Licht und Wahrheit auf der einen Seite,
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Verweigerung des Rechts, Umnachtung der Geister, systematische Verdummung des Volks auf der anderen!
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Zum letzten Mal trat Owen öffentlich auf im Oktober 1858. Die ,, Assoziation der Sozialwissenschaft"( Social Science Association), gegründet, um die wahre Gesellschaftwissenschaft zu verfälschen oder durch eine nachgemachte zu verdrängen, hielt in Liverpool ihren zweiten Jahres- Congreß. Der nun 87% jährige Greis litt gerate unter der unfreundlichen Herbstwitterung; allein es zog ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zu dem Congreß, dessen wirkliche Bedeutung sein argloser Geist nicht ahnte. Umsonst riethen tie Freunde ihm aber unternahm die weite Reise von Lonton nach Liverpool . Ganz erschöpft kam er dort an und mußte sofort zu Bett gebracht werden; den folgenden Tag jedoch raffte er sich auf; beim Ankleiden, das zwei Stunden dauerte, da er fremde Hülfe zurückwies, fiel er mehrere Male in Ohnmacht, aber er mußte in die Versammlung. In einer Sänfte wurde er hingetragen; sein fast ebenso alter Jugendfreund Brougham, der aber der Sache des Volkes nicht treu geblieben war, richtiger: ihr nie treu gewesen, empfing ihn im Saale und geleitete ihn auf die Plattform, wo ein begeistertes Cheering( Zuruf des Beifalls) der verwunderten, wider Willen bewundernden Versammlung den Propheten der ,, better time, that is coming", der kommenden besseren Zeit, empfing, den Propheten, der mehr als zwei Menschenalter hindurch den tauben Ohren der Mächtigen das Evangelium vom Reich Gottes auf Erden" gepredigt hatte. Owen ergriff das Wort; unter laut loser Stille begann er: es habe ihn gedrängt, vor dem Congreß zu verkünden, was zu verkünden seine Lebensaufgabe gewesen; daß, um das Elend der Welt auszurotten, die äußere Lage der Menschen von Grund aus reformirt, und durch die zweckmäßig veränderten Umstände und eine vernünftige Erziehung der Charakter der Menschen menschlich gebildet werden müsse
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Allein, noch ehe er den Satz vollendet, versagten ihm die Kräfte, seine Stimme stockte. Brougham, dem es unzweifelhaft sehr lieb war, daß die Worte der Wahrheit, die so schlecht in diese Heuchlergesellschaft paßten, nicht zu Ende gesprochen würden, schloß den Satz in seiner weltklugen Weise mit einem Kompliment auf die„ Assoziation der Sozialwissenschaften" und ließ den fast Bewußtlosen von dessen Begleiter, bem treuen Rigby, in's Hotel bringen, wo Owen abgestiegen war. Ueber eine Stunde lag Owen in tiefer Ohnmacht; dann erwachte er, fragte, was er auf dem Congreß gesagt, und als man ihm den Inhalt der Worte wiedergegeben, murmelte er: ,, Gut, das wollte ich fagen!" und fiel wieder in Ohnmacht. Vierzehn Tage war er an's Lager gefesselt. Eines Morgens es war Anfangs November überraschte er Rigby durch den Befehl, unverzüglich zu packen: ,, Wir müssen fort!"- ,, Wohin? Nach London zurüd?" Nach Newport!" Und kein Abreden half. Er wollte in die Heimath, zur Stätte seiner Geburt, die er seit 50 Jahren nicht gesehen. Er wollte in der Heimath sterben. Wie er dort einige Tage umherirrte, die Erinnerungen der Jugend wachrufend; wie er in den Wohnungen alter Bekannten vorsprach, und von den verblüfften Hausinhabern die Antwort erhielt: Todt ſeit 20, seit 30, feit 40 Jahren! wie er im Gespräch mit Besuchern," welche die Wundererscheinung, den Revenant*) aus * Revenant( französisch) der Zurückkommende, das Gespenst.
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das können
längst vergangener Zeit, ehrfurchtsvoll anstarrten, gebeugten Haupts, aber leuchtenden Auges den nahen Triumph der neuen Welt über die alte voraussagte; wie er, vom Tod schon umklammert, mit den städtischen Beamten von Newport noch eine Berathung hielt über die gesundheitliche Verbesserung und Abschaffung des Pauperismus in der Gemeinde wir nur flüchtig andeuten. Der Tag kam, da er sich nicht mehr von seinem Lager erheben konnte; der herbeigerufene Arzt gab keine Hoffnung. Owen's ältester Sohn, das einzige seiner Kinder, welches gerade in England war, eilte von London an das Sterbebeit des Vaters, der ihn heiter und ungetrübten Geistes empfing. Der Rektor des Kirchspiels, der sich den Ruhm, einen so ,, verhärteten Ungläubigen" zu bekehren, nicht entgehen lassen wollte, ließ sich anmelten, um dem Sterbenden aus der Bibel vorzulesen und geistlichen Zuspruch zu ertheilen. Nein! Nein!" rief Owen, sich rasch umdrehend, mit gebietendem Ton. Ein anderer Geistlicher wußte sich einzudrängen. Er hatte die Stirn, den Werkthätigsten der Menschenfreunde zu fragen: Bereuen Sie nicht, Ihr Leben in fruchtlosen Anstrengungen und unausführbaren Entwürfen verschwendet zu haben?"„ Nein, mein Herr! Ich habe mein Leben nicht fruchtlos verschwendet. Ich habe der Welt wichtige Wahrheiten verkündet, und hat die Welt sie nicht angenommen, so ist es, weil sie dieselben nicht begriffen hat. Ich table die Welt darum nicht. Ich war meiner Zeit voraus." Der Geistliche, sich vor so viel Ueberzeugungsgeist beugend, geftand ,,, es sei ihm nie fonfequentere Philosophie vorgekommen". Er hätte sagen können, daß die christliche Kirche aller Konfessionen keinen Bekenner aufzuweisen hat, welcher ein Recht hätte, mit gleicher Befriedigung auf sein Leben zurückzublicken, wie dieser ,, verhärtete Ungläubige."
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Am 17. November 1858 um 3/4 auf 7 Uhr Morgens starb Owen. Seine letzten Worte", schreibt der Sohn ,,, ungefähr 20 Minuten vor dem Tode deutlich gesprochen, waren: Die Erlösung ist gekommen( relief has come)."
Die Erlösung ist gekommen!" In religiösem Sinn kann der prinzipielle, unerschütterliche Gegner der Religion diese Worte nicht gebraucht haben; kein Zweifel, der Gedanke, der ihn im Leben beherrscht hatte, beherrschte ihn auch im Tod und ließ ihn prophetisch die Zeit sbauen, wo die verrottete, unnatürliche, unmoralische Welt der Klassenherrschaft und Massenverbummung in Trümmer fällt, und die befreite Menschheit jauchzend in den Jubelruf ausbricht: ,, Die Erlösung ist gekommen!"
wurde
Am 20. November 1858. es war ein Sonntag aus dem Wuthshaus, in dem Owen gestorben, ein Sarg in das Haus getragen, in dem Owen geboren worden, ein einfacher Holzfarg mit schwarzem Tuch beschlagen und darauf die Inschrift: Robert Owen of New Lanark,
Born May 14, 1771, Died November 17, 1858. ( Robert Owen von Neu Lanark,
Geboren den 14. Mai 1771,
Gestorben den 17. November 1858.)
Den folgenden Tag fand das Begräbniß statt, ohne Gepränge, wie Owen es gewünscht, in Gegenwart des ältesten Sohnes und zahlreicher Freunde und Anhänger, die sich aus allen Theilen Englants versammelt hatten.
Ein Proletarierkind.
Novelle von M. Kautsky. Bitch( Fortſegung.)
Es war ein Uhr geworden. Fanny wartete abermals feit einer Stunde. Sie war, obwohl sie seit Morgens keinen Bissen genossen, satt vor Aerger. Sie nahm sich vor, keinen Blick der Zärtlichkeit und feinen Braten mit Sauce mehr an den Undank baren zu verschwenden. Kühl wollte sie sein, fühl bis an's Herz hinan, wenn er jetzt hereinträte; und sie war soweit gekommen,
Sr. 44, 1876.
daß sie sich ernstlich fragte, ob sie den gestrigen, sorglich aufgehobenen Kuchen nicht lieber ganz für sich behalten wollte; er war seiner unwürdig geworden. Trotzdem blieb sie in der Nähe der offenen Küchenthüre und, mit dem einen Ohre bei ihren brodelnden Töpfen, horchte sie mit dem andern auf jedes Geräusch, das von der Stiege her zu ihr drang. Plötzlich fuhr sie