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Das Volkslied.

Von Hugo Sturm.

Es ist eine frische, freie Sprache, die uns aus den alten Volksliedern entgegentritt, eine Sprache, die uns anheimelt und unser Herz erwärmt. Leider findet man es jetzt in seiner Ur­sprünglichkeit immer weniger, ja es scheint, als ob es gar durch die Gaffenhauer und Zotenlieder, an denen unsere Zeit so reich ist, ganz verdrängt werden sollte. So unlieb dies dem Literaturfreunde ist, so schmerzlich muß es aber auch das Herz jedes Andern be­wegen, denn mit dem Volksliede verbannen wir aus unserm Kreise einen nicht gering zu veranschlagenden Hebel zum frischen, fröhlichen und auch sittlichen Leben. Aus den sogenannten gebildeten Kreisen ist es schon verstoßen. Wem würde es da einfallen, ein sim­peles Volkslied anzustimmen? Da wird viel geschillert" und gegöthet," aber die Quelle, aus der diese Großmeister der Literatur geschöpft und auf die sie hingewiesen, bleibt unbeachtet. Und doch haben wir in diesen Liedern einen Schatz, auf den wir stolz sein tönnen, der da, je länger und genauer wir ihn betrachten, immer n, in neuen und schönen Farben uns erscheint. Versuchen wir es en nur einmal, uns dem Volksliede zu nähern, wir werden uns sicherlich nicht von ihm abgestoßen, sondern nur hingezogen fühlen.

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Die ersten Anfänge desselben reichen bis in die älteste Zeit der deutschen Geschichte zurück. Die alten Heldenlieder, die von den Gestalten des Nibelungenliedes singen, welche die Helden niener Tage preisen und verherrlichen, erbten sich im Volke fort. en Sie wurden bei den Festen von Groß und Klein gesungen und brangen so von Mund zu Mund. Zur Zeit Karls des Großen fwaren sie noch im Volke lebendig, und es ist höchst zu bedauern, daß die Sammlung, die dieser veranstalten ließ, uns verloren gegangen ist. Da wurde das Christenthum von Irland her auch o? in die deutschen Gaue getragen. Die alten heidnischen Kriegs­pt gefänge waren aber den kirchlichen Behörden ein Dorn im Auge en und sie wußten es dahin zu bringen, daß auf einem Landtage zu das Singen dieser Lieder verboten und den Nonnen das fernere Abschreiben von Liebesliedern untersagt wurde. So erstarb das ine Volkslied immer mehr und mehr und an seine Stelle trat zunächst ter die geistliche Poesie, der sich später die hösische Dichtung anreihte. en Nur wenige der Minnesänger verstanden es, zu dem Volksliede ich herabzusteigen; die es aber versuchten, gehören unstreitig zu den gefeiertsten Männer jener Tage. Ihre Produkte drangen in's ten Bolt und wurden überall gesungen. Mit dem 14. Jahrhundert solam die Poesie der Vornehmen mehr und mehr in Verfall. Im Bolle dagegen regte sich ein neues, frisches Leben und Empfinden. 3a, Anschließend an die vorhandenen Minnelieder entquoll aus dem ja Bolte heraus ein Liederstrom, der sich, weil er Empfindungen, bie die im ganzen Volke lebten, zum Ausdruck brachte, auch dem are ganzen Bolle mittheilte. Schlicht und einfach, aber bilderreich sich und bezeichnend sind diese Lieder. Niemand heuchelt edlere Gefühle, ter als er wirklich hat. Deshalb klingt wohl hin und wieder eine ien etwas rauh und wild, aber keine ist ohne Kraft, ohne Empfindung. en Sie reben meist von Liebe und Liebeslust, vom Wandern, ict Scheiden und Meiden, von Treue und Untreue.

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In den Liebesliedern sehen wir tas kräftigste, blühendste mit lebensalter auftreten. Fröhlich und frisch ist der Bursch, der es ar fingt, denn wer ein junges sauberes Dirndel liebt, muß luftig ob sein, sunst kimt a brum," sagt eins jener Lieber selbst. Biele ent­and halten etwas Geheimnißvolles, indem manche immer wiederkehrende ift Wörter Nebengebanken erweden sollen. Weiſt dient die ganz abgerissene Hindeutung auf die bekanntesten Naturereignisse diesem Zwecke, wodurch der Reiz des Volksliedes nicht wenig erhöht and wird. Die Sterne, die Blumen, Regen und Schnee werden so ien in's Volkslied verwoben. Die Nachtigal   drückt unter allen Bögeln ich allein nur reine und unverfälschte Liebessehnsucht aus, während bei Liebesleid nicht selten des Sukuks gedacht wird. Die Lilie

,, Wer hat das Lied gesungen, wer hat das Lied erdacht?"

Altes Lied.

ist das Bild der Unschuld, und so lüstern das Volkslied auch manchmal blickt, stellt es doch Unschuld und Reinheit sehr hoch. Doch auch von Wanderlust, von Scheiden und Meiden singt das Volkslied. singt das Volkslied. Es kann kaum, wie Vilmar sagt, etwas Ergreifenderes geben als diese einfachen Gruß- und Abschieds­lieder mit ihrer innigen Melodie: Insbruck  , ich muß dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen in's fremde Land hinein; oder: Warum bist du denn so traurig? Bin ich aller Freuden voll? Meinst ich sollte dich vergessen? Du gefällst mir gar zu wohl Laub und Gras das mag verwelken, aber treue Liebe nicht: kommst mir zwar aus meinen Augen, aber aus dem Herzen nicht; ober: So viel Stern am Himmel stehen, an dem blauen güldnen Zelt 2c., und so viele andere, von denen oft ein einziges ganze Bände künstlicher Poesie voll erlogener und nachgeahmter Em­pfindungen aufwiegt. Scheiden von Liebe thut weh, Meiden ohne Scheiden noch mehr und der Tod am meisten. Der treue Knabe eilt zum Tode seines Mädchens herbei, sucht ihn durch Wehklagen abzuwenden und ruft:

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,, Ach nein, ach nein, Herzliebste mein, Die Lieb und Treu   muß länger sein.

Untreue gegen den Buhlen wird als die größte Schmach angesehen, während der treuen Liebe Lohn nicht ausbleibt. Auch viele Weinlieder stammen aus dem Volke, die wir mit zu den besten, wenn auch urwüchsigen Gaben der Poesie zu zählen haben.

Wer kennt nicht das Trinklied:

" Der liebste Buhle, den ich han, Der liegt beim Wirth im Keller; Er hat ein hölzins Röcklein an Und heißet Muskateller."

Auch der verschiedenen Stände gedenkt das Volkslied. Na­mentlich sind es Nitter und Reiter, Jäger und Hirten, denen es sich zuwendet. Von dem eigentlichen( erotischen) Volksliede, auch wohl Spinnstubenlied genannt, ist der historische Volksgesang verschieden und zu unterscheiden. Er steht in Bezug auf poetischen Gehalt dem ersteren weit nach. Schildert dieses Gefühle, so bezieht sich das historische Volkslied auf geschichtliche Vorgänge und Zustände, mit denen es unlöslich zusammenhängt. Wie ein Stück der Geschichte entsteht es von selbst im Lauf der Begeben­heiten und ist ein Spiegel des lebendigen Treibens jener Zeiten. Namentlich reich an solchen Produkten ist das 15. und 16. Jahr­hundert. Doch auch in neuerer und neuester Zeit sind einige recht nette historische Volkslieder entstanden und mit Liebe gesungen worden. Einen recht werthvollen Beitrag dazu hat uns Uhse durch Veröffentlichung des Liedes der deutschen Kriegsgefangenen auf der Insel Oléron  " geliefert. Aus der mitgetheilten Ent­stehungsgeschichte dieses wirklich beachtenswerthen Gesanges, wo­nach jede Strophe einen andern, ja einzelne sogar mehrere Ber­fasser haben, erhalten wir einen überraschenden Einblick in die Weise der Entstehung des Volksliedes überhaupt.

Schon von Natur ist sie zur

Auch die Melodie steht mit dem Tert im innigsten Zusammen­hange. Wie das Lied einfach und voll Kraft ist, so offenbart sich auch in der Melodie eine Schlichtheit und Innigkeit, die unwillkürlich das Herz bewegt. Zweistimmigkeit geeignet, gleichsam als sollte dadurch angedeutet werden, daß nicht ein einzelner, sondern Alle an dem Vortrage theilnehmen sollen. So ist das Volkslied vor allen andern ge­eignet, Gesellschaftslieb zu werden, Geselligkeit und Gemeinsinn zu pflegen und zu hegen. Je mehr wir uns dem Volksliede nähern und aus seinem reichen Borne schöpfen, um so mehr kommt das Seume'sche Wort wieder zu seinem Recht:

Wo man singt, da laß dich ruhig nieder; Böse Menschen haben keine Lieder,"