Ufers weiter. Da sizt in einer soeben vom zurücktretenden Meeresspiegel verlassenen Nische eines mit Ledertangen bewachsenen Felsens eine mächtige Krabbe, auf ihren zwei enorm entwickelten Scheeren ruhend, mit großen Augen das offene Meer begaffend. Die Ueberraschung war beiderseits sehr groß; denn im Leben eines nach Algen suchenden Botanikers fommt es selten vor, daß man einem spinnenähnlichen Thier von Faustgröße begegnet; andererseits mag für eine Meerkrabbe, die nicht kurzsichtig ist, der Anblick eines langhaarigen und mit Brillengläsern bewaffneten Botanikers auch zu den Seltenheiten gehören. Für unsere Krabbe war dies noch etwas mehr; denn wir nimmersatte Menschen hatten die redliche Absicht, der bescheerten Bestie an den Kragen zu gehen. Wohl gelang es dem Fischer, den Felsen zu gewinnen; allein er hatte nicht den Muth, mit tapferer Hand auf die Scheeren loszugehen und so gelang es der Krabbe, mit der Behändigkeit einer aus ihrem Versteck schlüpfenden Maus das Meer zu ge­winnen. Unweit von jener Stelle ergriff eine andere Krabbe die Flucht in entgegengesetzter Richtung, nämlich auf dem trockenen Felsen schief aufwärts, bis zur dunklen Spalte im geborstenen Stein.

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Meerschnecken, die auch genießbar sind, haften in Unzahl an den Uferfelsen und an der Hafen- und Terrassenmauer von Miramar. Kleine schwarze Muscheln, Seeläuse", bedecken oft ganz die von den Fluthwellen bespülten Steine; sie scheinen dort festgekittet zu sein und gewähren einen höchst eigenthümlichen An­blick. In ihrem Bereich finden wir auch zahllose Ledertange, gabelig verzweigte, strauchartige Gewächse von schmutzig- brauner bis schwarzer Farbe( Fucus Sherardii). Sie sind auf den Felsen festgewachsen und werden von der Brandung, wie beim leichtesten Wellenschlag unaufhörlich hin und hergeworfen. Nur zur Zeit der tiefsten Ebbe und bei ruhigem Meeresspiegel gelangen sie für einige Stunden des Tages zur Ruhe, da sie durch das Zurück­treten des Wassers trocken gelegt werden. In der Nähe von Miramar sind beinahe alle im Bereich von Ebbe und Fluth liegenden Steine und Felsen des Ufers so dicht von Ledertangen bewachsen, daß man mit leichter Mühe ganze Wagenladungen sammeln könnte.

Wir treiben langsam gegen das Meerschloß. Hoch oben, an der Westseite des Thurmes steht in einer Nische die Kolossalstatue der Adria, eine majestätische weibliche Gestalt, in händeaus­breitender, grüßender Stellung, das Antlig gegen Sonnenunter­gang gewendet. Ohne Zweifel ist der Meister dieses Kunstwerkes ein Romane, in allen Fällen kein Schweizer ; denn die grüßenden Hände der Adria am Schloßthurm zu Miramar sind wirkliche Hände und keine Bärentagen, wie die vordern Extremitäten der segnenden Industria" auf dem berühmtesten Bahnhof der Schweiz . Ja, es ist eine himmelweite Kluft zwischen dem Kunstsinn der Völker diesseits und jenseits der Alpen. Der Italiener ist der strenge Kopist der Natur, d. h. seine Modelle sind lebende Menschen, schöne, herrliche, göttergleiche Gestalten, während der Germane mehr auf die flassischen Studien und seine bisweilen eckige" Phantasie angewiesen ist. Aber drüben, jenseits der Alpen, wandeln die klassischen Vorbilder der Alten als lebende Menschen heute noch auf den Straßen. Der Künstler braucht nicht lange nach Göttergestalten zu suchen, er sieht sie jeden Abend lust wandelnd auf dem Korso seiner Vaterstadt: Aphroditen, Apollini, Minerva's, Amor und Psyche in hundertfacher Auflage. Die Grazie und die Hoheit in der äußeren Erscheinung ist ein un­verwüstliches Vermächtniß, das den südländischen Romanen ver­blieben ist bis auf den heutigen Tag.

Wie ganz anders, arm und sich selbst überlassen steht der Künstler am Nordabhang der Alpen und weiter hinaus gegen den Norden, wo Klima und Mode die wenigen tadellosen Menschen­gestalten dem Studium des Künstlers entziehen.

Einen überwältigenden Eindruck gewährt die Ansicht des Schlosses von der Meerseite. Hier kommen namentlich die als Fundament dienenden Felsmassen und Grundmauern zur Geltung. Hoch oben an sonnigen Steinen haben sich mächtige Agaven an­gesiedelt, und Centranthus ruber, eine in Deutschland sehr be­liebte exotische Zierpflanze, grüßt hier blühend als Unkraut von den Mauerrizen herunter. Auf jeder vakanten Stelle macht sich die Ueppigkeit des Südens breit."

Nach Meertangen und Thieren suchend, hatten wir alsbald zwei Stunden verloren. Mit reicher Ausbeute kehrten wir nach Grignano zurück und suchten hernach das kleine Wirthshaus, das dicht an der Nordgrenze des Schloßparkes zwischen Fruchtbäumen und Reblauben den Wanderer zur Erquickung einladet. Dort

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weilten wir bis zur einbrechenden Nacht; dann aber traten wir nochmals einen Rundgang an, um den Park auch im Dämmer­licht und nächtlichen Dunkel auszukosten.

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Zunächst an's Meer! An erponirter Stelle, umgeben von Lorbeerbäumen und Oliven, lagerten wir uns auf der Terrassen­mauer. Eine unbeschreibliche Feier lag über der ganzen Herrlich­feit. Das Schloß wie ein bleiches Gespenst vom Abendhimmel magisch beleuchtet, das nächtliche Gewölbe über uns zum Theil bewölkt, das Meer zu unsern Füßen nur leise flüsternd, Mond und Abendstern im Meeresspiegel als zwei leuchtende Streifen sich reflektirend; alles sonst dunkel und schweigsam die Cypressen als schwarze Säulen hinter uns sich erhebend, Delbäume, Lorbeer, Pinien und Akazien der ganze Baumwald nur eine Gruppe finsterer Gestalten und weit und breit außer dem Geflüster der kleinen Fluthwellen nichts hörbar, als das schrille, langgezogene Lied der Cicaden. Wir haben lange dort verweilt und wenig gesprochen; denn wenn die Natur in geweihten Augenblicken wie eine fremde, überirdische Erscheinung zu uns redet, da schweigt der menschliche Mund, während unser Inneres in Seligkeit schwelgt.

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Allein die Mondsichel entfernt sich mehr und mehr vom Schloß­thurm; wir suchen den Weg zur klassischen Terrasse. Auch dort haben wir geschwiegen; denn Götter haben zu uns gesprochen. Die Venusstatue hob sich schwarz aus dem grünlich verglimmenden Dämmerlicht des Abendhimmels heraus und der Apollino nebenan lauschte dem Wettgesang der Mannacicaden in den schwarzen Eschenkronen. Ja, vergangene Zeiten!

Da ihr noch die schöne Welt regieret, An der Freude leichtem Gängelband Selige Geschlechter noch geführet, Schöne Wesen aus dem Fabelland! Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte, Wie ganz anders, anders war es da! Da man deine Tempel noch bekränzte, Venus Amathusia!

Die Götter sind aus dem Himmel geworfen und gekreuzigte, enthauptete, geschundene und zerfleischte Heilige sind auf die Bostamente gesezt worden. Die Dichtkunst verkracht und die Bildnerei zum Bankerot gebracht!-

Schöne Welt, wo bist du? Kebre wieder, Holdes Blüthenalter der Natur! Ach, nur in dem Feenland der Lieder, Lebt noch deine fabelhafte Spur. Ausgestorben trauert das Gefilde,

Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick, Ach! von jenem lebenswarmen Bilde Blieb der Schatten nur zurück.

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Also wiederhallte des Dichters Klage*) in meinem gepreßten Innern. Da mit einem Male war mir's, als erhebe die bronzene Mediceerin ihren Arm hinweg von keuscher Stelle zum nächtlichen Himmel über uns, und sie begann zu reden, zu drohen und zu überzeugen.

Und die bronzene Venus von Medici dort am andern Ende der Terrasse im Park zu Miramar hat gesprochen:" Wohl haben uns die Christen, die Kreuzfahrer und Märtyrer aus dem Himmel geworfen; aber als die weiseste und stärkste unseres Geschlechtes, Pallas Athene , erst mit Füßen getreten und verachtet wieder von ihrer Betäubung erwachte, da hat sie es nicht verschmäht, neuer­dings unter die Menschen zu gehen, um sie von Wahnwiz und Tollheit zu heilen. Erst fand sie nur bei wenigen, bei den Stillen im Lande, Gehör- und mancher, bei dem sie aus und ein ging, ist auf den Scheiterhaufen gewandert, den die Christen an­gezündet haben; aber nach und nach sind aus diesen wenigen im Verlauf der christlichen Jahrhunderte viele geworden und diese vielen werden noch zu mehreren werden und sie werden, wenn alle vereint, stark genug sein, dereinst den verwüsteten Himmel von den Gekreuzigten, den Geschundenen und Erschlagenen zu säubern. Und man wird uns, die Götter der Vorzeit, neuerdings in Lied und Sang, in Bild und Wort verherrlichen und unsere Gestalten werden wieder lebendiges Leben und warme Wärme und geistigen Geist und werden wieder Sprache und Zunge haben, und wir werden lebendig durchleuchtet sein von dem Lichtschimmer der Weisheit, welcher allerorts von den Jüngern der Pallas Athene hinausgetragen und ewig die Dunkelheit der Unvernunft und des Ungeistes fernhalten wird. Und es wird wieder wohnlich

*) Schiller , die Götter Griechenlands.