uns, trotz Schillers allzuscharfer Kritik dennoch sehr theuer sein müssen, denn da haben wir wirkliche Lieder für das Volk!

Wie sehr fallen die Gleim   und Konsorten gegen ihn ab! Die behandeln ihr Publikum, wenn sie für das Volk singen wollen, als furchtbar beschränkt und dumm und werden deshalb meist außerordentlich trivial und ungenießbar; hat doch selbst ein Lessing über das Voik die Aeußerung gethan, Verstand fehle den Leuten; er meint aber jedenfalls das wissenschaftliche Bewußtsein damit. Der alte Johann Heinrich Voß   sagte zu seiner Frau: er habe mit Hölty den Lieblingstraum gehabt, Deutschland   und Italien  zu bereisen, das Volf bei seinen Arbeiten aufzusuchen und dies dann in Idyllen zu besingen. Das habe sie freilich gestört!

Einer, der recht absichtlich Volksdichter sein wollte, Matthias Claudius  , traf wohl öfters den rechten herzansprechenden Ton, an anderen Stellen tritt aber die reaktionäre Beschränktheit( oder Tendenz?) recht deutlich an den Tag. So besonders in dem Lied der Bauern zu N. N. an ihre Gutsherrschaft am Geburts tage", in dem mit sichtlichem Wohlbehagen der beschränkte Unter thanenverstand" gepredigt wird, wofür als Beweis die letzte Strophe dienen mag:

Vorsänger: Fromme Menschen sein und Christen Ist ein guter Brauch.

Ach, wenn's alle Herren wüßten, Ja, sie wären's auch,

Und gehorsam wären Knechte, Plauderten nicht Menschenrechte

Wie ein Gauch, wie ein Gauch! Alle: Gott zu fürchten ist für Knechte Guter Brauch,

Und für Herren auch!

Das war nach der großen Revolution von 1789, und solche Lieder zum Einlullen des Volks schienen unseren Poeten am Plage zu sein!

Zum Theil von einem ähnlichen Geiste getragen ist das Mildenheimische Liederbuch", 518 lustige und ernsthafte Gesänge, von Rudolf Zacharias Becker   zusammengestellt und 1799 heraus gegeben. Es ist ganz gedruckt wie ein Gesangbuch, zweispaltig, ohne Versabfäße, um Raum zu sparen, und enthält Sachen von Goethe, Bürger, Voß, Schubart u. a. nebst Selbstgedichtetem; in Kapitel eingetheilt, gibt es für alle Lebensumstände, für alle Berufsklassen Beiträge. So z. B. wird der Fleischer mit dem tapfern Soldaten, der Menschen schlachtet, verglichen und so dessen Selbstbewußtsein gehoben. Warum nicht umgekehrt?

Unter diesen Volksliedern" begegnet uns auch das Preußen­lied" Heil dir im Siegerkranz  ", welches ursprünglich von einem Schleswig- Holsteiner dem König von Dänemark   gewidmet ist.

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Den bessern Pflegern des Liedes im Volkston sind aus jener Zeit beizuzählen der Freund Goethes, der Maler Müller, dessen Heute scheid' ich, morgen wandr' ich" ja auch Volkslied geworden ist; ferner war Schubart auf diesem Feld glücklicher als Gleim. Auch von Jung- Stilling  , dem straßburger Studiengenossen Goethe's  und Herder's, dessen Lied mit dem Refrain Sonne noch einmal blicke zurücke", welches sich in seiner Selbstbiographie findet, sehr beachtenswerth ist, wenn es auch schon dem Sentimentalen, zum Theil dem Schrecklichen zuneigt.

Soviel über die Geschichte des Volkslied auf der Scheide des vorigen und unseres Jahrhunderts. Von den größeren Sammlungen nennen wir nur" Des Knaben Wunderhorn  ", eine 1808 von Achim von Arnim   und Brentano   veranstaltete Sammlung, und dann Uhlands Alt-, hoch und niederdeutsche Volkslieder".

Aber auch heute ist der dichtende Volksgeist noch nicht er­loschen; oft werden Lieder bekannter Dichter, wie Schiller, vom Volk zurecht gesungen, zum Theil auch, wie in Tyrol und andern süddeutschen Ländern, beim Becher Schnaderhüpfel und Streit­lieder erfunden und noch dazu improviſirt, und wenn in dem gegenwärtigen Volksgesang zum Theil ein Stocken eingetreten ist, so liegt es daran, daß verständige Kunstdichter, wie Uhland, Heine, Herwegh   u. a., wieder Lieder geschaffen haben, die der Volksnatur angemessen sind.

Möchte doch das Wort Bürger's, daß die deutsche Dichtkunst für alle da sei, eine immer größere Beachtung finden bei unseren zeitgenössischen, sowie bei den zukünftigen Dichtern! Möchten diese uns Lieder schaffen, die herzerfreuend und veredelnd zugleich auf das Volk wirken und über die das letztere sagen kann: das ist Fleisch von unsrem Fleisch und Bein von unsrem Bein." Möchten die künftigen Sänger immer mehr ihren Beruf erfüllen, wie ihn unser Schiller auffaßt, wenn er sagt, daß der Dichter der Menschheit vorangeheud," die gewagtesten Vernunftwahrheiten lange vorher unter das Volk bringt, ehe der Philosoph und der Gesetzgeber sich erkühnen dürfen, sie in ihrem vollen Glanze herauszuführen. Ehe sie Eigenthum der Ueberzeugung geworden, hätten sie dann schon ihre stille Macht an der Herzen bewiesen und ein ungeduldiges einstimmiges Verlangen würde sie endlich von selbst der Vernunft abfordern!"

Wird sich Schillers Hoffen erfüllen? Die Reichssonnette­klimpermeister" à la Redwig und Bismarckhymnensänger à la Gottschall geben uns freilich wenig Aussicht aber daneben er­tönt doch manches tief und wahr empfundene, zeitgemäße Lied! Also hoffen wir, daß uns auch Lieder für's Volk gesungen werden, welche das letztere für würdig befinden kann, daß sie Volkslieder heißen!

Die Sittenlehre des Darwinismus.

Von C. Fehleifen.

Die Lehren des Darwinismus erleiden dasselbe Schicksal, welches die Menschen von jeher neuen Wahrheiten und neuen Entdeckungen bereitet haben, d. H. sie werden einfach als staats­und religionsgefährlich verschrien und denunzirt. Sokrates   mußte für den Versuch, eine reine Gottesvorstellung auf monotheistischer Grundlage zu erwecken, den Giftbecher lehren; der Zimmermanns­sohn von Nazareth, im ganzen ein ungefährlicher, harmloser Schwärmer, wurde an's Kreuz genagelt, weil er unter anderem Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen lehrte; der erste, der die großartige Entdeckung des Kopernicus, daß die Erde um sich selbst und um die Sonne sich bewege, öffentlich zu verbreiten wagte, Giordano Bruno  , wurde am 17. Februar 1600 in Rom  verbrannt oder wie es in der damaligen Sprache der christlichen Richter hieß: ohne Blutvergießen zum Tode befördert."

Mit Feuer und Schwert( so gerne es manche thäten!) wüthen allerdings die Menschen heute nicht mehr gegen die Anhänger und Verbreiter einer neuen Lehre, aber in Ermangelung solcher radikalen Mittel werden keine Lügen und Verleumdungen gespart, den Darwinismus zu verdächtigen und zu verhindern, daß er im Volfe an Ausbreitung gewinne.

Am auffälligsten hat in letzter Zeit der Unglücksprophet und Rückschrittler Virchow in München   seine Stimme gegen den Darwi­nismus erhoben; als Beweis, wie sehr dieser Reaktionär der

Wissenschaft im Sinne der herrschenden Reaktion sprach, diene eine Szene aus der Reichstagssigung vom 9. Dezember 1876. Bei der Etatberathung des öffentlichen Unterrichts für Elsaß­Lothringen beklagte der Abgeordnete Guerber sich darüber, daß die Lehrer vom Staate ohne Mitwirkung der Kirche angestellt werden, weshalb es denn auch vorgekommen sei, daß ein als Anhänger des Darwinismus bekannter Lehrer als Leiter eines Schulinstituts habe angestellt werden können. Diese Aeußerung berichtigte der Reichstagsabgeordnete von Puttkammer dahin: es sei unwahr, daß der betreffende Lehrer ein Darwinianer gewesen sei, der Urheber dieses Gerüchts sei wegen Verleumdung(!) bestraft worden; man werde doch nicht glauben, die Landes­verwaltung werde so thöricht(!) sein, einem Manne, der einer solchen Richtung angehöre, eine Schulanstalt anzuvertrauen!"

So durfte man im Jahre 1876 und darf man auch heute noch reden in einer Reichstagssigung, in einer Versammlung von Männern also, welche den Geist und die Blüthe einer ganzen Nation und zwar der Nation der Denker" repräsentiren! Also auch heute noch kämpft man mit allen zu Gebote stehenden Mitteln gegen die Ausbreitung einer unbequemen neue Lehre; den Lehrer, der dem Darwinismus huldigt, verbrennt man zwar nicht, allein man entfernt ihn einfach aus dem Amte und läßt ihn betteln oder verhungern, d. h. nach der modernen christlichen Sprache