III.
439
Als wir aus Wernigerode hinausgerollt waren, sahen wir zur Rechten den Regenstein , der in der Geschichte der Grafen von Stolberg- Wernigerode eine so verhängnißvolle Rolle spielt. Aber auch die Reinsteiner Grafen waren nicht besser als sie sein sollten, und auf dem Rathhause zu Quedlinburg zeigt man noch heute den eisernen Käfig, in welchem Graf Reinstein wie ein ächter Raubvogel lange Zeit von den erbitterten Bürgern gefangen gehalten wurde. Die Sage erzählt, daß er seine Befreiung den Bitten einer schönen Rathsherrntochter verdankte, die in Liebe zu ihm entbrannt war. Aber es ist ein altes Sprich wort: Wer hängen soll, ersäuft nicht! Der Graf war kaum aus seinem Käfig geschlüpft, als er Halberstadt überfiel und mit Feuer und Schwert verwüstete. Das geschah am Weihnachtsfeste. Der Bischof von Halberstadt sammelte eiligst seine Fähn lein und eilte dem mit reicher Beute abziehenden Grafen nach. Bei Dannstedt kam es zum Kampf, in dem Graf Albrecht selbst erstochen wurde. Da kein Baum in der Nähe war, so wurde der Graf an einem in die Erde gesteckten Spieß gehenkt. Das Faustrecht und Raubritterwesen hat es im Harz so arg getrieben, wie nur sonst irgendwo in dem heiligen römischen Reiche deutscher Nation und es ist wahrlich kein kleines Kunststück der Romantiker, daß sie es fertig gebracht, uns das wüste Mittelalter als ein Ideal aufzustellen.
Der Regenstein ist wie Quedlinburg ein einzelner Sandsteinfelsen, der mitten aus der Ebene aufragt. Es sind die vorgeschobensten Posten des Harz , detachirte Forts, welche die Teufelsmauer decken, die bei Blankenburg beginnt und sich mit Unterbrechungen um den östlichen Harz bis Ballenstedt fortsetzt, wo sie in den beiden Gegenſteinen zuletzt zu Tage tritt. Wir betamen ein Stück dieser wunderlich geformten Felsklumpen deutlich zu Gesicht, als wir am zweiten Feiertage mit dem Bahnzuge nach Thale hineinfuhren.
Der Volksglaube schreibt das seltsame Gebilde dieser Mauer dem Teufel zu. Als der liebe Gott mit dem Teufel wegen Deutschland im Streite lag, einigten sich beide schließlich dahin, daß der liebe Gott die Ebene, der Teufel aber das Gebirge behielt. Satanas machte sich nun gleich daran, sein Eigenthum mit jener Mauer einzufassen. An anderen Orten, wo die Natur ähnliche Formationen geschaffen hat, tritt ein Riese als Baumeister auf. Hier ist die umbildende Phantasie des Volkes dem mythologischen Ursprung der Sage getreuer geblieben. Die jüngere Edda erzählt nämlich, als die Götter Midgard erschaffen und Walhall gebaut hatten, da sei ein Baumeister zu ihnen gekommen und habe sich erboten, eine Burg zu bauen in drei Halbjahren, die den Göttern zum Schutz wäre wider alle Riesen, wenn sie gleich über Midgard eindrängen. Die Riesen faßt die germanische Mythologie den Göttern gegenüber als die Vertreter der bösen Mächte auf. Zum Lohn bedingte sich der Baumeister die Göttin Freya und dazu Sonne und Mond aus. Die Götter gingen den Handel unter der Bedingung ein, daß der Baumeister die Burg in einem Winter fertig bringen müßte, sei er aber bis zum ersten Sommertage nicht damit zu Stande gekommen, so erhalte er nichts; auch dürfte ihm Niemand bei seinem Werke helfen. Er verlangte nur, daß ihm erlaubt sein sollte, sich der Hülfe seines Pferdes Swadilfari zu bedienen, und Loki ( das Feuer, der Böse unter den Göttern) rieth dazu, daß ihm dies zugesagt wurde. Da griff er ani ersten Wintertage zur Arbeit und führte in der Nacht gewaltige Felsen als Bausteine mit dem Pferde herbei, und ging der Bau so rasch von statten, daß die Burg zu Ende des Winters schon hoch und stark genug war, um jeden Angriff abzuhalten. Den Göttern wurde bange, wenn sie an den Preis dachten, sie hatten aber den Kauf mit vielen Zeugen und starken Giden bekräftigt, denn ohne einen solchen Frieden hätte sich der Niese bei den Göttern nicht sicher geglaubt, wenn Thor heimkäme, der damals nach Osten gezogen war. Und
als noch drei Tage blieben bis zum ersten Sommertage, war das Werk schon bis zum Burgthor fertig. Da bedrohten die Götter den bösen Rathgeber Loki mit einem üblen Tode, wenn er keine Auskunft fände, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen. Der geängstigte Loki versprach mit einem Eide, nach dem Willen der Götter zu handeln. Und denselben Abend, als der Baumeister noch Steine anfuhr mit seinem Hengste Swadilfari, da lief ihm aus dem Walde eine Stute entgegen. Swadilfari ward wild, zerriß die Stricke und lief der Mähre nach und die Mähre voran zum Walde und der Baumeister seinem Pferde nach, es zu fangen. Und diese Rosse liefen die ganze Nacht umher, und ward diese Nacht und den Tag darauf die Arbeit versäumt. Als der Meister sah, daß das Werk nicht zu Ende, kommen möge, da gerieth er in einen Riesenzorn. Die Götter aber, die nun für gewiß erkannten, daß es ein Jöte, ein Bergriese, war, der zu ihnen gekommen, achteten ihrer Eide nicht mehr und riefen zu Thor , und im Augenblick kam er und hob auch gleich seinen Hammer Miölnir und bezahlte mit ihm den Baulohn, nicht mit Sonne und Mond, vielmehr verwehrte er ihm das Bauen auch in Jötunheim( der Heimath der Riesen), denn mit dem ersten Streiche zerschmetterte er ihm den Hirnschädel in kleine Stücke und sandte ihn hinab gen Niflhel( die Unterwelt).
Der Sinn dieser Mythe läßt in dem Baumeister, dem Riesen, den Winter selbst erkennen. Der Name seines Pferdes Swadilfari bedeutet Eisführer. Fassen wir ihn als Nordwind auf, so mag das Hin- und Herlaufen der Pferde im Walde das Wechseln der Winde anzeigen, welches dem Ende des Winters vorausgeht. Wäre das Werk des Winterriesen fertig geworden, so hätten Schnee und Eis für immer die frühlingsgrüne Erde, die Göttin Freya , bedeckt und eine ewige, lichtlose Nacht zum Verderben der Götter und Menschen auf Erden geherrscht. Aber der Donnergott Thor erscheint und seine Gewitter zermalmen den Winter.
Derselbe Mythus liegt den unzähligen Sagen von Brücken-,- Schloß- und Kirchenbauten zu Grunde, die der Teufel in einer Nacht bis zum ersten Hahnenschrei herzustellen sich verpflichtet, aber nie zu Stande bringt und dann sein Werk wieder zu zerstören sucht. Am reinsten klingt der Mythus in der norwegischen Sage vom König Olaf nach, welche uns auch den Namen des Riesen nennt, den die Edda vergessen hat. Hier soll der Niese eine ungeheure Kirche bauen und zum Lohn Sonne und Mond oder Olaf selbst erhalten. Als der Bau bis auf Dach und Spize fertig dasteht, wandelt Olaf bekümmert durch Berg und Thal. Da hört er, wie ein Riesenweib ihr weinendes Kind mit den Worten zu stillen sucht: Biß, ziß! morgen kommt dein Vater Wind und Wetter und bringt Sonne und Mond oder den heiligen Olaf mit." Erfreut über diese Entdeckung kehrt Olaf zurück und ruft dem Baumeister, der eben die Spize aufgesetzt hat, zu:„ Wind und Wetter, du hast die Spitze schief gesezt." Nach einer andern Erzählungsart, in welcher der Riese Bläster( Bläser) heißt, ruft Olaf: Bläster, setze die Spitze nach Westen!" Mit einem schrecklichen Krach fiel darauf der Niese von dem Kirchendach herab und zerbarst in viele Stücke, denn mit dem Namen des bösen Geistes vernichtet man seine Macht. Die Lüge ist nicht mehr, sobald sie erkannt ist.
Hätten sich Diejengen, welche das Christenthum in Deutsch land verbreiteten, Mühe gegeben, in den Kern der heidnischen Götterlehre einzudringen, statt sie mit schwerem Bann zu belegen, wie viel Blut und Elend wäre der Menschheit erspart worden! Aus diesem Unverstande schlug die entseßliche Lohe der Scheiterhaufen empor, auf welchen man Jahrhunderte hindurch Heren und Zauberer verbrannte. Das war die Rache der verkannten
Götter.