W 440 Menschenwogen nach dem Bodethale. Und jeder folgende Bahn- zug bringt Hunderte und aber Hunderte von neuen Gästen. Dazu roller auf allen Landstraßen mit Maien geschmückte Erntewagen heran, die festlich geputzte Bevölkerung der Umgegend demselben Ziele zuführend. Auf allen Pfaden des Bodethales, von Blechhütte hinauf zur Roßtrappe und die im Zickzack sich schlängelnde Schurre hinab wogt hin und her ein ununterbrochener Menschenstrom wie eine Prozession. Aber die Stimmung hat mit der frommer Wall- fahrer nichts gemein. Es sind keine Kirchenlieder, die oft genug erschallen, und leider fehlt es nirgends an Künstlern auf der Ziehharmonika. Dazwischen knallten auf der Roßtrappe die Pistolen und weckten den donnerartigen Widerhall zwischen den jähen Felsen, und von dem Hexentanzplatz her schmetterten Piston- und Klapptrompeten lustige Weisen. Die Birken und Eschen auf dem Hexentanzplatz, welcher die Roßtrappe um 250 Fuß überragt, mögen wohl hexenhaft genug aussehen, wenn sie der Wind in mondheller Nacht hin und her wiegt. Nachdem wir uns in Blechhütte ein Nachtlager gesichert hatten, stiegen wir zur Roßtrappe hinauf. Die- Fülle durstiger Kehlen, welche wir bei dem„Wirthshaus zur Noßtrappe" um die unter einer Bretterbude aufgestellten Bierfässer versammelt fanden, weis- sagte uns grade keinen angenehmen Aufenthalt aus dem schmalen Riffe der Trappe selbst. Aber nicht weniger unangenehm als die Menschenmenge, die sich dort hin- und herschob, war die allzu- große Heiterkeit der Meisten. Man sagt, daß ein eigener Gott über die Betrunkenen wache; ein größeres Wunder war es, daß die Hin- und Herstolpernden keinen Nüchternen in die gähnende Tiefe hinabstürzten. Schmal, an der äußersten Spitze, der Dreskanzel, nur 6 Fuß breit, drängt sich das Felsenriff der Rcßtrappe dem gegenüber drohenden Gestein entgegen und versperrt der Bode den Ausweg in's Thal. So bildet sich ein Kessel, dessen steile Granitwände, Die Eisenbahnbrücke von Haut Portagc auf der Ncwhork- Buffalo-Eiscnbahn.(Seite 432.) Amerika , das Land der gewaltigen Ströme, mir hohen, felsigen Ufern, ist auch das Land, welches die groß- artigsten Brückenbauten, und besonders für die Zwecke der Eisenbahnen, aufzuweisen vermag. Die Eisenbahnbrücken Amerikas zeichnen sich namentlich dadurch aus, daß sie, obwohl oft in riesigen Dimensionen aufgeführt, doch meist Holzbauten von einer überraschenden Leichtigkeit und hoher Formengefälligkeit sind. Wo europäische Baumeister mit dem Aufwand von Millionen gewaltige Stein- und Eisen- Konstruktionen schaffen würden, da zaubert ein Amerikaner mit nur Tausenden von Dollars Holzkonstruktioncn hervor, deren Dauerhaftigkeit und Festigkeit nicht viel geringer ist. Das vorstehende Bild zeigt die Eisenbahnbrücke von Haut Portage, einen Bau, der 240 Meter lang und 57 Meter hoch und in dreizehn Monaten für 722,500 Reichsmark hergestellt worden ist. Sechzehn Dachstühle tragen eine Doppelgallerie, auf welcher die Brücken- bahn ruht; auf dieser liegen die Schienen. Maucrpfeiler, welche 9 Meter über die Wasserfläche hervorragen, bilden den Ouerbau der Dachstllhle. Das gigantische Bauwerk ist eines der interessantesten Meisterwerke der Zimmererknnst. Ein Sommcrnachtstraum.(Siehe S. 433.) Ein Freund des Künstlers— Herbert König's— bezeichnet die Skizze als„phan- tastijch-poetisch"j Und in der That, sie ist ebenso phantastisch wie poelisch: das träumende Kind in der„mondbeglänzten Zaubernacht" des Mit- sommers, die riesigen Nachtschmetterlinge, die durch das geöffnete Fenster hereingeschwärmt sind— der Baum, welcher seine Zweige nach dem Kinde ausstreckt--- aus dem Holzboden des Zimmers erheben sich Büsche, die Büsche verwandeln sich in schäumende Wogen, und das ein- fache Bettchen wird zur Feengondel, die durch die Brandung schifft.— Möge der kleine Schläser unversehrt an das Ziel kommen. Möge der böse Todtenkopf, der über dem goldlockigen Haupt schwebt und seinen Saugrüssel nach ihm ausstreckt, keine böse Vorbedeutung sein! nur selten mit spärlichem Grün bekleidet, sich 000 Fuß hoch erheben. Zu diesen Kessel sieht man die Wasser aus den so- genannten engen Wegen mächtig hereinrauschen, einen Augenblick in einem erweiterten Becken still stehen und dann gegen die Roß- trappe heranstürzen. Aber noch trotzt, wie seit Jahrtausenden, der Granit unüberwunden, und nöthigt die Wasser, sich im Bogen um den Fuß des Riffs herumzudrängen. Vyn da an brausen sie mit minder starkem Gefälle der Ebene zu, wo sie sofort in das Joch der Industrie gespannt werden. Aber heute haben auch sie einen freien Tag. Die Räder, welche sie sonst in Blechhütte treiben müssen, stehen still. Eine magische Gewalt zieht den Blick immer wieder in den von jähen Klippen umstarrten Kessel und fesselt ihn an die schwarze, unbewegt erscheinende Wasserfläche des Beckens, über welches sich früher ein schmaler, schwankender Steg, jetzt eine solide Brücke spannt. Das ist die Teufelsbrücke über dcni Bode- kessel. In diesen Kessel siel die Krone Brunhildens und liegt noch darin begraben, und ein schwarzer Hund, tags ein Felsen, bewacht nächtens den Schatz. Bodo, ein wilder Böhmenkönig, verfolgte einst die königliche Jungfrau, die auf schnellem Rosse vor dem Werber floh. So gelangte sie auf den Hexentanzplatz, vor ihr gähnte die breite Thalkluft. Schon glaubte Bodo seiner schönen Beute gewiß zu sein, aber Brunhilde empfahl ihre Seele der heiligen Jungfrau und trieb das Roß zu dem entsetzlichen Sprunge an. Und der Sprung, bei dem ihr die funkelnde Krone vom Haupte fiel, gelang. Ihr Roß erreichte glücklich die Klippe, welche seitdem die Roßtrappe heißt, und noch heute die Hufspur ihres Pferdes weist, die sich tief in den Felsen eingeprägt hat. Ein Mönch, welcher zufällig Zeuge des verzweifelten Sprunges war, versteinerte vor Staunen. So steht er noch heute der Roß- trappe gegenüber. Bodo war nicht so glücklich, wie die schöne Brunhilde. Auch er wagte den Sprung, erreichte aber die Klippe nicht, sondern stürzte mit seinem Rosse in die Tiefe.(Schluß folgt.) Sprüche aus dem Munde der Völker. Gesammelt von Z. 3. (Englisch .) Ho may ill run that cannot go. Wie trefflich laufen wird der Mann, Ter gar nicht einmal gehen kann. Tho greatest talkers are te least doers. Das Sagen und das Thun Geht in verschiednen Schuh'n. A poor dog that is not worth the whistling. Das ist der ärmste Hund, der je gebellt, Den man des Pfeifens nicht für würdig hält. Hove comes in at the window, and gocs out at the door. Durckss Fenster laff' die Lieb herein, Durch's Thor wird bald hinaus sie sein. Every man can rule a shrcw, savc he that has her. Ein Keifweib zähmen? Jeder kann's; Mit einz'ger Ausnahm' ihres Manns. Hot love, soon cold. Lieb', die allzu heiß, Frieret schnell zu Eis. Hove me little, love me long. Mit wenig Liebe an mir hang, Mit dieser aber lleb' mich lang. Um die Zahl unserer Wochennummern mit der Wochenzahl des Jahres in Einklang zu bringen und auf 52 zu beschränken, wird die folgende Nummer(46) statt am 1l. November am 18, November erscheinen, und fällt sohin die Nummer für den 11. November aus. Ohne den Ausfall einer Nummer würoe die Zahl 53 betragen. Verantwortlicher Redakteur: W. Liebknecht in Leipzig . Druck und Verlag der Genoffenschaftsbuchdruckerei in Leipzig .
Ausgabe
1 (5.11.1876) 45
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