Die Gene Bell
No 45.]
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
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Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
Im Banne Mammons.
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Erstes Kapitel.
Erzählung aus der Gegenwart von einem ,, Kezzer".
Man braucht nur um die nächste Ecke zu biegen, wenn man sehen will, wie die Kinder Reif schlagen, mit dem Ball, mit Kreiseln und mit kleinen Kugeln spielen. Dort ist ein großer, freier Platz; einiges Buschwerk beschattet die sandbestreuten Wege, und auf den grünen Bänken daneben sitzen die Kinderwärterinnen und wiegen die Kleinen auf dem Schoß.
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Ist das ein Singen und Springen, ein Jauchzen und Jubeln! Helle Freude malt sich auf allen Gesichtern, jenes wundersame Etwas liegt in der Luft, welches uns sagt nein, welches uns fühlen läßt, selig fühlen: der Frühling kommt. Am Strauchwerk fnospen die ersten kleinen Blätter, die Sonne lächelt wieder freundlich durch blauweiße Wölfchen herab, und in der warmen, weichen Luft wiegt sich das süße Tönen, mit welchem die von fernher gezogenen Vögel den Lenz begrüßen.
Freilich, im Walde draußen mag es noch viel schöner sein, all' dieses Knospen, Wehen , Singen und Girren, als auf dem Promenadenplatze der Weltstadt, mitken zwischen dem Staub und Gewühl der belebten Straßen; aber doch rührt sie auch hier so wonnig an's Herz, die Kunde vone mayenden eenz, und recht tief empfinden wir, daß es noch etwas Schöneres, Höheres geben müsse, als das raftlose Drängen und Treiben der Menschen, welches uns täglich und stündlich umfluthet.
Ob sie wohl auch an dieſes„ Schönere",„ Höhere" denkt, das junge, schlanke Mädchen, welches in der weniger verkehrsreichen Straße, aus der wir nach jenem Plaze gelangen konnten, auf der steinernen Schwelle eines Hauses steht und scheinbar gleichgiltig an den Thürpfosten lehnt?
O, die Liebe ist still, aber sie ist tief, und sie versteht am besten die Kunde vom nahenden Lenz.
Wie glücklich ist sie geworden, die schöne, achtzehnjährige Gertrud Margentheim! Mochten sie träumen, wovon sie wollten, die, mit denen sie einst an den Büffets der Reichen voll Glanz und Schimmer gestrahlt, mit denen sie die Nächte beim Ball durchschwärmt, mochten sie träumen von ihren Villen, von
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[ 1876
,, Des Hasses bin ich stolz, des Hohns zufrieden!"
Shelley.
neuen Equipagen, von prächtigen Kleidern, von Diamanten und Perlen. Sie träumte schöner, süßer, und doch nur von einem einzigen schlichten Menschen, über den die Kinder der Reichen verächtlich die Achseln gezuckt hätten. Ja, sie fühlte es tief, sie fühlte es mit aller unaussprechlichen Seligkeit: Es gibt ein Schöneres",„ Höheres", als das laute Gewühl, das hastige Drängen der den Gott Mammon umtanzenden Menschen, als aller berauschende Glanz und festliche Schimmer, als aller Prunt und alle Pracht, es gibt ein Glück, das ohne Reu'."
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Die Straße von Berlin , in welcher die Eltern Gertrud's einen kleinen Schnittwaarenladen gemiethet hatten, ist nicht so Friedrichsstraße, belebt, wie die verkehrsreichsten StraßenLeipzigerstraße, Unter den Linden - es sind. Man hört hier nur aus der Ferne das Läuten von den Pferdeeisenbahnen her; in bestimmten Zwischenräumen fährt ein Omnibus vorbei, um bald in eine andere Straße einzulenken; am meisten rollen noch Droschken vorüber. Sonst laufen wohl auch die Leute mit jener emsigen Geschäftigkeit hinauf und herunter, die man in großen Städten auf allen Gesichtern zu lesen meint, aber sie drängen und treiben sich doch nicht so wie anderswo. Eine Figur, die man sehr oft in dieser etwas entlegenen Straße sehen kann, ist ein biciger Mensch mit einer Militärmütze auf dem Kopfe, zwei Krücken unter den Armen und einem Leierkaften auf dem Rücken. Er spielt zum Ruhm unserer„ ruhmeichen Armee" in den Höfen unserer ,, ruhm eine bescheidene umher, und auch die Armen reichen ihm so ge... time heidene Gabe, klingen sie doch immer schön für sie, die Töne de kastens, für sie, welche die königlichen Opern- und Schauppets häuser mit bezahlen helfen, darin aber nur selten oder nie sich Herz und Sinn erquicken können. Und sehen sie doch in dem bleichen Invaliden einen Genossen ihres Elends, um mit ihm zu trauern und zu weinen, zu zürnen und zu fluchen. Auch sieht man dann und wann einen Blinden mit blassen Wangen vorüberschleichen, ebenfalls den Leierkasten schleppend, und einem zerlumpten hungrigen Kinde geführt. Man kann dabei von still die Güte Gottes" überdenken.-
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A Leier
Eben hält eine Droschke, welche die sinnende Gertrud kaum
I. 4. Nob. 1876,