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Ne14 Jahrg.lll
1878.
In Heften à 30 Pfennig.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk. Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
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Ueber dem von waldigen Höhen umschlossenen und aus der Enge des Thalkessels mit einigen verstreuten Häuschen an ihnen emporkletternden kleinen schlesischen Fabrikstädtchen M. brütete die eigenthümliche Schwüle eines Aprilabends. Aus wolfenverhangenem Himmel fiel ab und zu ein Tropfen und über den Bergen zudte es zuweilen hastig auf von fernem Wetterleuchten. An solchen Abenden fühlt sich der Eine vom warmen Athem des kommenden Frühlings angehaucht und hofft, am nächsten Morgen das erste Veilchen zu finden der Andere wieder fühlt sich bedrückt und fast beängstigt von der feuchtwarmen Treibhausluft und es ist ihm, als entspreche dem Drängen und Treiben in der Natur, dem Steigen der Säfte und dem Schwellen der Knospen ein unklares, stürmisches Gähren in seiner Seele. Wie die Natur nicht auf jeden wirkt, so wirkt sie auch nicht auf alle gleich- schon die kleine Gesellschaft, in die ich meine Leser führen will, wird dies bestätigen.
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Wir sind in der Dämmerung durch die Gassen geschlendert und haben wohl ab und zu den jungen Mädchen ausweichen müssen, die Arm in Arm und gassenbreit( das wollte freilich in M. nicht allzuviel sagen) singend daherkamen; von der eintönigen Façade und den nüchtern- langweiligen Fensterreihen der mechanischen Weberei des Kommerzienraths Reischach wenden sich unsere Augen unwillkürlich dem gegenübergelegenen Wohnhause zu, der steinernen Berkörperung einer Baumeistergrille, die nur ein ungebildeter Glückspilz mit den Anforderungen des guten Geschmacks in Einklang bringen und deren Kosten nur die Kasse eines so reichen Mannes, wie es der Herr Kommerzienrath war, gleichgiltig finden konnte. In das Haus selber, das uns durch seine wunderliche, fast schrullenhafte, und jedenfalls verzwickte Bauart ein ironisches Lächeln abnöthigt, dürfen wir freilich nicht treten; man schreitet über diese teppichbelegte eiserne Wendeltreppe, die in der Vorhalle ein Gitter absperrt, nur empor, nachdem man durch den Portier gemeldet ist. Aber kraft meines Vorrechts als Dichter sehe ich durch dicke Mauern und schwere, seidne Portièren und belausche auch ungesehen die drei Damen, die in dem Zimmer des Fräulein Emmy ihr Dämmer- und Plauderstündchen halten. Fräulein Emmy, des Kommerzienraths verzogener und verwöhnter Liebling, war eigentlich schlichtweg Emma getauft, da Herr Reischach zur Zeit ihrer Geburt noch nicht reich, also auch noch nicht kommerzienrath und Ritter des rothen Adlerordens war aber später, in der Pension, hatte sie den aparten Namen ihrer Mitschülerinnen gegenüber sich des ihren fast wie eines förper
II. 5. Januar 1878,
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lichen Gebrechens geschämt und ihren Eltern kindisch erbitterte Vorwürfe gemacht und manche Thräne darüber vergossen, daß die„ himmlische" Marlitt zu jener Zeit noch nicht Mode gewesen ihre Mama hätte dann doch gewiß so viel Taft gehabt, sie Felicitas oder Else oder Gisela zu nennen. Endlich hatte sie auf den Rath einer klugen Freundin durch Aenderung des a in y dem abscheulichen, plebejischen Namen etwas Schliff gegeben und ihn leidlich zugestußt und Papa- nun, er konnte zwar beim besten Willen nicht einsehen, wodurch die eine Form vor der andern etwas voraus habe, aber das waren Dinge, auf die er sich viel weniger verstand als auf ägyptische und indische Baumwolle und auf die schnurrenden Spindeln seiner Fabrik, und sein Töchterchen war, als er sich in seiner Ahnungslosigkeit und Unbefangenheit erlaubte, die Aenderung eigentlich überflüssig zu finden, so verstimmt geworden und hatte so spitze Accente in ihre Stimme gelegt und so nachhaltig geschmollt, daß er sich beeilte und beeiferte, die Modifikation des allerdings sehr altväterischen" Namens sehr hübsch und sehr nothwendig zu finden und die kleine Erzürnte schmeichelnd zu fragen, ob sie nicht eine neue„ Robe" brauche. Die Mutter war zu jener Zeit leider schon todt; die brave Frau hatte sich nie so recht in den vornehmen Ton gefunden und ihrer stärkeren Hälfte, als ihm die Gnade des Landesherrn" den tönenden Titel verlieh, in ihrer naiven Treuherzigkeit vorgestellt, daß sie dazu" doch eigentlich nicht gebildet" genug seien; auch als Frau Kommerzienräthin fühlte sie sich, so oft sie bemerkte, daß eine Magd nicht schul- und kunstgerecht scheuerte, von der fast unwiderstehlichen Lust angewandelt, der Ungeschickten oder Bequemen Lappen und Bürste abzunehmen, und selber hinzuknien, um ihr zu zeigen, wie es eigentlich zu machen sei, und nur der Gedanke an ihre schwere, raschelnde Seidenrobe und an des Herrn Gemahls Außersichgerathen über solche Rückfälle" hielt. sie im letzten Moment noch zurück; sie hätte schwerlich geduldet, daß das Töchterlein ihren ehrlichen Christennamen abänderte, wie sie denn aller„ Ueberhebung" fast ängstlich feind war und innerlich gegen das äußere Feinthun" murrte und sich manches liebe Mal heimlich in die alten bescheidenen, gutbürgerlichen Verhältnisse zurücksehnte, die ihr noch erlaubt hatten, eine wirkliche Hausfrau zu sein und in denen sie nie von Langeweile geplagt gewesen war, ja wie sie bei allem ehrlichen Respekt vor ihres Mannes Scharfblick und seinem praktischen Sinn zuweilen nicht umhin konnte, es innerlich sehr komisch zu finden, wenn er sich abquälte, ein reines Hochdeutsch zu sprechen und Phrasen zu drechseln und