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nach einer Theatersaison von ganzen acht Tagen. Noch haben die Orchestermitglieder dieser Bühne nicht die ihnen gerichtlich zugesprochenen Gagen für die vorige Saison, da sich der vorige Direktor Hirsch ,, unbekannt wo" befindet; und wieder sind bei 200 Existenzen der herb sten Noth anheimgegeben durch den Leichtsinn eines Menschen, der sich nicht scheute, ein frevelhaftes Spiel mit ihnen zu treiben, des Direktors Swoboda, welcher das Theater pachtete, ohne irgend einen Fonds zum Betriebe desselben zu haben, die Leute, Schauspieler sowohl wie Musiker, größtentheils aus der Ferne herbeilockte, da ihm die wiener Musiker­bereins- Mitglieder nicht zu Gesichte standen, und nun das Theater auf gut Glück eröffnete, um es nach acht Tagen wieder sperren zu müssen. Und es giebt noch Zeitungen, die einen solchen Abenteurer bedauern!

Es kracht übrigens nicht blos in der Komischen Oper", sondern so ziemlich an allen wiener Bühnen, die nicht durch Staats- oder son­stige Subventionen geschützt sind: der Direktor des Theaters an der Wien   machte im Sommer Konkurs; ob es ihm heuer, nachdem er mit seinen Gläubigern, darunter auch sein Schauspiel- und Orchesterpersonal, eine Art Ausgleich getroffen, besser gehen wird, ist eine andere Frage. Für das Carl- Theater  , dem einzigen wiener Privattheater, das sich bisher immer aufrecht zu halten vermochte, will sich zu den hohen Pacht­bedingnissen kein Bächter mehr finden. So ist der Krach noch immer die Signatur der Zeit und heuer mehr als je, ganz abgesehen von dem großen Krach, den der gute Geschmack an unsern Vorstadttheatern schon lange erlitt. Doch hievon ein anderesmal!

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,, Es wird bald besser werden!"

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Viennensis.

Im Hause Fugger  . Unsere Leser sehen, daß es feine arme, nothleidende, enterbte" Familie ist, in deren häuslichen Kreis unser Bild( Seite 221) sie führt; im Gegentheil: die Fugger scheiden sich in gräfliche und fürstliche Linien, ihren Grundbesiz rechnen sie nach Quadrat­meilen, ihr Vermögen zählen sie nach Millionen und ihr häusliches Leben haben sie seit Jahrhunderten mit allen Genüssen des Leibes und des Geistes auszuschmücken gewußt. Ja seit Jahrhunderten! Vor mehr als 400 Jahren lebte zu Graben nahe bei Augsburg   ein schlichter, armer Webermeister, Johannes Fugger  , der seinen Sohn, auch Johannes geheißen, nach Augsburg   hinein an eine Bürgerstochter der hochmäch tigen und reichen freien Reichsstadt Augsburg   verheirathete. Herr Johannes Fugger   der jüngere war natürlich auch Webermeister, Leinwand­weber zumal, und das war sein Glück, denn zwei Jahre bevor er sich in das Bürgerrecht der freien Stadt hineinheirathete( 1370), hatte sich die Zunft der Weber in die Regierung derselben eingedrängt und aus der aristokratischen Herrschaft der wenigen vordem rathsfähigen Ge­schlechter eine ächte und gerechte Weberzunftherrschaft gemacht. Und Herr Johannes der jüngere verstand seinen Nußen und beutete die Vortheile, welche das Bürgerrecht und die vorzügliche Lage Augsburgs  als Hauptstapelplatz des damaligen Handels zwischen dem nordischen Europa   und Italien  , gleichwie zwischen dem ersteren und dem Morgen­land darbot, geschickt genug aus, um seinen Erben ein beträchtliches, freilich nicht auf dem goldnen Boden" des Handwerks der Leinen­weber, sondern auf dem schon damals recht praktikablen Wege des Spekulationshandels, und zwar des Leinenhandels, erworbenes Ver­mögen zu hinterlassen. Die Nachkommen des spekulativen Johannes waren auch nicht umsonst Bürger von Augsburg   und Mitglieder der herrschenden Zunft sie benutzten die günstige Stellung aller durch die jeweiligen Umstände unumgänglich gemachten Händler, als Waaren bermittler zwischen Produzenten und Konsumenten, vortrefflich, und schon der älteste Sohn Andreas brachte es zum adeligen Wappen, das der Kaiser Friedrich III. seiner Linie, der der Fugger vom Reh, ver­leh. Freilich starben diese Fugger nach noch nicht 12 Jahrhunderten aus, aber das Haus des jüngeren Bruders Jakob, das der Fugger von den Lilien, handelte und blühte durch die Jahrhunderte fort, heirathete in die vornehmsten und reichsten Geschlechter hinein, häufte Gold auf Gold, pumpte Kaisern und Königen und ward schon von Maximilian I.  ebenfalls in den Adelsstand erhoben. Fortan waren die Fugger in allen Ländern und Meeren gebietende Welthandelsherren und die Freunde der Kaiser und deren Helfer in vielen Geldnöthen; auch die Kirche hatte sich ihrer klingenden und glänzenden Unterstüßung im reichsten Maße zu erfreuen. So bezahlten sie den berüchtigten Maulhelden Dr. Ed für seine Zungenkämpfe gegen Luther  , warfen manches Tausend blanker Goldkronen in den nach der Ambrofia des Goldes und dem berauschen­den Nektar der Macht gierig geöffneten Rachen des Jesuitenordens und thaten sogar in einem ihrer Familienglieder, der während eines Theiles des 30jährigen Krieges Oberbefehlshaber der Armee in Schwa­ ben   war, selbst zur Vernichtung der Reger ihr möglichstes. Natürlich fielen hin und wieder auch Brosamen von der zum Zerbrechen besetzten Lebenstafel der Fugger für einzelne der Millionen, die bei der Lotterie des Daseins nicht das Fugger'sche große Loos erhascht hatten, ab; die Fugger waren sehr wohltätige Leute, sie gaben einen lächerlich kleinen Theil ihres Ueberflusses den Armen und die allzubescheidenen Augen fanden die Bettelsunimen gar häufig groß, sehr groß und des reichsten Gotteslohnes werth. Und fürwahr! Wenn man sich die Fuggerei betrachtet, die kleine Stadt inmitten der Jakobervorstadt von Augsburg  , mit ihren sechs Haupt- und Nebengassen, ihrer eigenen Kirche und ihren mehr als 100 Wohnungen, in welchen arme Augsburger für ein Spottgeld dauernde Wohnung fanden man könnte wahrlich den

Hut abziehen vor solcher Wohlthätigkeit, wenn man nicht wüßte, daß die Fugger zur Zeit der Erbauung der Fuggerei im 16. Jahrhunderte zehnmal größere Armenstädte hätte bauen können, ohne ihren Riesen­geldbeutel der Rede werth zu erleichtern, und wenn es nicht heutzutage noch Kapitalisten gäbe, die mit silbernen Retten, mit Gewährung von materiellen Vortheilen aller Art eine Klientenschaar, einen Haufen armer, ohne fremde Unterstüßung darbender Leute, an sich fesseln im wesent­lichen zu keinen anderen Zweck, als zu dem dauernder und ungestörter Ausbeutung der fremden Arbeitskraft. Auch die Fugger wußten ihr schäßebeladenes Lebensschiff auf sicheren Antergrund zu bergen, sie brachten es bis zur reichsunmittelbaren Fürstenherrschaft und gehören heute noch, wenn sie gleich vom selbstherrlichen Fürstenthrone herunter mußten, als man in Deutschland   von den mehr als 100 Landesvätern den größten Theil pensionirte, doch zu den besten" Geschlechtern im Reiche. Und nun, nach diesem flüchtigen Blicke auf die Geschichte derer von Fugger, mögen die Leser sich die beredte Szene, welche unser Bild zeigt, recht genau betrachten; solche Bilder lehren, wie herrlich weit in der Verschönerung des Menschenlebens es die Kultur bringen konnte, und, nebenbei auch, was es auf sich hat mit der angeblichen Phrase" von der enterbten Masse des Volts! 6.

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dienen.

Zwei Versuchungen. Die christliche Mythologie berichtet von einer Versuchung Chrifti durch den Teufel. Es heißt im neuen Testamente" wörtlich: ,, Da ward Jesus   vom Geist in die Wüste geführt, auf daß er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vier­zig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes   Sohn, so sprich, daß diese Steine Brod werden. Er antwortete aber und sprach: Es stehet geschrieben: Der Mensch lebt nicht von Brod allein, sondern von einem jeglichen Worte, das durch den Mund Gottes gehet. Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes   Sohn, so laß dich hinab, denn es stehet geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl thun und sie werden dich auf den Händen tragen, auf daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Da sprach Jesus   zu ihm: Wiederum stehet auch geschrieben: Du sollst Gott   deinen Herrn nicht versuchen. Wiede­rum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus   zu ihm: Hebe dich weg von mir Satan, denn es stehet geschrieben: Du sollst anbeten Gott deinen Herrn und ihm allein Da verließ ihn der Teufel und siehe die Engel traten zu ihm und dienten ihm." Die Koraiten sagten einst zu Muhamed  , um ihn zu versuchen: Du rühmst uns von Mose  , daß auf einen Schlag seines Stabes aus einem Felsen in der Wüste eine Quelle entstanden sei und daß Jesus  , der Sohn Mariens, Todte lebendig gemacht habe. Wir glauben dies ganz gern, thu du nun auch irgend solch Wunder und wir wollen dann auch deine göttliche Sendung glauben. Bitt' ein­mal Gott, daß der Berg Sesa, den wir hier vor uns sehen, sich in Gold verwandle und sogleich wollen wir alle deine Lehre annehmen." Das war eine üble Lage, in die der Prophet versetzt wurde. Er konnte sich nicht mit dem Worte Christi aus der Klemme ziehen: Du sollst Gott   deinen Herrn nicht versuchen. Damit hätte man ihn ausgelacht, Er half sich auf andere Weise. Auf der Stelle fing er an zu beten, und siehe da, der Engel Gabriel  , immer bereit ihn aus der Verlegenheit zu ziehen, offenbarte ihm, daß Gott   sich allerdings solcher Wunder bediene. um die göttliche Sendung seiner Propheten zu beweisen. Er ſei je­doch nicht mehr so langmüthig wie früher und stelle bei derartigen Wundern die Bedingung, daß, wenn die Völker nach einem solchen ver­langten und erhaltenen Wunder im Unglauben beharrten, sie alle ver­tilgt und ihre Länder verwüstet werden sollten, wie es zu den Zeiten Hebers und Salah's geschehen sei. Wähle nun," sprach der Engel zu Muhamed  , entweder dieses Wunder zu thun, das ein so schreckliches Strafgericht zur Folge hat oder es nicht zu thun, bis die Koraiten ( Koraischiten) Buße thun und sich zu Gott wenden." Muhamed   besaß ein fühlendes Herz und verzichtete auf das Wunder im Interesse der Koraiten, und der Berg Sesa blieb wie er war, von Stein. Hinter der Versuchung Christi darf man den gleichen Einwand suchen, der Muha­ med   gemacht wurde. Der angebliche Teufel ist das ungläubige Volt, das von ihm Wunder verlangt, die er ihm nicht gewähren kann. Jesus  sucht in der Schrift nach Ausflüchten, den Forderungen der Zweifler zu begegnen. Muhamed   ist kühner, er versteht es besser, seine Gegner, aus deren Worten, wie bei dem Teufel in der christlichen Erzählung, der boshafteste Sohn flingt, zum Schweigen zu bringen. Die Wunder Jesu  , die im weiteren Ausbau der christlichen Mythologie entstanden sind, stehen mit der ursprünglichen und der Wahrheit mehr entsprechen den Erzählung durchaus im Widerspruch.

C, L.

Die Abstammungslehre und ihre Dokumente für die soziale Frage verwerthbar gemacht. Es ist mir unverständlich, daß wir, die Zeitgenossen Darwins, die Lehre von der weltbewegenden Descen denz und Zuchtwahl des Menschen, von der Descendenz der Physio­gnomien und der geistigen Eigenschaften noch nicht auf unsere politischen und staatssozialen Verhältnisse nußbringend übertragen haben. Wir