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heranrollen hörte, vor dem Hause, an das sie lehnte, eine Droschke erster Klasse sogar!

Wer heraussteigen mag?

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Gertrud fragt sich nicht; sie weiß ja, daß der Vater jeden Nachmittag, wenn er die Stunden im Schlendrian vollbracht, in einem solchen Wagen zurückkehrt.

Es ist in den letzten Tagen des März und grade fünf Uhr: die rechte Zeit also, um noch das Abendessen einzunehmen und dann pünktlich zu Anfang der Vorstellung in ein Theater zu kommen, nein, um auch noch ein halbes Stündchen im Foyer oder im Restaurant verbringen zu können.

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Herr Reinhold Margentheim, ehemals Besitzer eines bekannten Bankgeschäftes, jetzt Miether eines kleinen Schnittwaarenladens in einer Straße der Vorstadt, hat sich von seiner Tochter den Wagenschlag öffnen lassen und tritt jetzt im vollen Gefühl seiner einstigen Größe in das Haus. Dann schreitet er im Flur seiner sich an den Laden schließenden, nach dem Hose hin gelegenen Wohnung zu.

Einfach ist's, aber recht traulich im Wohnzimmer drinnen. Und wie sauber und nett alles aussieht! Von dem mit einer weißen Spitzenbecke überworfenen Sopha bis zu dem kleinen Fuß­schemel, darunter Gertrud's niedliche, perlengestickte Hausschuhe ſtehen!

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Herr Margentheim ist sichtlich befriedigt, wie er einen prüfen­den Blick durch das behagliche Zimmer wirft: das also hatte er ,, aus dem Grabe seiner Habe" gerettet! Grade noch genug, um den feinen Mann" zu spielen, um zu faullenzen und zu prassen von dem, was seiner Frau und seiner Tochter Hände mühsam erworben.

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Den grauen, ganz modernen Cylinderhut hatte er schon ab gelegt und auch den mit Elfenbeinknopf und-Spitze versehenen Stock beiseite gestellt. Nun zieht er die hellgrauen Glacéhand­schuhe aus, nun setzt er sich an den Tisch, welcher schon vorher eine weiße Decke trug, o, man weiß ja immer, wann es dem ,, feinen Mann", Herrn Banquier Reinhold Margentheim, nach Hause zu kommen beliebt! Gertrud hat schnell die dampfende Abendmahlzeit servirt: Herr Banquier Reinhold Margentheim pflegte stets warm zu Abend zu speisen.

Freilich, er eigentlich jetzt nicht zu Abend", sondern nahm, wie es seither seine Gewohnheit gewesen, erst das Diner" ein. Denn Mittags um zwölf Uhr, wenn die armen Leute, die während des Nachmittags wieder vollauf beschäftigt sind, zu essen pflegen, war er noch nicht daheim, und Gertrud und ihre Mutter blieben bei Tisch allein. Zu Abend" aber speiste Herr Margentheim erst später, gewöhnlich im Theaterrestaurant oder in irgend einem Hotel.

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,, Gertrud, bring' mir noch etwas von diesem Braten!" befahl jeßt der feine Mann".

,, Ja, Bater!" und Gertrud trug einen neuen Teller herbei. ,, Gertrud, noch etwas von diesem Kompot!"

,, Ja, Vater!" und Gertrud stellte ein neues Schüsselchen hin. ,, Gertrud, ich möchte das Dessert!"

Ja, Vater!" und Gertrud brachte es.

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,, Gertrud, von dem alten Bordeaux ! Hörst du? Bordeaux !"

,, 3a, Vater! ja, Vater!"

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vom

Jetzt hat der feine Mann" feine Mahl beendet. Nun legt er die Serviette beiseite, er streift den einen Handschuh an die Linke, und will eben gehen, Hut und Stock wegzu­nehmfedr

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Guten Ab-"

In diesem Augenblicke erhebt sich die bleiche Frau Margen­theim, welche bisher still an einem Fenstertischchen gesessen und nur dann und wann, leise kopfschüttelnd, zu ihrem Manne hin­übergesehen hatte. Sie war eben mit der blauen Garnitur eines weißen Kinderhäubchens fertig geworden.

Jetzt schreitet sie auf den sich abschiebenden zu. ,, Aber Reinhold, willst du wirklich wieder ausgehen?" spricht sie sanft, indem sie schen und schüchtern ihre kleine Hand auf die Schulter des Gatten legt.

,, Woher kommt dir diese Frage?

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Ich will hoffen, daß ich mein eigener Herr bin!" entgegnet Herr Margentheim ziemlich barsch und schickt sich an, die Thür zu öffnen. ,, Aber, Reinhold, du siehst doch,- du weißt doch Reinhold, es kann nicht mehr so gehen!"

,, Aber ich bin gewohnt, zu gehen!" Blick trifft das bleiche, zitternde Weib.

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und ein finsterer

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die geringen

Doch sie faßt sich ein Herz: Reinhold, Einnahmen unsers Ladens reichen kaum hin, nur den Miethzins zu decken, und Gertrud und ich, wir vermögen nur zu erschwingen, was zur Führung unseres bescheidenen Haushalts nöthig ist, aber mehr nicht,-mehr nicht! Reinhold! Ich muß es dir endlich sagen: du bist nicht mehr Inhaber der Firma Margentheim und Kompagnie! Reinhold, ich beschwöre dich, bedenke endlich,

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daß du nicht mehr Banquier Margentheim bist!" ,, Weib! Ich nicht mehr Banquier Reinhold Margentheim? Achtet mich nicht als solchen die Welt? Ziehen nicht Die den Hut vor mir, die durch meine Hülfe zu etwas geworden?" und die Stirn des feinen Mannes" legt sich in immer tiefere Falten. ,, Reinhold!" und das arme, bebende Weib erhebt flehend die mattschimmernden Augen,- ,, Reinhold, traue ihnen nicht den Heuchlern, die dich umschmeicheln und hinter deinem Rücken dich belächeln,- traue ihnen nicht!"

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,, Weib! Bist du von Sinnen?

Weißt du, daß der Banquier Reinhold Margentheim jemals kurzsichtig gewesen? Hat er nicht durch seine Klugheit, durch seinen Scharfsinn Millionen erworben?"

Seine Augen schießen drohende Blicke, ein Ungewitter schwebt auf seiner Stirn, und ohne eine Antwort abzuwarten, eilt er hastigen Schrittes zur Thür hinaus.

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O ja, erworben hatte er viel; aber der Reichthum hatte ihn thöricht gemacht, und sein Scharfsinn sagte ihm nicht, daß er schwindelhaften Gründungen" sein Geld geliehen. Freilich, konnte er's wissen? Durfte sie es ihm nachrufen, die bleiche Frau, was sie ihm nachrufen wollte? Durfte sie ihm einen Vorwurf daraus machen, daß er da blind gewesen war, wo auch die schärfsten Augen nichts gesehen haben würden, und wo noch dazu die heißeste Habsucht seine Pläne drängte?

Da stand sie, das arme Weib, und zerdrückte unter den Wimpern die Thränen, welche hervorzubrechen begannen und be­mühte sich, die Tochter die Seufzer nicht hören zu lassen, welche alle dem einen, schmerzvollen Gedanken entstammten: Es kann nicht mehr so gehen!

Gertrud aber stand still beiseite, und sah, ein Bild reinster, schönster Kindlichkeit, die Mutter mitleidig an:

,, Komm, Mutter!" sagte sie dann tröstend, indem sie die Lampe in die Mitte des großen Tisches setzte und den hellgrünen Schirm darüber stülpte. Komm, Mutter!"

So spricht ein Kind, welches noch Muth genug hat, um sich sagen zu können: Es kann ja alles, alles noch recht gut werden! Und bald saßen die beiden Frauen bei emsiger Arbeit. Der feine Mann" aber amüsirte sich bei einer frivolen Bosse im Friedrich- Wilhelmstädtischen Theater: Gott, wenn er seine führten amusements" hätte entbehren sollen!

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Er war doch gar zu süß, sein sorgloser Schlendrian! Morgens zehn Uhr, nachdem er sich angekleidet, ein Spaziergang nach der Weinstube, um mit einigen Freunden das Frühstück ein­zunehmen; mittags eine Promenade unter den Linden oder im Thiergarten vor dem Brandenburger Thor, wo Equipage an Equipage vorüberrollt, ein Spaziergänger den andern drängt, wo die fashionable Welt" sich in allem Reichthum ihrer Toiletten zeigt; dann später, etwa um vier Uhr, nach dem Wiener Café" in die von Menschen wimmelnde Kaiser- Galerie, um an einem der weißen Marmortischchen vor dem Restaurant den Kaffee ein­zunehmen und die ab und zugehende Menge zu beobachten; dann nach Hause, zu, diniren", und dann in die Theater, am liebsten in diese, wo man Possen und lustige Sachen zur Dar­stellung bringt; dann das Souper " in Gesellschaft von Freunden oder zuweilen auch mit einer Dame der Demi- monde, und endlich