Die Zone Well
No 23.Jahrg.Ill.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
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In Heften à 30 Pfennig.
Erscheint wöchentlich. Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
Eine momentane Verwirrung kam über beide, aber sie faßten sich rasch und Wolfgang fand so schnell den herzlichen, natürlichen Ton wieder, den Martha heimlich unwiderstehlich nannte und bei dem ihr so wohl ward, daß sie fast unbefangen ihren Arm in den seinen legte, als er sie zu einer Promenade durch den Garten aufforderte, den er ja noch nicht kannte. Die Gäste hatten sich in größeren und fleineren Gruppen nach Laune und Zufall in den Parterrelokalitäten des Hauses, in Garten und Park zerstreut, jedes Ruheplätzchen war von einer animirten kleinen Gesellschaft eingenommen, bei jeder Krümmung der Wege fast stieß man auf einen solchen Kreis näherer Bekannter, und überall war Gelächter und Stimmengeschwirr und Geficher, und die bunten Frühlingsgewänder der jungen Mädchen schimmerten durch die lichtgrünen Büsche. Aber das fümmerte die beiden wenig, die langsam dahinschritten und vor jedem Rondel, vor jedem Rosenbäumchen, vor jeder Blattpflanzengruppe stehen blieben und einander in der innigen Freude an der Natur unbewußt näher traten, als sie dies vor einer Stunde für möglich gehalten hätten. Es machte Wolfgang' ungeahntes Vergnügen, Martha zu erzählen, wie er selbst in den Besiß eines Gartens gelangt sei und wie wohl er sich in seinem kleinen grünen Reiche fühle. Seine Wirthin besaß, außer halb der Stadt und auf drei Seiten von einem beinahe stagnirenden Kanal umschlossen, einen ziemlich großen Gras- und Obstgarten, in welchem sie nebenher nur noch einige Küchenkräuter und etwas Gemüse zog. Mit Vergnügen hatte sie dieses Stück Land an ihn abgetreten und ihm gestattet, in demselben nach freiem Belieben zu schalten und zu walten, und mit Hilfe eines alten Gärtners hatte er sich daran gemacht, den halb wüsten Komplex zu einem freundlichen Garten umzuschaffen, was denn auch in der Hauptsache bereits gelungen war. Das halb verfallene gemauerte Häuschen, welches zwischen den Bäumen stand, hatte sich mit geringen Kosten wieder in wohnlichen Stand seßen lassen; von wildem Wein überwuchert, bot es einen freundlichen Anblick, und den Sommer über wollte er draußen bei offner Thür und halb im Freien lesen und studiren. Und dichten," ergänzte Martha, beinahe zaghaft, aber mit einem so gewinnenden Lächeln, daß er für die Erwähnung seiner poetischen Versuche nicht einmal das unmuthige Aufwerfen der Lippen hatte, welches ihm sonst für derartige Indiskretionen zur Verfügung stand. Die Antwort, Die Antwort, welche ihm auf der Lippe schwebte, wurde ihm durch eine un
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erwartete Begegnung abgeschnitten, welche dem Gespräch sofort eine andere Wendung gab. Der Rektor Stord und der Bürgermeister kamen ihnen in fast aufgeregtem, anscheinend politischen Gespräch entgegen und während letzterer höflich grüßte, schossen die Augen des ersteren, indem er vor Martha eine devote Verbeugung machte, einen Blick auf Wolfgang, in dem soviel Feindseligkeit und Haß lagen, daß Martha, als die beiden vorüber waren, nicht umhin konnte, Wolfgang zu fragen, ob er dem Rektor etwa Anlaß gegeben habe, ihm übelzuwollen. Wolfgang hatte keinen Grund, sein Rencontre mit dem Schulmonarchen zu verheimlichen; er erzählte dasselbe mit Laune und Humor und machte mit einem freudigen Staunen die Entdeckung, daß seine ernste Begleiterin auf's herzlichste zu lachen verstand. Die Demüthigung, welche der Hochmüthige erfahren hatte, schien ihr zur persönlichen Genugthuung zu gereichen und sie machte fein Hehl daraus, daß ihr der Mensch in tiefster Seele antipathisch sei, obgleich er vor Jahren eine seiner Tanzkompositionen nach ihr getauft und ihr gewidmet habe eine Ehre, die sie allerdings mit jeder seiner Schülerinnen im Klavierspiel theile. Sie waren so, ohne Acht auf den Weg zu haben, an die Pforte im Wildzaun gelangt, durch welche man aus dem Park in die königlichen Forste gelangen konnte und vor der sie nach ihrer ersten Begegnung von einander schieden. Beiden drängte sich die Erinnerung an jene erste Begegnung auf und Wolfgang fragte: " Sind Sie nicht an dem Abend, wo der lichtgraue Stier so freundlich war, unsere Bekanntschaft in etwas ungewöhnlicher Weise zu vermitteln, durch diese Thür in den Park getreten?"
„ Gewiß aber wissen Sie auch, daß ich an jenem Abend doch etwas eingebüßt habe. Ich vermißte später einen meiner Handschuhe- muthmaßlich ist er an der Stelle liegen geblieben, wo wir meine kleine Blessur entdeckten."
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" Ich kann Ihnen Aufschluß geben Ihre Vermuthung trifft nicht zu. Ich habe den Handschuh damals mechanisch eingesteckt und vergessen, ihn zurückzugeben, und als ich ihn entdeckte, glaubte ich, ihn als ein kleines Andenken an jene Stunde behalten zu dürfen. Indessen steht er, wenn ich dabei zu voreilig geschlossen habe, jeden Augenblick zu Ihrer Verfügung."
Martha erröthete bis in die Schläfen, aber im nächsten Moment schon sagte sie ungezwungen, scherzend und ohne jeden störenden Anflug von Koketterie:
III. 9. März 1878.