Klatscherei der Nachbarn und Gevattern: ein plötzlich eingetretener Herz- und Gehirnschlag hatte das junge Leben beendet. Die Stirn des Todten umwand ein Lorbeerkranz,— der einzige Lorbeer, der dem einst so kühn Träumenden zugefallen. Das schöne Mädchen mit den treuherzigen Augen hatte ihn ge- spendet. Der mit Blumen überhäufte Sarg ward zur Friedhofs- thür hineingetragen,— und Sigismund Hagen war für die Welt nicht mehr vorhanden. Laßt mich nicht bei dieser Erinnerung verweilen, denn sie übermannt meine Seele: die Edlen mögen siebern und sterben, die Lumpen mögen prassen und leben!— O, wie elend ist doch die Welt!— Ich glaubte, der Schmerz um den theuren Geschiedenen müsse der Mutter das Herz vollends brechen,— es geschah nicht.— Ihr Leid war unaussprechlich; immer und immer wieder hatte sie das bleiche Antlitz mit ihren Küssen bedeckt, und sie wäre am liebsten selbst mit in das Grab gesunken, als man den Leichnam des Sohnes hinuntergleiten ließ. Doch, es ist seltsam, daß manche Leute grade bei so schweren Schicksalsschlägen den Glauben an ein einstiges Wiedersehen festzuhalten vermögen; die Mutter Sigismund's gehörte zu diesen Leuten. Den geliebten Sohn einst wieder zu schauen, war ihr einziger Trost, an den sie sich mit ganzer Seele klammerte. Und wenn sie sich damit trösten konnte: nun— eS fei ihr gegönnt. Der Vater dachte anders, er hielt den Glauben an'S Jenseits für Thorheit; aber so verschieden die Ansichten der beiden Gatten in dieser Beziehung, der Schmerz um den gestorbenen Sohn war gleich tief bei ihnen. Es war unsäglich traurig anzusehen, wenn Sigismund's Bater, dessen Haar in wenigen Tagen ergraut, dem Friedhof zu- schlich, um am Grabe des Sohnes, mit dem all' seine Hoffnung geschwunden, zu knieen und heiße Thränen in den Bart rinnen zu lassen,— noch trauriger, wenn die Mutter sich leichenblaß über den Hügel warf und ein Blumentöpfchen nach dem andem in die Erde stellte; ein schönes Bild aber war es, wenn man sah, wie beim Frühlingshauch eine weiße, feine Mädchenhand einen aus Veilchen und Mprthe gewundenen Kranz auf das Grab des Theueren legte, auf das Grab dessen, zu dem dieses Mädchen, als zu dem Edelsten, den sie je gesehen, eine tiefe Neigung ge- faßt. Ihr kennt das Mädchen. — Hätte der arme Sigismund ihre Liebe gekannt!— „Siehst du, Jeremias, da haben wir's!— Was nützt nun das Geld, welches Hagen an seinen Sohn gewendet?" „Ja, Christlieb, mit dem einen ist alles begraben worden, und die anderen fünf Kinder mögen sehen, woher sie EtwaS bekommen!" „Ganz recht hast dn, Jeremias, ganz recht!— Und weißt du auch, daß Hagen seinen letzten Prozeß verloren hat, daß wieder neunhundert Mark in den Wind sind?" „Ist doch nicht möglich, Christlieb, nicht möglich!— Das Recht lag doch klar da!" „Ja, das Recht!— Aber der Mann, der ihn um diese Summe betrogen, hat einfach nichts besessen, und wo nichts ist, hat der Teufel bekanntlich sein Recht verloren!" „Oder jener Mann hat nichts besitzen wollen, Christlieb!— O, die Advokaten, die Advokaten!" Und Jeremias hatte nicht unrecht. Denn die großen Spitz- buben wissen ihre Sache klüger zu führen, als es der gesunde Menschenverstand des gewöhnlichen ehrlichen Mannes vermag. Was fragt noch Jemand darnach, welch' ein Elend, welcher Kummer nun auf der Familie des Maurers lastete?— Er hat ganz einfach seinen Prozeß„von Rechtswegen" verloren, und damit Punktum. Der Bescheid war in glatter Form abgefaßt,— in jener Form, welche ein gekränktes Herz nur noch tiefer verwundet. Genug, die zwei alten Leute waren nun des letzten Restes ihres kleinen Vermögens beraubt und in Schulden verstrickt. Die Mutter ist vier Wochen nach dem Tode des Sohnes diesem in das Grab gefolgt.—
Zehntes Kapitel. Herr Margentheim war natürlich nicht wenig erstaunt, als seine Tochter ihre Enthüllungen begann. Sie hatte ihr Herz lange genug gefangen gehalten, die arme Gertrud; jetzt ließ sie rückhaltslos der Rede Strom fließen, um dem Vater alles, alles zu entdecken. Der alte Margentheim hörte aber sehr gleichgiltig an, was Gertrud ihm von dem Be- suche des alten Grafen von FelderSberg bei seinem Sohne er- zählte, was sie ihm von dem Verhältniß des Grafen zu Ludmilla enthüllte,— dagegen konnte er nicht Worte genug finden, um sein Erstaunen über die Flucht Gertrud's auszudrücken. Und nun kamen ihm wieder gewohnte Redensarten früherer Tage, und er sagte mit emstem Pathos: „Aber Gertrud! Der gute Ruf unseres Hauses,— dein eigener Ruf,— der des Grafen!" Seiner Rede zufolge hatte Gertrud gar keine Veranlassung, von dem Grafen zu scheiden: sie mußte von vornherein wissen, was in einem„großen Hause" alles geschieht, was dort alles für erlaubt gilt;— du lieber Gott ! wie mancher Graf hat seine Maitresie, und die Gräfin bleibt doch die erlauchte Frau Gräfin . „Gertrud, du hast vergessen, was zum guten Ton gehört!"— Der Himmel weiß, was Herr Margentheim unter„gutem Tone" verstand; aber er nannte es„guten Ton". Und Gertrud wollte diesen„guten Ton" durchaus nicht lernen. Selbst wenn Herr Margentheim, seine Moralpredigten erfolglos sehend, zuweilen heftig ward, hielt sie an ihrem Entschlüsse fest. Im Grunde entschuldigte auch Herr Margentheim mit diesem „guten Tone" nicht soviel, als es der Fall zu sein schien. Denn, obgleich bei ihm von Ehrgefühl und Charakterselbstständigkeit nicht viel mehr die Rede war, regte sich doch in der Tiefe seiner Seele ein gewisser Unwille, als Gertrud den Vorwurf des alten Grafen gegen seinen Sohn, daß dieser eine„Bürgerliche, die Tochter eines heruntergekommenen Banquiers", geheirathet, erwähnte:— war nicht die Gemahlin des Grafen trotzdem die einzige Tochter des Banquiers Reinhold Margentheim, stammte sie nicht aus einem Hause, dessen früherer Glanz und Schimmer dem eines gräflichen wahrlich nichts nachgab?— Und dann besaß der„feine Mann" doch noch Herz genug, um wenigstens.in diesem Falle einigen Antheil an dem Geschick seiner Tochter zu nehmen. Der geheime Unwille, welcher so in der Seele Margentheim's platzgriff, ließ auch daö Verdammungsurtheil über Gertrud nicht allzu hart und schroff werden. Aber er mußte doch seine Tochter zur Rückkehr zu bewegen suchen; denn das Geld des Grafen ermöglichte ja dem Banquier Margentheim, wieder kleine Geschäfte an der„Vorbörse" zu machen, die bis jetzt wenigstens insoweit geglückt waren, als sie zur Fortsetzung seines immer noch ver- schwenderischen Lebens etwaS mithalfen. Ein kalter Schauer durchrieselte alle Glieder der armen Gertrud, wenn sie daran dachte, wieder in das Haus des Grafen zurückkehren zu müssen,— ja selbst, wenn sie überlegte, gezwungen zu sein, wieder innerhalb jenes glänz- und prunkvollen Treibens zu weilen, aus dem sie, wie von Dämonen gepeitscht, eben ge- flohen;— das unverdorbene Wesen Gertrud's siegte wieder nach einer langen Nacht des Rausches und des Taumels. Nur ein Gedanke erfüllte ihr ganzes Sein: sie mußte wissen, was mit Johannes geschehen,— ob er ihr zürne,— ob er sie verachte,— um Verzeihung mußte sie ihn bitten, tausendmal, und ihm alles sagen, was bisher nimmer aus der Tiefe ihres Herzens entflohen. Dann mochte er sie von sich stoßen oder versöhnt wieder zu sich emporziehen: gleichviel, er wußte dann, daß sie nicht ganz schuldig war, und daß sie ihn nie vergessen konnte. Wie aber sollte sie eine Annäherung herbeiführen?— Darüber brütete sie ohne Aufhören. Sollte sie ihm schreiben? — Aber, war es möglich, in todte Worte zu kleiden, was sie empfand, was ihre ganze Seele beschäftigte?— Würden die Worte nicht viel zu wenig beredt sein?— Konnten sie ihn nicht kalt lassen, die todten Buchstaben,— ihn, den so schwer Be- leidigten?——