II. ( Schluß.)

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Pfingsten im Harz.

Wandererinnerungen von Robert Schweichel .

Auf dem Ilsenstein das Kreuz, welches die Befreiung Deutsch lands verherrlicht, und hier ein Held jener Tage, der die Hand bettelnd dem Reisenden entgegenstreckt! Begeistert hatte er zu den Waffen gegriffen, und als die Unabhängigkeit des Vater landes errungen, da war es gut. Er legte das Schwert nieder und kehrte zufrieden zu seinem Gewerbe zurück. Wahrhaft auf­opferungsfähig ist nur das Volf. Es trägt seine Knochen, seine Arbeitskraft begeistert zu Markte, wenn es einer großen Idee gilt, und denkt nicht an den Bettelstab, der seiner im Alter wartet.

Als wir aus der Birkenwaldung am Fuße der steinerneu Renne in die freie Thalebene hinaustraten, saben wir hoch über der Stadt Wernigerode das gräfliche Schloß in der Nachmittags­sonne glänzen. Der Weg zur Stadt führt durch die beiden gewerbreichen Dörfer Hafferode und Friedrichsthal, die ein un­unterbrochenes Ganzes und gleichsam die Vorstadt von Wernige­ rode bilden. Man sieht den beiden Dörfern den Wohlstand an und trifft eine große Zahl geschmackvoller Villen, von schönen Gärten umgeben. Vor den meisten Häusern standen blühende Rosenbäume, und aus den offenen Fenstern schauten die grünen Maien heraus, mit denen innen die Stuben geschmückt waren. Spaziergänger im Festtagsputz belebten die Chaussee, von den Wirthshäusern her erscholl das Rollen der Kegelkugeln, und Dienstmädchen und Köchinnen eilten am Arme ihres Militärs" den Tanzplätzen zu.

Während sich der Omnibus reisefertig machte, der uns nach Halberstadt bringen sollte, hatten wir Muße, die einzige Merk­würdigkeit des Residenzstädtchens zu betrachten. Es ist dies das wunderliche und alterthümliche Rathhaus auf dem Markte, das wie aus Nürnberg hierher versetzt scheint und sich über die Verwun­derung, die es erregt, mit dem Spruch über der Thüre tröstet: ,, Einer acht's, der Andere verlacht's, der Dritte betracht's, was machts?" Die Grafen von Wernigerode waren ihrer Zeit so rauf­und raublustige Herren, wie nur je im Harnisch gesteckt haben. Zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts aber lebte Einer, Na­mens Dietrich von Wernigerode, dem bekamen diese noblen Pas sionen übel. Denn er wurde von seinen ebenbürtigen Nachbaren vermittels seines eigenen Reitzaums an eine Eiche gehängt, nach dem ihn Hans von Bleicherode zuvor eigenhändig gefköpft hatte. Die edlen Herren der Umgegend, darunter auch die Grafen von Reinstein oder Regenstein , hatten nämlich einen Vertrag geschlossen und beschworen, unter sich Frieden zu halten und einander weder zu pladen, noch zu berauben. Trotzdem überfiel Dietrich von

Parvenn*).

Forschest du nach seinem Glauben: Klimpert er mit den Dukaten, Fragst du ihn nach seinem Namen: Wird er nach dem deinen rathen. Stiefelfnarrend, hüftewiegend Zeigt die Säle er, die großen, Und, erregt von Zukunftsplänen, Schleppt er dich zu seinen Sprossen. Klein und schmußig sind die Jurgen, Grob und prozig gleich dem Alten, Um die großen, frummen Nasen Bieh'n sie pfiffig- dumme Falten. Sprichst du auch von seinen Freunden Oder seinen Anverwandten,

Zeigt er nach den Bilderschäzen,

Brahlt mit fürstlichen Bekannten.

Suchst du mit poet'schen Worten

Ihm die Seele zu bewegen:

Starrt aus seinen trocknen Zügen Dir das goldne Kalb entgegen.

*) Emporkömmling. Sprich: Parwenüh.

Ada Christen .

Verantwortlicher Redakteur: W. Liebknecht in Leipzig .

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Wernigerode hinterlistiger Weise den Regensteiner und plünderte ihn aus. Die Mitglieder des Bundes setzten sich in Folge dessen zu Gericht über den Räuber, der auch wohlgemuth erschien, ein­gedenk des Sprichwortes, daß eine Krähe der andern nicht die Augen aushacke. Aber es kam anders, und es wurde die kon­traktlich festgestellte Strafe ohne Barmherzigkeit an dem Grafen vollzogen.

Auch auf den eigenen Unterthanen mag das Regiment der Grafen von Wernigerode zu Zeiten gar schwer gelastet haben. Wenigstens läßt die Sage Einen von ihnen in der Hölle braten. Im Dienste dieses Grafen, so erzählt die Sage, stand ein alter Schäfer, der sich durch Fleiß und Sparsamkeit einen kleinen Nothpfennig erübrigt hatte. Diesen Sparpfennig borgte der Graf eines Tages dem alten Schäfer unter dem Versprechen auf Ehrenwort ab, das Geld an einem bestimmten Termin zurückzu zahlen. Als aber der Termin gekommen war, erhielt der Schäfer statt des Geldes einige gräfliche Fußtritte und statt der Zinsen die Drohung, daß man ihn hinstecken würde, wo weder Sonne noch Mond scheine, wenn er sich je wieder im Schlosse sehen ließe. Plötzlich war der Graf verschwunden, und der Schäfer glaubte wie alle Welt, daß sein Schuldner nach Jerusalem , dem damaligen Amerika aller Schwindler und Abenteurer, durchge= brannt sei. Als er aber von dort aus gar nichts von sich hören ließ, so nahm man endlich an, daß er gestorben sei, und seine Erben traten in den Besitz. Auch an diese wandte sich der Schäfer mit seiner Forderung vergeblich. Wie er nun eines Tages tief betrübt über eine abermalige Abweisung vom Schlosse herunter kam, trat ihn ein humoristisches Waldteufelchen mit der Frage an, ob er Lust hätte, seinen Schuldner zu sehen? Der Schäfer sagte ja. Da führte ihn der Gnom die Holzemme hin­auf, längs der steinernen Renne, an der Teufelsburg vorüber nach der Hölle. Auf einen Wink des Führers barst der Fels, und der Schäfer sah drinnen seinen Schuldner in fürchterlichen Flammen braten. Der Graf brüllte wie ein Stier vor Schmerz. Als er den entsetzten Schäfer vor der Thür seines überheizten Schuldgefängnisses gewahrte, warf er ihm sein Taschentuch zu­wahrscheinlich war es aus Asbest gewoben und bat ihn um Jesu willen, damit nach dem Schloffe zu laufen, die Seinigen würden ihn bezahlen, und er möchte für seine, des Grafen, Er­lösung beten. Und also geschah es. Die Moral von der Geschichte ist aber: Mensch, bezahle deine Schulden, Denn der Schuldthurm ist kein Wahn, Und du mußt noch manchmal borgen, Wie du es so oft gethan.

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Heinrich Wuttke , dessen wohlgelungenes Portrait sich in der heutigen Nummer der Neuen Welt" findet( siehe Seite 408), wurde am 12. Februar 1818 zu Brieg in Schlesien geboren; 23 Jahre alt, habilitirte er sich( 1841) als Dozent der Geschichte in Leipzig , und wirkte auf dieser Universität ununterbrochen bis zum 14. Juni d. I. wo ihn ein Gehirnschlag plöglich hinwegraffte. Mann der Wissenschaft in des Wortes höchster Bedeutung, war Wuttke zugleich Mann der That, Mann des politischen Handelns viel gehaßt, viel verlästert, wie alle Streiter der ecclesia militans( der fämpfenden Kirche) des Geistes. In Kurzem bringen wir aus berufenster Feder eine eingehende Charakteristik des unermüdlichen, rücksichtslosen Feindes der Unterdrücker, und Freundes der Unterdrückten.

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Sprüche von Kurt Mook. Wer hält den Unterthanen die Predigt, Wenn sich der Staat der Pfaffen entledigt?

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Der Weise will nur wenig sein,

Am leichtsten ist es, König sein.

Die Erzählung ,, Goldene und eiserne Ketten" kommt in den nächstfolgenden Nummern zu Ende, und es beginnt in Nr. 45 eine neue spannende Erzählung:

Im Banne Mammons, Berliner Sittenbilder.

Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig .