Wir wissen und w. werden wissen!
Ein Beitrag zu den wichtigsten Fragen des menschlichen Denkens.
( Schluß.)
Fassen wir das Geistesleben in seiner allgemeinsten Bedeutung als den immateriellen Ausdruck der materiellen Erscheinung, als die Vermittlung von Ursache und Wirkung, so finden wir es überall in der Natur.
Geistige Kraft ist das Vermögen der Stofftheilchen, auf einander einzuwirken. Der geistige Vorgang ist die Vollziehung dieser Einwirkung, welche in Bewegung, somit in Lageveränderung der Stofftheilchen und der ihnen anhaftenden Kräfte besteht und dadurch unmittelbar zu einem neuen geistigen Vorgang führt. So schlingt sich das nämliche geistige Band durch alle materiellen Erscheinungen*).
Als Endglied in der Kette dieser einfachen und höchst natürlichen Schlußfolgerungen erscheint die Nägeli'sche Beantwortung der Frage nach dem Wesen des Menschengeistes.
Der menschliche Geist ist nichts anderes, als die höchste auf unserer Erde erreichte Entwicklung der geistigen Vorgänge, welche die Natur überall beleben und bewegen.
Er ist aber nicht das Absonderungsprodukt der Gehirnsubstanz ( wie Carl Vogt annahm); als solches wäre er ohne weiteren Einfluß auf das Gehirn, wie die abgesonderte Galle ohne weitere Bedeutung für die Leber ist. Empfindung und Bewußtsein haben vielmehr ihren festen Siz im Gehirn, mit dem sie unauflöslich verbunden sind, und in welchem durch ihre Vermittlung neue Vorstellungen gebildet und in Thaten umgesetzt werden. Wie der Stein nicht zur Erde flöge, wenn er die Anwesenheit der Erde nicht empfände, so würde auch der getretene Wurm sich nicht frümmen, wenn ihm die Empfindung mangelte, und das Gehirn würde nicht vernünftig handeln, wenn es ohne Bewußtsein wäre. So ist nach Nägeli die eine der von Du Bois- Reymond prätendirten unübersteiglichen" Schranken des Naturerkennens, die Frage nach der Erklärung des Bewußtseins, gefallen oder besser gesagt: das eine der vorgeblich unlösbaren Räthsel als lösbar hingestellt und der naturwissenschaftlichen Forschung wiedergewonnen.
In der That befriedigt die Nägeli'sche Anschauung auch vollständig unser Bedürfniß nach Erkennung von Ursache und Wirkung, und es muß dem Naturforscher eine logische Nothwendigkeit bleiben, in der endlichen Natur nur gradweise Unterschiede gelten zu lassen. Wie es für alles Räumliche, ebenso für alles Zeitliche ein Maß gibt, so muß es auch ein gemeinsames Maß für die geistigen Vorgänge geben.
Wie die materielle Natur sich vom Einfachsten zum Zusammen geseztesten allmählich abstuft, so muß auch in der ihr parallel gehenden Natur eine ähnliche Abstufung bestehen."
Es wird schwer sein, jenes gemeinsame Maß für die geistigen Vorgänge zu finden, aber wir verzweifeln nicht an dieser Aufgabe, sondern sind der frohen Hoffnung, daß es der vergleichenden Psychologie, der die ganze Thierwelt in den Bereich ihrer Untersuchung ziehenden Seelenlehre. gelingen wird, durch Auffindung jenes Maßes und durch die Handhabung desselben sich zu einer egatten Naturwissenschaft zu erheben.
über die Schranken der naturwissenschaftlichen Erkenntniß den didaktischen Inhalt in folgende Säße zusammen:
Die naturwissenschaftliche Erkenntniß bleibt in der Endlichkeit befangen; der Naturforscher muß sich daher strenge auf das Endliche beschränken.
Die Naturforschung muß exakt sein; sie muß sich durchaus von allem, was die Grenze des Endlichen und Erkennbaren überschreitet, fernhalten; sie muß, da der Gegenstand ihrer Untersuchung nur der endliche, kraftbegabte Stoff, die Materie ist, streng materialistisch verfahren, ohne zu vergessen, daß dieser richtige Materialismus ein empirischer( ein auf Erfahrung füßender) und kein philosophischer ist, und daß diesem richtigen Materialismus die gleichen Grenzen gesteckt sind, wie dem Gebiete, auf dem er sich bewegt.
Damit soll nicht gesagt sein, daß der Naturforscher nicht philosophiren, daß er sich nicht auch auf idealen und transcendenten Gebieten bewegen dürfe. Aber sobald er dies thut, hört er auf, Naturforscher zu sein, und was ihm dabei aus seinem Berufe zugute kommt, ist nur das, daß er die beiden Gebiete streng auseinander hält, daß er das eine als das reine Gebiet des Forschens und Erkennens, das andere aber, indem er es von allem Endlichen befreit, als das verborgene Gebiet der Ahnung zu behandeln weiß.
Wahrhaft erhebend und in geweihten Augenblicken ruhiger Weltbetrachtung neue, fräftige Impulse einflößend, ist der wunderbar klare Ausblick über das Erreichte, das bisher Erkannte und das noch zu Erkennende. Wir dürfen es dem bedächtigen Forscher, dem an exakte Methode und an reservirte Aeußerung gewohnten Physiologen hoch anschlagen, daß er in unsern Tagen, da es fast an allen Enden aus den Schlupfwinkeln der Unwissenheit höhnisch als Echo widerhallt:„ Ignoramus!" fühn und unerschrocken sein Votum in die Wagschale wirft. Nägeli schließt folgendermaßen: " Dem menschlichen Geiste, seinem Forschungstriebe und seiner Erkenntniß steht die ganze sinnlich wahrnehmbare Welt offen. Er dringt vermittels Teleskops und Rechnung in die größten Entfernungen, vermittels Mikroskops und Kombination in die kleinsten Räume. Er erforscht den zusammengesetztesten und verwickeltsten Organismus, der ihm selber angehört, nach den mannichfaltigsten Richtungen. Er erkennt die in der Natur herrschenden Kräfte und Gesetze und macht sich dadurch die unorganische und organische Welt, soweit er sie erreichen kann, dienstbar. Wenn er die bisherigen Errungenschaften in den Gebieten des Wissens und der Macht überblickt und an die künftigen noch größeren Eroberungen denkt, so kann er mit Stolz sich als den Herrscher der Welt fühlen.
„ Aber was ist diese Welt, die der menschliche Geist beherrscht? Nicht einmal ein Sandkörnchen in der Raum- Ewigkeit, nicht eine Sekunde in der Zeit- Ewigkeit und nur ein Außenwerk an dem wahren Wesen des Alls. Denn auch an der winzigen Welt, die ihm zugänglich ist, erkennt er nur das Veränderliche und Vergängliche. Das Ewige und Beständige, das Wie und das Warum des Alls bleibt dem menschlichen Geist für immer unfaßbar, und wenn er es versucht, die Grenze der Endlichkeit zu überschreiten, so vermag er nur sich selbst zum lächerlich ausgestatteten Gözen *) Wir erinnern uns hier unwillkürlich an das Rückert'sche Gedicht aufzublähen oder das Ewige und Göttliche durch menschliche Ver,, Die Seel' im All":
Nägeli faßt am Schlusse seiner klassischen Auseinandersetzung
Ich bin der Morgenschimmer, ich bin der Abendhauch; Ich bin des Haines Säuseln, des Meeres Wogenschwall.
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Das Schweigen, der Gedanke, die Zunge und der Schall. Ich bin der Hauch der Flöte, ich bin des Menschen Geist, Ich bin der Funk' im Steine, der Goldblick im Metall.
Ich bin der Kalk, die Kelle, der Meister und der Riß, Der Grundstein und der Giebel, der Bau und sein Verfall.
Ich bin der Wesen Kette, ich bin der Welten Ring, Der Schöpfung Stufenleiter, das Schwingen und der Fall.
unstaltungen zu entwürdigen.
" In der endlichen Welt walten unabänderlich die ewigen Naturkräfte, deren Wirkungen wir als Geseze der Bewegung und Veränderung erkennen. Ob und wie sie Inhalt und Ausfluß eines in Ewigkeit beharrenden, bewußten Zweckes sind, übersteigt unser Fassungsvermögen.
Wenn mein Vorgänger Du Bois- Reymond seinen Vortrag mit den niederschmetternden Worten: Ignoramus und Ignorabimus geschlossen, so möchte ich den meinigen mit dem bedingten, aber tröstlicheren Ausspruche schließen, daß die Früchte unseres Forschens nicht blos Kenntnisse, sondern wirkliche Erkenntniß sind, welche den Keim eines fast unendlichen Wachsthums in sich tragen, ohne deshalb der Alwissenheit um den kleinsten Schritt sich zu nähern. Wenn wir eine vernünftige Entsagung üben, wenn wir als endliche und vergängliche Menschen, die wir sind,