süße Stunden in deren Boudoir, um alle Liebenswürdigkeit und — die letzten Thalcr aufzubieten, oder auch nach einem Keller, um wieder in der Runde der Freunde sich dem Spiele hinzu- geben,— so Tag für Tag, vom Morgen bis in die Nacht: war noch ein schöneres, ein amüsanteres„Berliner Leben" möglich? Und das bleiche Weib, und die schöne Gertrud, sie konnten zu Hause sitzen und sorgen und sich mühen,— pah! Wozu waren sie denn bestimmt, als zum Spielzeug seiner Launen? Es ist das Vorrecht des„höheren" Standes, die anderen zu quäle», sie mit Füßen zu treten und ihnen hohnlachend zuzu- rufen: Wir haben das Recht zum Leben, wir allein!— Wenn wir prassen, könnt ihr darben! Ihr dürft nur leben, soweit ihr uns leben helft! Und habt ihr niemals gehört, daß Kaiser und Könige mit den Menschen spielten, wie die Kinder mit ihren Bleisoldaten, oder wie man auf einem Schachbrett mit Figuren spielt, daß sie den Purpur färbten mit dem Blut der geschlachteten Söhne deS Volks? Die Menschen meinen, daß man nicht so reden dürfe, und manche sagen auch wohl, daß dies mit dem Schlendrian deS Herrn Reinhold Margentheim nichts zu thun habe; aber ich weiß doch, daß daS ganze Wesen dieses Mannes jener menschen- unwürdige Egoismus war, welcher jetzt wieder aus seinen Augen blitzte, als er nach Schluß des Theaters in einer Weinstube der Eharlottenst aße den Pfropfen einer Champagncrflasche knallen ließ.— Pah! wir wollen leben,— wir nur allein!— Mag jetzt die bleiche Frau Margentheim mit müden Augen an einem neuen Kindcrhäubchen zu nähen beginnen, mag die schöne Gertrud ihre weißen, zarten Hände abmühen, um einen duftigen Schleier zu säumen,— ihr könnt darben!— Und es war ein langer, feiner Schleier, an dem Gertrud nähte, und ihr hättet sehen sollen, wie jetzt ihre Augen flammten und ihre Wangen sich höher färbten, wie sich ihr Busen selig hob.— Denn der Schleier wurde immer durchsichtiger und duftiger, und Gertrud sah, wie er sich um eine schöne, schlanke Mädchen- gestalt legte und um die glühenden Wangen wallte. Und sie sah Jemand neben sich knien, und feierlichen Orgelklang hörte sie rauschen, und sie vernahm, wie eine Stimme sie fragte.— „Ja!" antwortete sie leise. Aber in ihrem Herzen klang es tausendmal lauter, dieses„Ja!" und dazu jauchzte und jubelte es selig: Mein Geliebter, mein Geliebter!—
Zweites Kapitel. Der Wallensee ist nächst dem Urner -, einem Arme des Vier. walvstädterseeS, der an großartigen, wilden Scenerien reichste Gebirgssee der Schweiz . Nach Ost und West sanft auslaufend, wird er an seinem nördlichen Ufer von der steil auö dem grünen Wasser empor- steigenden, röthlich schimmernden Churfirstcnkette begrenzt, während am südlichen Gestade mählich sich aufwärtsziehende, graö- und getreidebewachsene Hügel und grüner Wald den Uebergang zu den hohen, gletschergekrönten St. Galler und Glarncr Bergen vermitteln. Auf dem nördlichen Ufer gestalten die steilen Felsen kaum, daß ein schmaler Fußweg die vereinzelt da drüben stehenden und im Verhältniß zu den gewaltigen Bergriesen wie kleine Hunde- Hütten aussehenden Häuser verbindet; an der südlichen Seite aber spiegeln sich wunderbar malerisch gelegene Dörfchen in den Wellen des gefährlichen SeeS. In einem dieser kleinen Dörfer standen an einem prächtigen Julitage, der seinem Ende entgegenging, mehrere Leute, zu einer Gruppe vereinigt, bei einander: einige Männer mit gebräunten Gesichtern, die Hemdsärmel hinaufgestreift,— ein paar schlicht gekleidete Frauen, welche rothwangige Kinder auf den Arme» trugen und von größeren Knaben und Mädchen lärmend um- hüpft wurden.
„Ich glaub's nicht!" sagte jetzt ein alter Mann in silber- weißem Haar,„ich glaub's nicht, daß der Heinrich so weit fort will! Er ist doch auch nickt mehr jung,— und die weite Reise!— Ich glaub's nicht!" „Aber ich sag's euch!" entgegnete ein junger, kräftiger Bursch mit schwarzen Locken und funkelnden Augen.„Der Hans hat geschrieben, er hätte ein gutes Auskommen und seine Eltern sollten zu ihm nach Berlin ziehen, sie würden da gut leben können!" „Und's ist auch wahr," sagte jetzt etwas leiser eine der zwischen die Sprechenden hereinblickenden Frauen,„man verdient zu wenig bei dem jungen Herrn. Und ist's ein Wunder? Er reitet und fährt spazieren und macht mit dem reichen Klaus in Wallenstadt große Reisen, und da wird gespielt und gut gelebt, wir Wissens schon! Um seine Sägemühle kümmert er sich nicht mehr, und der Verwalter grad' bei uns bezahlt, wie er Lust hat!" „Ja, da ist doch aus dem Hans etwas ganz anderes ge- worden!" meinte nun der Alte wieder.„Den haben sie nach Berlin gerufen, weil er so schöne Zeichnungen machen kann,— und Häuser baut er, es sollen die reinen Paläste sein!— Freilich, auf der Schule, da hat er auch seine Zeit gut benutzt und nicht blos getrunken und gespielt und Allotria getrieben, wie der junge Herr!" Im Augenblick trat aus der Eingangsthür einer der Säge- mühlen, deren, wie sie überhaupt am Wallensee zahlreich sind, es in diesem Dörfchen mehrere gibt, ein kräftiger Mann im Alter von etwa fünfundfünfzig Jahren. Einer der plaudernd Dastehenden hatte es bemerkt, und nun rief die ganze Gruppe durcheinander: „Da ist der Heinrich, da ist der Heinrich!" „Guten Abend, ihr Leute!" begrüßte dieser, Heinrich SollmanS, ein Arbeiter jener Sägemühle, die Versammelten, und alsbald wußte er sich der von allen Seiten auf ihn einstürmenden Fragen kaum noch zu erwehren. „Ja, es ist so!" rief er jetzt, nicht ohne eine gewisse Genug- thuung erkennen zu lassen.„Mein Hans hat mir geschrieben; ich gehe nach Berlin , und eine gute Stellung werde ich dort haben! In acht Tagen geht's fort. Und seht nur,"— bei diesen Worten öffnete Sollmans ein Tuch, welches er unter dem Arme trug,—„das hat mir der junge Herr als Geschenk ge- geben!" „Der junge Herr, der junge Herr?" schallte es mit dem Ausdruck der Verwunderung durcheinander, als man der schönen Kleidungsstücke ansichtig wurde, welche in jenes Tuch eingehüllt waren. „Ein Staatsanzug, ein Staatsanzug!" „Ja, vom jungen Herrn, und den Hans soll ich grüßen, den Hans!" rief Sollmans im Ton höchster Freude. „O, mein Hans, das ist ein Herzensjunge!" „Ein braver Bursch!" meinte der silberhaarigc Alte.„Ein braver Bursch!" Und alles stimmte ihm kopfnickend bei:„Ein braver Bursch!" „Ein Herzensjunge, ein Herzensjunge!" sagte der alte Soll- mans ohne Aushören vor sich hin, als er seinem nahegelegenen Häuschen zuschritt. Sein Gesicht glänzte vor lauter Freude, und er schritt heute viel fester, fast stolz, der alte, glückliche SollmanS: „Ein Herzensjunge!" „Hab' ich's euch nicht gesagt?" rief jener schmucke, junge Btann noch einmal, als die Leute, nur noch einzeln zusammen plaudernd, langsam auseinandergingen.„Hab' ich's euch nicht gesagt?" Ja wohl! er hatte ganz recht gesagt. Denn der Baumeister Johannes Sollmans in Berlin hielt schon nach wenigen Tagen einen Brief in den Händen und wiederholte sich in einemfort: „Sie kommen, sie kommen!" Wie er sich auf den Vater freute! Und auf die Mutter erst! Dummes Zeug!— Er wußte selbst nicht, wessen Anblick er mehr oder weniger ersehnte. Er hatte nun bereits seit sechs Jahren die Heimath ver- lassen, gleich darauf, als er den Kursus am Polytechnikum zu