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№20.Jahrg.lll.
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Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
Erscheint wöchentlich. Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
Sobald die Heilung Wolfgang's soweit vorgeschritten war, daß der Arzt ihm gestatten konnte, Besuche zu empfangen, ließ er den Steiger Krone bitten, zu ihm zu kommen, und dieser fand sich denn auch sofort bei seinem kranken Hauptmann ein. Krone war bisher der einzige gewesen, der sich Wolfgang gegenüber etwas zurückhaltend gezeigt hatte, und wenn die Kameraden ihm in der Begeisterung für den jungen Führer zu weit zu gehen schienen, hatte er wohl auch einmal gefnurrt: Neue Besen kehren gut!" oder: Abwarten" und hatte still und ernst seinen Dienst gethan; stellte man ihm vor, daß er Wolfgang durch seine Zweifel unrecht thue, so hatte er wohl erwidert, daß es sich noch sehr frage, ob ihn jemand so hoch halte wie er, daß er ihn aber noch nicht nahe genug-kenne und daß er nie vorschnell urtheile. Man hatte die Achseln gezuckt und gesagt:„ Also auch hierin der Sonderling, der an allem herummäkelt." Für einen Sonderling galt Krone bei all seiner Gutmüthigkeit schon lange, ja seine nächsten Bekannten nannten ihn verbittert und verbissen, weil er sich schon seit dem schleswig - Holsteinischen Kriege von 1864 fort während in Opposition zu der öffentlichen Meinung" befunden hatte. Er hing noch fest und unverbrüchlich an den Traditionen von 1848, die er in seiner Weise verstand; er legte auf alle Freiheitsfragen ein viel größeres Gewicht als auf das Nationale, und es hatte ihn mehr und mehr in die Vereinsamung hineingetrieben, daß keiner von seinen Bekannten seine Anschauungen theilen wollte und daß man sich, erbittert oder unmuthig, von ihm abwendete. Besonders während des Krieges gegen Frank reich hatte man es in der Gluthize des nationalen Paroxysmus nicht an Anfeindungen des„ Vaterlandslosen", des" Franzosenfreundes" fehlen lassen, und es waren ihm brutale Aeußerungen zu Ohren gekommen, die ihn auf's tiefste schmerzten. Es ging ihm die Fähigkeit ab, einem zungenfertigen Gegner die Stange zu halten und nach ein paar formlosen Säßen, die er hervor gepoltert hatte, fam er gewöhnlich in's Stocken und auf seinen Wangen zeigten sich scharfumgrenzte rothe Flecke- ein sichres Zeichen, daß es in ihm fochte und gährte und daß er doch keinen schlagenden Ausdruck für seine Gedanken zu finden vermochte. Meit düstrem Blick, die Arme über der Brust verschränkt, biß er dann wohl die Zähne aufeinander, fraß seinen Groll stumm in sich hinein und gelobte sich, kein Wort mehr zu erwidern, aber wenn man dann, ihm zum Tort und Hohn, die ,, Wacht am Rhein"
1878.
anstimmte, so mühte sich seine rohe, ionlose Stimme doch wieder ab, mit seinem geliebten Revolutionslied:
,, Allons, enfants de la patrie ! Le jour de gloire est arrivé!" durchzubringen, und wenn er schließlich, von der Menge niedergebrüllt, mit glühendem Gesicht zornig auf- und davonging, schallte ihm spöttisches Gelächter nach, ja, er hatte mehrfach heftige Auseinandersetzungen mit seinen besten Freunden gehabt und die meisten waren dem Unverbesserlichen" auf diese Weise entfremdet. Er litt unter diesen noch nachwirkenden Zerwürfnissen mehr als er hätte sagen können, denn er war ein entschiedener Gemüthsmensch und hinter seinem galligen, verbissenen Trotz und Hohn barg sich eine große Weichheit der Empfindung, deren er sich schämte, deren Aeußerungen er aber oftmals vergebens zu unterdrücken strebte. So durfte ihn niemand an ein Töchterchen erinnern, das er besonders lieb gehabt hatte und das ihm in demselben Monat gestorben war, in dem es zum erstenmale hatte zur Schule gehen sollen, ohne daß es unter dem dichten Schnurrbart schmerzlich um die Mundwinkel zuckte, und der Gang nach dem kleinen sorgfältig gepflegten Grabe war fast sein einziger Spaziergang; traf man ihn dort, so fuhr er gewiß mit dem Rücken der braunen Hand über die Augen, um die Thräne zu zerdrücken, die ihm beim Anbinden und Auspuzen der Blumen unwillkürlich in's Auge getreten war. Hand in Hand mit dieser Weichheit ging eine verstohlene Begeisterungsfähigkeit, die selbst für den etwas Rührendes hatte, der sie komisch fand; er wußte jede Zeile der schwertscharfen, glockentönigen Lyrik auswendig, durch welche Herwegh und Freiligrath den Bewegungsjahren die poetische Weihe gaben, und besonders Freiligrath war fein erklärter Liebling; bei ihm fand er dieselbe Anschauung, die alle seine Urtheile färbte:„ Es gibt nur zwei Parteien Reichen und die Armen; alle anderen Parteiunterschiede sind Spiegelfechterei und Schattenspiel an der Wand," und mit der er nur noch denen gegenüber herausrückte, die er halb und halb für seine Gesinnungsgenossen hielt; man hatte diese Formulirung seiner tiesinnersten Ueberzeugung so oft für eine folossale Uebertreibung erklärt, daß er mit diesem Sahe mehr als früher zurückhielt.
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Er war Faktor in der kleinen Druckerei des Orts und dem Besizer derselben längst unentbehrlich geworden, da er zugleich
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16, Februar 1878.