III.

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Pfingsten im Harz.

Wandererinnerungen von Robert Schweichel  .

Als wir aus Wernigerode   hinausgerollt waren, sahen wir zur Rechten den Regenstein  , der in der Geschichte der Grafen von Stolberg- Wernigerode   eine so verhängnißvolle Rolle spielt. Aber auch die Reinsteiner Grafen   waren nicht besser als sie sein sollten, und auf dem Rathhause zu Quedlinburg   zeigt man noch heute den eisernen Käfig, in welchem Graf Reinstein wie ein ächter Raubvogel lange Zeit von den erbitterten Bürgern ge­fangen gehalten wurde. Die Sage erzählt, daß er seine Be­freiung den Bitten einer schönen Rathsherrntochter verdankte, die in Liebe zu ihm entbrannt war. Aber es ist ein altes Sprich wort: Wer hängen soll, ersäuft nicht! Der Graf war kaum aus seinem Käfig geschlüpft, als er Halberstadt   überfiel und mit Feuer und Schwert verwüstete. Das geschah am Weihnachts­feste. Der Bischof von Halberstadt   sammelte eiligst seine Fähn lein und eilte dem mit reicher Beute abziehenden Grafen nach. Bei Dannstedt kam es zum Kampf, in dem Graf Albrecht selbst erstochen wurde. Da kein Baum in der Nähe war, so wurde der Graf an einem in die Erde gesteckten Spieß gehenkt. Das Faustrecht und Raubritterwesen hat es im Harz so arg getrieben, wie nur sonst irgendwo in dem heiligen römischen Reiche deut­scher Nation und es ist wahrlich kein kleines Kunststück der Ro­mantiker, daß sie es fertig gebracht, uns das wüste Mittelalter als ein Ideal aufzustellen.

Der Regenstein   ist wie Quedlinburg   ein einzelner Sandstein­felsen, der mitten aus der Ebene aufragt. Es sind die vorge­schobensten Posten des Harz  , detachirte Forts, welche die Teufels­mauer decken, die bei Blankenburg   beginnt und sich mit Unter­brechungen um den östlichen Harz   bis Ballenstedt   fortsetzt, wo sie in den beiden Gegenſteinen zuletzt zu Tage tritt. Wir be­tamen ein Stück dieser wunderlich geformten Felsklumpen deut­lich zu Gesicht, als wir am zweiten Feiertage mit dem Bahn­zuge nach Thale   hineinfuhren.

Der Volksglaube schreibt das seltsame Gebilde dieser Mauer dem Teufel zu. Als der liebe Gott mit dem Teufel wegen Deutschland   im Streite lag, einigten sich beide schließlich dahin, daß der liebe Gott die Ebene, der Teufel aber das Gebirge behielt. Satanas machte sich nun gleich daran, sein Eigenthum mit jener Mauer einzufassen. An anderen Orten, wo die Natur ähnliche Formationen geschaffen hat, tritt ein Riese als Bau­meister auf. Hier ist die umbildende Phantasie des Volkes dem mythologischen Ursprung der Sage getreuer geblieben. Die jüngere Edda erzählt nämlich, als die Götter Midgard erschaffen und Walhall gebaut hatten, da sei ein Baumeister zu ihnen gekommen und habe sich erboten, eine Burg zu bauen in drei Halbjahren, die den Göttern zum Schutz wäre wider alle Riesen, wenn sie gleich über Midgard eindrängen. Die Riesen faßt die germa­nische Mythologie den Göttern gegenüber als die Vertreter der bösen Mächte auf. Zum Lohn bedingte sich der Baumeister die Göttin Freya und dazu Sonne und Mond aus. Die Götter gingen den Handel unter der Bedingung ein, daß der Baumeister die Burg in einem Winter fertig bringen müßte, sei er aber bis zum ersten Sommertage nicht damit zu Stande gekommen, so erhalte er nichts; auch dürfte ihm Niemand bei seinem Werke helfen. Er verlangte nur, daß ihm erlaubt sein sollte, sich der Hülfe seines Pferdes Swadilfari zu bedienen, und Loki  ( das Feuer, der Böse unter den Göttern) rieth dazu, daß ihm dies zugesagt wurde. Da griff er ani ersten Wintertage zur Arbeit und führte in der Nacht gewaltige Felsen als Bausteine mit dem Pferde herbei, und ging der Bau so rasch von statten, daß die Burg zu Ende des Winters schon hoch und stark genug war, um jeden Angriff abzuhalten. Den Göttern wurde bange, wenn sie an den Preis dachten, sie hatten aber den Kauf mit vielen Zeugen und starken Giden bekräftigt, denn ohne einen solchen Frieden hätte sich der Niese bei den Göttern nicht sicher geglaubt, wenn Thor   heimkäme, der damals nach Osten gezogen war. Und

als noch drei Tage blieben bis zum ersten Sommertage, war das Werk schon bis zum Burgthor fertig. Da bedrohten die Götter den bösen Rathgeber Loki mit einem üblen Tode, wenn er keine Auskunft fände, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen. Der geängstigte Loki   versprach mit einem Eide, nach dem Willen der Götter zu handeln. Und denselben Abend, als der Baumeister noch Steine anfuhr mit seinem Hengste Swadilfari, da lief ihm aus dem Walde eine Stute entgegen. Swadilfari ward wild, zerriß die Stricke und lief der Mähre nach und die Mähre voran zum Walde und der Baumeister seinem Pferde nach, es zu fangen. Und diese Rosse liefen die ganze Nacht umher, und ward diese Nacht und den Tag darauf die Arbeit versäumt. Als der Meister sah, daß das Werk nicht zu Ende, kommen möge, da gerieth er in einen Riesenzorn. Die Götter aber, die nun für gewiß erkannten, daß es ein Jöte, ein Berg­riese, war, der zu ihnen gekommen, achteten ihrer Eide nicht mehr und riefen zu Thor  , und im Augenblick kam er und hob auch gleich seinen Hammer Miölnir und bezahlte mit ihm den Bau­lohn, nicht mit Sonne und Mond, vielmehr verwehrte er ihm das Bauen auch in Jötunheim( der Heimath der Riesen), denn mit dem ersten Streiche zerschmetterte er ihm den Hirnschädel in kleine Stücke und sandte ihn hinab gen Niflhel( die Unterwelt).

Der Sinn dieser Mythe läßt in dem Baumeister, dem Riesen, den Winter selbst erkennen. Der Name seines Pferdes Swadilfari bedeutet Eisführer. Fassen wir ihn als Nordwind auf, so mag das Hin- und Herlaufen der Pferde im Walde das Wechseln der Winde anzeigen, welches dem Ende des Winters vorausgeht. Wäre das Werk des Winterriesen fertig geworden, so hätten Schnee und Eis für immer die frühlingsgrüne Erde, die Göttin Freya  , bedeckt und eine ewige, lichtlose Nacht zum Verderben der Götter und Menschen auf Erden geherrscht. Aber der Donner­gott Thor   erscheint und seine Gewitter zermalmen den Winter.

Derselbe Mythus   liegt den unzähligen Sagen von Brücken-,- Schloß- und Kirchenbauten zu Grunde, die der Teufel in einer Nacht bis zum ersten Hahnenschrei herzustellen sich verpflichtet, aber nie zu Stande bringt und dann sein Werk wieder zu zer­stören sucht. Am reinsten klingt der Mythus   in der norwegischen Sage vom König Olaf nach, welche uns auch den Namen des Riesen nennt, den die Edda   vergessen hat. Hier soll der Niese eine ungeheure Kirche bauen und zum Lohn Sonne und Mond oder Olaf selbst erhalten. Als der Bau bis auf Dach und Spize fertig dasteht, wandelt Olaf bekümmert durch Berg und Thal. Da hört er, wie ein Riesenweib ihr weinendes Kind mit den Worten zu stillen sucht: Biß, ziß! morgen kommt dein Vater Wind und Wetter und bringt Sonne und Mond oder den hei­ligen Olaf mit." Erfreut über diese Entdeckung kehrt Olaf zurück und ruft dem Baumeister, der eben die Spize aufgesetzt hat, zu: Wind und Wetter, du hast die Spitze schief gesezt." Nach einer andern Erzählungsart, in welcher der Riese Bläster( Bläser) heißt, ruft Olaf: Bläster, setze die Spitze nach Westen!" Mit einem schrecklichen Krach fiel darauf der Niese von dem Kirchen­dach herab und zerbarst in viele Stücke, denn mit dem Namen des bösen Geistes vernichtet man seine Macht. Die Lüge ist nicht mehr, sobald sie erkannt ist.

Hätten sich Diejengen, welche das Christenthum in Deutsch­ land   verbreiteten, Mühe gegeben, in den Kern der heidnischen Götterlehre einzudringen, statt sie mit schwerem Bann zu belegen, wie viel Blut und Elend wäre der Menschheit erspart worden! Aus diesem Unverstande schlug die entseßliche Lohe der Scheiter­haufen empor, auf welchen man Jahrhunderte hindurch Heren und Zauberer verbrannte. Das war die Rache der verkannten

Götter.

Inzwischen hat der Zug, der auf den Zwischenstationen von Halberstadt   her zu einer wahren Riesenschlange angewachsen ist, Thale   oder Blechhütte erreicht. Wie ein aufgeftauter Strom, dessen Schleusen plötzlich geöffnet werden, ergießen sich die