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Fanny begann sich zu räuspern und zu hüsteln, aber Hilpert| blies, fühlte er sich freier und beruhigter. Er machte sich Vor
antwortete:
,, Sie ist noch immer bei ihrem Vater, aber sie sind ausgezogen."
,, Das heißt," berichtigte Fanny, sie mußten ausziehen, sie konnten den Zins nicht zahlen, da hat ihnen der Hausherr die Wohnung aufgekündigt, und da sie dann auch noch nicht zahlten, hat man ihnen das bischen gute Zeug, das sie hatten, gepfändet." ,, Das ist entsetzlich!" rief Dent. Wodurch kamen sie so herunter?"
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Fanny zuckte die Achseln.„ Mein Gott, schlechte Wirthschaft." ,, Sag' lieber: Unglück," erwiderte Hilpert vorwurfsvoll. Der Alte leidet seit sieben Monaten an Gelenkentzündungen und Rheumatismus , und kann nicht mehr in die Arbeit gehen.
Denk rückte ungeduldig mit seinem Stuhle.„ Warum habt ihr mir das nicht geschrieben? Fanny, ich bat Sie doch, ehe ich ging, mir in jedem Falle über Marie Nachricht zu geben, und nun ist ein solches Unglück über das arme Kind hereingebrochen, und ich weiß nichts, ich erfahre nichts davon! Sie wußten, daß ich geholfen hätte, warum haben Sie mir nichts geschrieben?" ,, Wir dachten immer, Sie friegten den Brief doch nicht." ,, lächerlich! Ihr habt doch die meinigen erhalten?" ,, Nichts, nichts haben wir erhalten!" betheuerte Hilpert. Fanny sah scheu zu Boden- sie hatte die Briefe unterschlagen.
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,, Und hat sich Niemand von Euch ihrer angenommen? Niemand sie unterstützt? Von was leben sie denn?"
Fanny zuckte wieder mit der Achsel.
,, Sie stridt und näht vielleicht die Nächte hindurch, nur um das tägliche Brot zu verdienen!" rief Denk.
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Ein helles, höhnisches Lachen unterbrach ihn.„ Die stricken und nähen hahaha! Daß Gott erbarm'! Die hat ja nichts gelernt, nie, niemals nichts. Jest freilich, wo ihr das Wasser an den Hals gegangen, jetzt hätte sie's gerne gefonnt; sie hat es auch versucht, und wie das Ding fertig war, ist sie damit zu meiner Arbeitgeberin, der Frau Bürner, der Strickwaarenverkäuferin gelaufen, die Schlaue, sie hat mir wollen Konkurrenz machen und hat ihr Machwerk um den halben Preis angeboten; aber die Bürner hat es ihr tüchtig gesagt. Meine Liebe,' hat sie ihr gesagt, das ist mir viel zu schlampig, und wenn auch die Fanny Hilpert das Doppelte verlangt, so gebe ich ihr lieber bas Doppelte. Sie, meine Liebe, Sie werden sie nicht verdrängen.' Ja, das hat sie ihr gesagt, und sie hat mir's wieder gesagt."
Denk biß wie in heftigem Schmerz die Zähne aufeinander. Armes Kind!" stieß er mühsam hervor.
,, Mir ist nicht bange um sie," tröstete Hilpert ,,, die läßt sich nicht so leicht abschrecken, die bringt sich schon durch; ich bin ihr ja neulich begegnet, war sie da nicht frisch und blühend wie eine Rose, und voll und rund? O, sie ist schön geworden, die Mieß! Wäre die Fanny nicht, wer weiß..."
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würfe, an der Miez zu zweifeln, die ihm trotz ihrer Jugend so fest im Guten, so muthig in ihrer Schutzlosigkeit erschienen war, und vor allem, so unschuldig. Wer hätte es gewagt, der Erste, den Keim des Lasters in diese reine Kinderseele zu legen? Weil sie stolz war, weil sie ihr Unglück allein trug, ohne zu jammern, ohne zu betteln, Selbsthülfe suchte und fand, eben deshalb hatte die Gemeinheit sie zu besudeln gewagt.
Schweigend schritten die Freunde neben einander her. Der Wind begann heftiger zu werden, einzelne Schneeflocken fielen; die Gasflammen flackerten unruhig hin und her, in ihrem unsicheren Lichte kaum einige Schritte weit leuchtend.
Sie waren vielleicht zehn Minuten gegangen, als Hilpert vor einem breistöckigen Hause Halt machte.
,, Da oben, siehst du, das letzte beleuchtete Fenster, da wohnt sie." Dent sah hinauf; das Fenster war dicht verhängt, aber in dem Augenblicke schien es ihm, als ob ein leichter Schatten vorüber huschte.
„ Ich muß hinauf!" rief er.
,, Heute noch?" fragte Hilpert ,,, es ist neun Uhr, der Alte schläft gewiß schon, warte bis morgen."
Denk blieb stehen, unentschlossen starrte er das erleuchtete Fenster an. Seine Ungeduld, sein Verlangen, sie wiederzusehen, waren heftiger als je; es war ihm, als könne er nicht schnell genug zu ihrem Schutz, vielleicht zu ihrer Rettung herbeieilen; es war ihm, als gälte es, durch ein schnelles Dazwischentreten ein Unglück zu verhüten.
Nur auf einen Augenblick, nur eine Sekunde lang, will ich sie sehen; sie soll nur wissen, daß ich da bin, daß sie nicht länger verlassen ist; ich will nur...
Er stockte; das Licht, nach dem er sehnsüchtig ausgeschaut, ward ausgelöscht; es war und blieb finster da oben. ,, Komm," sagte Dent nach einer kleinen Weile ,,, sie ist zu Bette gegangen." Seine Stimme flang eigenthümlich gepreßt.
Hilpert mochte es wohl merken. ,, Ist dir denn auf einmal gar so viel daran gelegen, die Kleine wiederzusehen? Hast's doch fast zwei Jahre lang ohne sie aushalten können."
" Ich dachte sie mir zufrieden und geborgen; mir schwebte immer der fröhliche Mädchenkopf vor Augen; seitdem ich weiß, daß die harte Hand des Elends sie berührt, und sie ungewarnt und unbeschützt an einem Abgrund steht,"- er schauerte zusammen ,, seitdem werde ich keine Ruhe haben, bis ich sie wiedergesehen."
,, Aber Speise und Trank wirst du dir doch bis dahin nicht versagen, was? Du, ich habe entsetzlichen Durst; komm', ich führe dich zu einem guten Glas Bier."
Gegen 11 Uhr fam Dent, auf's äußerste ermüdet, in sein Gasthaus; dennoch konnte er nicht einschlafen, zu viele Gedanken gingen ihm im Kopfe herum; erst gegen Morgen forderte die Natur ihre Rechte, und er entschlief tief und fest. Er träumte ,, Schön ist sie geworden, so? Und blühend und voll und von einem dunkeläugigen Mädchen, das reich mit Blumen ge= rund? Ei, ei! Doch nicht von emsiger Nachtarbeit, doch nicht schmückt war, und diese Blumen waren die Rosen und Veilchen, von Kummer und Sorge? Und hat Jemand vielleicht ihre Arbeit die er der Mietz vor zwei Jahren geschenkt hatte, und die seitdem gesehen, oder hat sie vielleicht jemals nur von ihrer Arbeit er- in unvergänglicher Frische fortgeblüht und fortgebuftet. Dies zählt, oder angedeutet, womit sie sich und ihren Alten füttert? füße Träumen und seine große Ermüdung, dann auch die Dunkelnein, sie thut ganz heimlich damit, und die Leute sagen" heit im Zimmer das Stubenmädchen hatte die Rouleaux hier machte Fanny eine kleine Pause und sah Dent schadenfroh herabgelassen, hielten ihn lange im Bette; als trotzdem die lächelnd in das bleiche, erregte Antlig, sie sagen, sie thue Tageshelle ihm bemerkbar ward, sprang er ganz erschrocken auf und sah nach der Uhr. Es war halb Zehn. Hui, nun ging's rasch! Er nahm sich nicht mehr die Zeit, zu frühstücken, und rannte fort. Eine halbe Stunde hatte er so, hin und hersuchend, den Theil der Vorstadt durchlaufen, wo er wußte, daß Marie wohnte; er konnte das Haus nicht finden. Hilpert hatte ihm auch weder Straße noch Hausnummer gesagt; er hatte ihn vor das Haus selbst geführt, und Dent wußte genau, daß es drei Stockwerke hatte, sieben Fenster in der Fronte, und daß das Merkmale genug, die mittelste erferartig herausgebaut war das Wiedererkennen erleichterten, aber er konnte ein solches Haus nicht finden. Was sollte er thun? Die Zeit verstrich, es war immerhin möglich, daß er sich in der Nichtung geirrt; es war
wohl daran."
Dent fuhr in die Höhe, wie von einer Natter gestochen. ,, Lüge!" schrie er ,,, elende Verleumdung! Und Sie schämen sich nicht, die Verleumdung zu wiederholen, das arme, schutzlose Mädchen anzuflagen?! D, es wäre fein Wunder, wenn sie, nur im Schlamme lebend, darin verfänke. Aber es ist nicht so, es ist nicht wahr! Hilpert, du gehst jetzt mit mir, du zeigst mir Mariens Wohnung. Ich werde sie sehen, und wenn Sie gelogen haben, Fanny, so werden Sie sie knieend um Verzeihung bitten!" Er fannte sich nicht mehr vor Zorn und Aufregung. Er nahm seinen Hut und verließ mit Hilpert das Zimmer, ohne zu grüßen. Erst auf der Straße, als der falte Wind ihm entgegen
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