suchte man sie in idealen Regionen, in welchen der menschliche Geist wie in sein wahres Heimatland eintrat, während der Körper mit Ketten belastet dumpfe Schmerzen erlitt. Und in dieser Zeit war es auch, wo die Gedanken und Poesien Goethe's , Schiller's, Beethoven's 2c. Gemeingut zu werden schienen, denn vom ästhe­tifirenden Hofmanne abwärts bis zum reisenden Handwerksburschen, der am Morgen nicht wußte, wo er am Abend sein Haupt hinlegen werde, pfiff und sang man dieselben Loblieder der Kunst. Die Kunst erschien den Menschen wie ein Messias, welcher sie aus der Sphäre des politischen und sozialen Elends errettete. Aber es war ein Irrthum. Körper, Herz und Geist gehören zusammen, und fein Gott fann eins derselben vollständig glücklich machen, wenn er die beiden andern darben läßt.

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,, Jetzt hat sich das Blatt wunderbar gewendet. Der französische Wein aus der Ernte der Revolutionsjahre, den unsere Väter vorsichtig und mit dem farblosen Wasser kindlicher Unterthanen­treue gemischt einst tranken- dieser Wein fing plötzlich an, in den Köpfen der Kinder zu gähren und allerlei Gedanken auszubrüten. Geist des Jahres 48, du braustest über die deutschen Lande, als ob alles Unreine, alle mephitischen Lüfte weggeweht werden sollten, aber die Schicksalsschwestern machten das wieder schlecht, was ein Gott gut zu machen gedachte; die Hohenzollern fanden die Zauber­worte, den Sturm zu beschwören, und diese Worte hießen: Freiheit, Konstitution, Parlament, liberal, Menschenrechte 2c., lauter Worte, die einst von freiheitsdurstigen, edelbegeisterten Männern erzeugt und ausgerufen wurden, um mit ihnen gleich Bomben Bresche zu schießen in die Wälle des Absolutismus .

,, Welcher Zauber muß in diesen Worten liegen, wenn selbst ihr blasser Klang Wunder wirkte, wenn das freiheitsbegierige Volt sich bethören ließ, zu glauben, daß jene Worte, in das Land hinausgerufen von den Trägern der Macht, mehr wären, als Schall und Rauch. Der Sturm legte sich, das souveräne Volk wurde wieder unter­thänig treu und wartete geduldig auf das Versprochene; die lieben Landesväter aber hatten viel Anderes zu thun, als Versprechungen zu erfüllen. Das Einzige, was sie ihren Völkern erlaubten, war das kindliche Vergnügen mit jenen politischen Schlagworten Ver­steck zu spielen. Es war ein Spiel mit großem Einsatz, während der Gewinn fast gleich Null war und ist.

Die Deutschen träumten in Zeitungen und Vereinen, in Ver­sammlungen und bei Festbanketten davon, daß sie jetzt ein poli­tisches Volk seien, und die Zahl derjenigen, welche sich nicht täuschen ließen durch den Schall der Worte, und politisch mißmuthig sich wieder in die Regionen der Kunst flüchteten, wurde von Jahr zu Jahr geringer. So kam es, daß das Interesse für die Künste immer mehr abnahm, während die vage politische Schwärmerei für Freiheit und Konstitution, für soziale Gleichberechtigung sich steigerte. Und als nun der hohenzoller'sche Geist Fleisch wurde und unter der Maske des Herrn von Bismarck energisch die Zügel der Regierung ergriff, da, ja da wurden wir erst recht ein merkwürdig politisches Volt. Wurde die Regierung nicht selbst eine ausgesprochen liberale? Wurden die preußischen Junker nicht freigeistig? Haben wir nicht ein freies Parlament? Sind wir nicht eine grrrande nation, die ihre Bajonette besser als alle andern Nationen anzuwenden weiß? Haben wir es nicht weit gebracht in der Erzeugung aller möglichen sozialen Wohlthaten? Haben wir nicht Schulen, in welchen die Weisheit mit Löffeln eingegeben wird? Besitzen wir nicht Ruhm? Ist Richard Wagner , der Messias der zukünftigen Musik, etwa kein Deutscher? Schreibt Felix Dahn nicht patriotische Stücke? Und fühlen wir uns nicht alle ,,, soweit die deutsche Zunge klingt" äußerst glücklich.

Nein, wir fühlen uns nicht alle, glücklich). Ebenso wie es zur Zeit der römischen Kaiserzeit Unzufriedene gab, die an dem sybaritischen Leben feinen Gefallen fanden, weil ihr Geist nach Höherem verlangte, giebt es auch jetzt Tausende, ich hoffe nicht zu viel zu sagen: es giebt Millionen, welche vor dem Gößenbild des preußischen Liberalismus nicht knieen wollen. Es ist keine lebendige Göttin der Freiheit, es ist eine aufgeputzte Puppe, eine chinesische Pagode, deren eigennützige Priester den süßen Wahn des getäuschten Volkes mit dem Zuckerbrot süßer Worte und liberaler Phrasen zu nähren suchten.

,, Wir Unzufriedenen, wir Besitlosen, wir Arbeiter um das täg­liche Brot, wir irdisch armen Jünger des Gottes Apollo, wir wissen es nur allzu gut, daß alle jene Wohlthaten, die ich auf­gezählt habe, nichts weiter als Lockmittel der Regierung sind für den liberal phraselnden Mittelstand, welcher Gott sei's geklagt! keine höheren Zwecke hat, als sich den Magen be­quem anzufüllen und sich selbst zu bewundern. Arbeiter, Dichter, Gelehrte mögen hungern, was geht das jene erbarmungslose Menge der großen und kleinen Kapitalisten an, die sich in den Dienst der starken Hohenzollern begeben hat und in demselben sich so außerordentlich wohl fühlt.

Ja, das große Werk des Herrn Fürsten von Bismarck scheint für immer und ist für den Augenblick gelungen. Alle unter­geordneten menschlichen Begierden sind aufgereizt worden, alle edlen, humanen unterdrückt worden, und indem man von Berlin aus die ersteren mit allen möglichen sozialen Wohlthaten, mit Ruhmphrasen und liberalen Reden füttert, wach erhält und zum Spekuliren anhält, werden die letzteren unterdrückt, damit um Himmelswillen die Menschen nicht plötzlich einmal entdecken, daß es Ideen gäbe, welche zu verwirklichen ein edleres Ziel sei, als Geld zu verdienen und seinen Nächsten verhungern zu lassen. ,, Die große Menge der Bourgeois wird diese Entdeckung ver­muthlich noch lange nicht machen, trotz aller Kämpfe und An­strengungen der kleinen, aber wackeren sozialdemokratischen Partei, welche sich nicht von dem berlinischen Zerrbild wahrer Freiheit locken läßt, trotz aller Seufzer und Klagen aller derjenigen, die den Untergang der hehren Himmelstochter Poesie bejammern.

,, Bejammern ist das richtige Wort! Es steht in der That jämmerlich um deutsche Kunst und Poesie, oder besser: um das Verständniß derselben. Indem ich zu dem eigentlichen Sujet dieser Plaudereien zurückkehre, weise ich darauf hin, wie laut und anhaltend auch in jenen Kunstkreisen, die beschattet werden von der Gnade der reichsfreundlichen Parteien, jetzt Klage ge= führt wird über den Verfall des deutschen Theaters. Dieser Ver­fall ist eben nicht abzuleugnen, und Jeder, der Herz und Sinn für deutsche Kunst hat, sucht nach Abhülfe! Vorschläge zu Dutzenden sind gemacht worden, geschimpft, gescholten auf Theater­direktoren, Dichter, Komponisten, Kritiker, Schauspieler und Dramaturgen wird genug, nur bisweilen wird auch mißbilligend der Indifferentismus des Publikums erwähnt. Und doch, glaube ich, ist grade dieser letztere die Hauptursache des Verfalls. Seine Ursachen, und vor allem die traurigen Resulate, welche er erzielt hat, habe ich mir vorgesetzt, in diesen Zeilen so kurz wie möglich zu betrachten.

,, Mehrjährige Erfahrungen und näherer Umgang mit den Theaterangehörigen haben mich überzeugt, daß die Hauptschuld des Verfalls nicht am Dichter liegt. Freilich hat Deutschland eine Menge Theaterdirektoren und Schauspielvirtuosen, denen es nicht um die Kunst, sondern um das zu verdienende Geld zu thun ist; auch die Mehrzahl der Schauspieler betreibt den Beruf mehr als Handwerk, als aus künstlerischem Interesse. Eine Fluth von Pseudodichtern existirt, die ihre Afterdichtungen an den Mann zu bringen verstehen, eine Unmasse von Kritikern gibt es, die von ihrem erhabenen Vorbilde nichts wissen wollen, die zum Theil ganz unfähig sind, Urtheile abzugeben, zum Theil diesen Beruf zur Nebensache machen..... aber forschen wir nun nach der Ursache dieser unglücklichen Erscheinungen, so bleibt dieselbe doch immer der Indifferentismus des Publikums, welcher diese ephe­meren Geister ruhig walten läßt.

" Schiller war bekanntlich der Ansicht, daß das Theater ein ästhetisches Nationalerziehungsinstitut sein solle. Diese Ansicht wurde schon früh von allen hochsinnigen Kunstverständigen adoptirt und bis auf den heutigen Tag festgehalten. Was Schiller sich unter einer solchen Erziehungsanstalt dachte, mag dahingestellt bleiben, seine Gedanken waren höher als diejenigen seiner blöden Anhänger und deshalb denselben auch unverständlich, festzustehen aber scheint mir, daß jenes Prinzip der Erziehung des Volkes zur Kunst merkwürdig übereinstimmt mit dem allgemein politischen Grundsatz, welcher auch jetzt noch festgehalten wird, daß das Volk eine unmündige Menschenmenge sei, welche von

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