Die Aane Boll

No19. Jahrg.ill.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

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Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Ein verlorener Posten.

Roman von Rudolf Lavant  . ( Fortsetzung.)

Und Martha? Sie war, nachdem Wolfgang sich verabschiedet| hatte, vielleicht noch schweigsamer als gewöhnlich geworden und hatte, als Frau von Larisch und Emmy   ihr günstiges Urtheil über den jungen Mann abgaben, kein Wort dazu gesagt. Sie sehnte sich nach Alleinsein und athmete tief auf, als sie endlich in ihrem Zimmer allein war und alle Fesseln konventioneller Rücksichten von sich werfen konnte. Sie zog einen Stuhl an's Fenster und blickte, das Kinn mit der Hand stüßend, hinaus in die Nacht und empor zu den Sternen, deren unruhiges Flimmern und Glizern wieder aufhob, was der Ausblick zum Firmament Erhebendes, Beschwichtigendes und Tröstendes hatte. Sie hatte von jeher das eigenthümliche Talent entwickelt, inmitten des banalsten Zeitungsgeschwätzes die Stellen aufzufinden, die einen schönen Gedanken enthielten und über die tausende hinweglasen, und so war einst beim Ueberfliegen einer der gewöhnlichsten Mode­journal Novellen ihr Blick an einer Strophe haften geblieben, die ihr jetzt wieder einfiel und die sie ganz leise und traurig sich selber vorsprach, wie eine Prophezeiung, wie ein Urtheil beinahe:

,, Daß holde Jugend nur zur Liebe tauge,

Ich wußt' es längst und daß mein Lenz entschwand; Doch sehnt' ich mich nach einem treuen Auge, Doch sehnt' ich mich nach einer treuen Hand; Nach einem Auge, das in hellerm Scheine Aufleuchte, wenn mein Tiefstes ich enthüllt Und das in jenen bängsten Stunden weine, Da meines sich nicht mehr mit Thränen füllt; Nach einer Hand, die hier und dort am Wege Mir einen Zweig noch pflücke, herbstesfarb, Die mir zur Rast zurecht die Kissen lege

Und mir die Lider schließe, wenn ich starb."

Ihr Empfinden war so rein und ungemischt und so wunsch und hoffnungslos, daß sie keinen Grund hatte, es sich nicht ein zugestehen. Freilich, was ihr den jungen Mann, der fortan ihr Schicksal war, auf der einen Seite noch näher gebracht hatte, hatte ihn auf der andern, wie sie meinte, nur noch weiter von ihr entfernt. Was sollte sie einem Dichter sein? Sie hätte, als Wolfgang sich zu seinem heimlichen Poetenthum bekannte, mit dem Kopfe nicken mögen, wie man wohl thut, wenn man die Bestä tigung für eine längst gehegte Vermuthung erhält sie hatte in ihm zuerst einen Menschen gefunden, von dem man unwillkürlich

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1878.

wähnt, er müsse alles können und wissen, sodaß man förmlich erstaunt ist, wenn man eine Lücke entdeckt und garnicht so recht an dieselbe glauben mag. Und wie hatte sie von Jugend auf die Liebe zur Poesie in sich gehegt und genährt! Sie hatte für die süßliche Manier der Elise Polko   geschwärmt, sie hatte Rückerts Liebesfrühling" für die zarteste und duftigste Blüte germanischer Liebesinnigkeit gehalten und Waldmeisters Brautfahrt" von Otto Roquette   hatte sie begeistert; sie hatte später jene Manier raffinirt und widerlich gefunden, Rückerts tändelnde Versklingelei hatte sie gelangweilt und das Roquette'sche Büchlein hatte sie durch seine Banalitäten abgestoßen sie hatte sich Heine, Meißner, Lenau zugewendet und alle die zierlich und theilweise prächtig gebundenen Bändchen, bei deren Auswahl man viel mehr auf die Arbeit des Buchbinders als auf die Leistung des Dichters gesehen hatte, in das unterste Fach ihres Bücherschranks ver­bannt. Niemand hatte sich bemüht, diese Wandlung ihres Ge schmacks herbeizuführen, niemand hatte dieselbe auch nur befördert; sie war nicht erst durch den Tod der Eltern darauf angewiesen worden, ihren eigenen Weg zu gehen, denn von diesen Bedürf­nissen und Genüssen ihres einzigen Kindes hatten die Guten bei ihrem einfach praktischen und nüchtern- verstandesmäßigen Sinn kaum eine Ahnung gehabt und sie hätten ihr auch nicht zu rathen gewußt, da ihnen für diese Welt des Gefühls und der Phantasie alles Verständniß abging. Martha war immer sehr einsam gewesen; sie hatte nie zu glänzen gesucht, um auf diese Weise ein Interesse für sich zu wecken, und wenn Menschen, die ihr hätten in ihren geistigen Nöthen helfen können, ihren Weg ge­freuzt hatten, so waren sie achtlos an der Stillen, unscheinbaren vorübergegangen, die nicht jeder Annäherung auf halbem Wege entgegenkam, sondern erst prüfen, ergründen, sich vergewissern zu wollen schien und dadurch leicht den Eindruck ablehnender Kühle machte. Selbst zu den gewöhnlichen intimen Mädchenfreund­schaften hatte es dieser Grundzug ihres Charakters nicht recht fommen lassen wollen; man hatte die allezeit Milde und Hülfe­bereite überall gern, ja lieb, aber nur Eine hatte ein Recht ge­habt, sie ihre Vertraute zu nennen. Und auch das war ein einseitiges Verhältniß gewesen; Martha hatte die Bekenntnisse der älteren Freundin, die viel geliebt, viel geirrt und viel gelitten hatte und die bei ihrem heftigen, reizbaren Wesen zu pessimistischen Anschauungen kommen mußte, welche sie mit Ironie und Sarkasmus

III. 9. Februar 1878.