege gehen, sich an ihm vorbeidrängen, über den sie sonst wohl im Ungestüm brausender Kraft hinwegzuspringen gewohnt ist. Auf anderen, gewaltigeren Felsblöcken, deren scharfen Kanten man es ansieht, daß nicht die Fluthen sie hierher gewälzt haben, wiegen sich junge Tannen und Birken, einsam wie auf einer Insel. An ein paar Stellen strecken noch unvollendete Gehäuse von Fabriken ihre langen Rinnen wie Rüssel nach dem Flußbette, um das zum Treiben der Räder nöthige Wasser herbeizuleiten.

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Die vielfachen, kurzen Krümmen des Thales gewähren der Wanderschaft immer neuen, wechselnden Reiz. Immer scheint sich das Thal im Hintergrunde durch dunkelgrün vordringende Berg­rücken zu schließen, und immer wieder öffnet es sich zu einer neuen Ueberraschung, immer wieder starren Klippen von Granit und Grauwacke dem Blick entgegen. Jegt wirft sich die Straße rechts herum und es ist keine Täuschung da stäubt und sprüht ein Gießbach hoch von den Felsen herab. Hoffentlich wird das Wasser zu demselben nicht kunstvoll aufgestaut, wie bei dem Staubbach in der Schweiz  . Milchweiß und flockig schwebt das Wasser wie eine Wolke um den Gipfel der nackten Fels­wand, dann sprüht es silbern auf und hinab und wallt dann durchsichtig wie ein Gazeschleier herab. Dieser prächtige Wasser­fall gibt dem Thale   ganz den Charakter der Alpennatur, und um die Täuschung zu vollenden, als befänden wir uns plötzlich in der Schweiz  , so steht dem Wasserfalle gegenüber am Wege ein Gasthaus im Styl der Schweizerhäuser.

Drei wahrhaftige Kulturfellner, in Kulturschwarz mit dem unvermeidlichen weißen Tellertuche unter dem Arme, springen uns an. Aber wir gehören nicht zu jener Klasse von Reisenden, welche erst zum Genuß der Natur erwachen, wenn sie von einer solchen weißen Serviette dienstbeslissen umbücklingt werden. Wir schreiten vorüber. Eine neue scharfe Biegung des Thales verbirgt