ihre unfittlichen Lieder hörte, hielt sie beide Hände vor das Ge­sicht und drängte Johannes, der, wie gesagt, ganz ahnungslos in das durchaus nicht als besonders anrüchig bekannte Lokal ge­treten war, zum Fortgehen.

Die Umstehenden und Sißenden aber lachten und spotteten in jener Weise, welche man ,, Berliner Volkswitz" zu nennen über­eingekommen ist. In großen Städten ist das Laster schon zur Gewohnheit geworden, und man versteht nicht das gesunde Sitt­lichkeitsgefühl einer einfachen Frau vom Lande.

Auch der Vater des Baumeisters gab seiner Verwunderung über Manches oft beredten Ausdruck. So zum Beispiel stieg oft der Stolz des freien Schweizervolts in ihm auf, wenn er sah, wie sich in vielen Fällen die Soldaten von gar nicht selten viel weniger gebildeten Vorgesetzten mißhandeln lassen müssen, oder wie man eine Schaar Rekruten gleich armen Schlachtthieren in die Kasernen schleppt, um sie lange Monate hindurch zu drillen, und ihnen den richtigen militärischen Geist" beizubringen.

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,, D," sagte er dann ,,, wie glücklich sind wir in der freien Schweiz  ! Alle unsere Söhne sind Soldaten; aber man dressirt sie nicht, bis sie wie die Pappelbäume dastehn, oder wie Zaun­pfähle. Und doch, wenn man uns angreift, wir gedenken recht wader zuschlagen zu können!"

Auch von der Presse bekam der schlichte Mann bald sonder bare Meinungen.

Es war die Zeit, als nach den Bacchanalien der letzten bei­spiellosen Schwindelperiode der unvermeidliche Kazenjammer her­einbrach. Heinrich Sollmans las in den Restaurants die daselbst ausliegenden Zeitungen, und er wußte nicht, wie ihm geschah, wenn er z. B. in der Staatsbürgerzeitung", die damals eine Reihe geharnischter Artikel gegen das Gründerthum losließ, die schärfsten Verurtheilungen des Gründerschwindels las, um gleich darauf in der ,, Nationalzeitung" einen Artikel zu finden, welcher die Gründer und Schwindler energisch in Schuß nahm. Er begriff aber nach und nach, warum viele Blätter scheinbar entrüstet gegen die teuflischen Betrügereien auftraten und doch fort und fort be­tonten, alles Predigen gegen die vermaledeite Sippschaft sei nicht von Nutzen. D, es war dem alten Sollmans schon lange be­fannt, daß der Fuchs, welcher schier bereits die meisten Gänse gestohlen, seinen Genossen ihr unedles Handwerk vorwirft, aber doch sagt: ein Fuchs bleibe nun einmal ein Fuchs, alle Vor­würfe und Verfolgungen würden nichts nützen. Er weiß das nämlich in Bezug auf sich selbst und holt sich um so ungestörter und ungestraft in heimlicher Nacht die reichste und beste Beute.

Der Herbst hatte eben begonnen, als der Baumeister Sollmans, der bisher ein zufriedenes Dasein geführt hatte, mit einem mal merkte, daß auch er in die Krallen solcher Füchse gerathen. Er hatte sich, wie schon gesagt, ein kleines Vermögen erworben, welches er möglichst sicher und nußbringend anlegen wollte. Wie zu jener Zeit alle Welt dadurch Reichthümer zu erwerben hoffte, daß man sich an einem Eisenbahn- oder sonstigen Bauunternehmen bethei­ligte, so glaubte Johannes vor drei Jahren auch, das Ersparte auf diese Weise am besten verwerthen zu können. Er nahm Aftien bei einem großen Berliner   Bauverein, eine der berühm­testen Zeitungen hatte sie ihm empfohlen, eine hauptstädtische Zeitung, deren Redaktion er zu diesem Zwecke persönlich befragt. Es wäre das solideste und einträglichste Unternehmen von der Welt, hatte man ihm gesagt.

Aber siehe! Schon damals, als die Zeit gekommen war,

wo den Aktionären die fettesten Dividenden zufallen sollten, ent­sprach das Ergebniß den Erwartungen nicht, und im Laufe der Monate wurden die gewährten Prozente immer spärlicher. Un­günstige Witterung, Mangel an guten Arbeitskräften, und alles Mögliche schob man vor, um das auffallend schnelle Defektwerden der Häuser und den dadurch begründeten geringen Gewinn zu erklären. Dummes Zeug! Baumeister Sollmans wußte ganz gut, daß die unter seiner Leitung entstandenen Bauten aud Sturm und Regen, Frost und Schnee Troß geboten hatten! Die ersten Zeichner der Aktien, die Vorsitzenden des Vereins hatten Hunderttausende in die Taschen gesteckt und sich mit leicht­fertigen, gewissenlosen Architekten in Verbindung gesetzt, damit diese die betreffenden Gebäude möglichst schnell und möglichst , billig und schlecht" herstellten. Mochten dann die Häuser und das Unternehmen zusammenstürzen, sie hatten Gewinn genug erworben: das war die Wahrheit gewesen!

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Die Ernüchterung trat ein, viele Augen öffneten sich; Mancher, der vorher eine Bel- Etage bewohnte, mußte sich mit dem ent­legensten Winkel begnügen. Viele Wohnungen standen leer, und die ersichtlich schlecht gebauten, ja, gesundheitsschädlichen und lebens­gefährlichen Häuser blieben vollends unbewohnt. Fortwährende Reparaturen erforderten kolossale Summen, und so konnte es fast nicht anders geschehen, als daß Johannes eines Tages die Nach­richt erhielt, der Bauverein, welchem er angehörte, vermöge keine Dividenden mehr zu zahlen, und der fernere Unterhalt der be­treffenden Baulichkeiten erfordere so viel, daß er mit dem noch vorhandenen Kapital nicht zu bestreiten sei. Es dauerte auch nicht lange, bis der Konkurs erklärt wurde, und Johannes hat von diesem Theil seines ersparten Vermögens auch nicht einen Pfennig wieder zu sehen bekommen.

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Der Ahnungslose! Es hatten allgemein geachtete Persön­lichkeiten, Parlamentsmitglieder, Rechtsanwälte, Gerichtsräthe, Rittergutsbesizer, Grafen  , Kommissions- und wer weiß, was für geheime Räthe noch auf dem Prospekt gestanden und als Vor­sitende fungirt; er glaubte somit, sein Geld ganz sicher anzu­legen,- der Ahnungslose!

Johannes Sollmans war aber nicht der Mann, der sich nun, da er fast sein ganzes Vermögen verloren, eine Kugel durch den Kopf schoß oder zum Strang griff. Es ließ sich nun einmal nichts ändern an dem Geschehenen. Er hatte eine neue Erfah­rung gemacht, er war vorsichtig, ja, mißtrauisch geworden, und nach seiner Meinung galt es einzig, durch neue, womöglich noch angestrengtere Arbeit das Verlorene wieder einzubringen.

Und hast du nicht deine Eltern in unmittelbarster Nähe, darfst du sie nicht auch ferner noch erfreuen? dachte der wadere Mann bei sich selbst. Und wird nicht Gertrud, die schöne, her­zige Gertrud, dein holdes Weib? Bist du nicht immer noch glücklich, noch sehr glücklich?

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Mit welch' beredten Worten hatte das liebe Mädchen ihm schon den ersten Gram über seine Enttäuschung von der Stirn zu scheuchen gewußt, und, ach, der Rest von Kummer, der sich vielleicht noch in der heimlichsten Tiefe seiner Seele verbarg, er mußte ja fliehen, wenn ihrer Augen Licht ihm das Herz durch­fluthete, wenn sie sein war, nur ihm gehörte, ihm ganz allein!-

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Zu Weihnachten sollte die Hochzeit sein. ( Fortsegung folgt.)

Otto Ule  .

Die Vorkämpfer für die Freiheit der Menschen sind nicht nur die politischen Redner und Parteiführer, welche in den Par­lamenten und auf den Tribünen der Versammlungen für eine gerechte Gesetzesgestaltung wirken, sondern neben ihnen auch die jenigen Männer, welche die Grundsätze der Wissenschaften in's Volf tragen.

Alle politischen Freiheitsbestrebungen entbehren so lange des festen, sicheren Bodens, als sie nicht auch die geistige Freiheit erzielen, als sie nicht das allgemeine Urtheil von persönlichen Einflüssen unabhängig machen, indem sie es auf die allgemeine Denkthätigkeit und diese auf die allgemeine Verbreitung wissen­schaftlicher Kenntnisse gründen. So lange och Unklarheit über