ersehnte männliche Stütze, den Berather und Leiter zu finden schien, aber er stolperte fortwährend über das abgeschmackte, häßliche, brutale Wort: er hat sich schlauerweise in die Fabrik eingeheirathet", und dann wurde der Blick seiner Augen dunkel und streng und die Lippen schlossen sich fest aufeinander und von seinen offenen, ausdrudsfähigen Zügen verlor sich der freundliche Ausdruck. Dieses wechselnde Spiel des Affekts, dieser Widerschein des innern Kampfs entgingen Martha nicht- traten sie doch zu Tage wie das jähe Sichablösen von Licht und Schatten auf einer Landschaft, die man an einem Sommertage, an dem die Sonne mit rasch ziehenden Wolken in Hader liegt, vom Hügelkamm überschaut. Aber das arme Mädchen wußte sich diesen Wechsel des Ausdrucks nicht zu erklären, und beklommen und beunruhigt stand sie einem Räthsel gegenüber, ohne den Muth zu direkter, offner Frage. Das Gespräch der beiden hatte von dem Tanz, der den Saal mit wirbelnden Paaren erfüllte, kaum Notiz genommen; da flog Emmy im Arm eines jungen Husarenoffiziers vorüber und ihr Fächer deutete, während ihr Mund lächelnd einige Worte flüsterte, deren Sinn sich nicht einmal errathen ließ, auf die in ihr Geplauder Vertieften, die wie Bruder und Schwester, die über eine ernste, aber ihnen angenehme Angelegenheit sich unterhalten, beisammen saßen. Martha sah ihr einen Moment nach und wendete sich dann an Wolfgang mit der Frage:
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" Sie perhorresziren das Tanzen prinzipiell?" " Allerdings es ist in meinen Augen eine schreiende Inkonsequenz, eine sanktionirte Verhöhnung der heilig- gesprochenen Sitte. Auf der einen Seite sind die jungen Mädchen unnahbar, die geringste Unschicklichkeit läßt sie tief erröthen und viele Dinge, die an sich sehr unschuldig und natürlich sind, dürfen in ihrem Beisein nicht erwähnt werden; es gibt nichts zarteres und verletzlicheres als ihre Schamhaftigkeit und an einem Ballabend machen sie in der raffinirtesten Weise Parade mit allen irgend zu zeigenden Reizen. Man würde Zeter schreien über den jungen Mann, der im Feuer des Gesprächs sich erlaubte, ihre Hand zu fassen und an einem Ballabend geht sie aus einem Arm in den andern und schmiegt sich an wildfremde junge Männer, die ihr fünf Minuten vorher erst vorgestellt wurden, und ihre zarte Jungfräulichkeit erträgt ohne die geringsten Skrupel und ohne Unbehagen die Möglichkeit, im einen Moment von dem Manne ihrer Wahl und im nächsten von einem notorischen Wüstling um armt zu werden, der vielleicht aus dem„ Boudoir" einer Tingeltangel- Sängerin nach dem Ballsaal gefahren ist. Was von Person zu Person und unter vier Augen eine Gunst, ein indirektes Zugeständniß süßester Neigung wäre, wird im Ballsaal mit vollen Händen verschenkt; man macht sich zum Gemeingut, und der sittenloseste Mensch mag sich sein Theil annektiren, sobald er in einen Frad geschlüpft ist und seine Finger in weiße Glaçés gezwängt hat; erforderlich ist dann nur noch eine tadellose Verbeugung und die Dame, die nicht bereits für alle Tänze versagt ist und wäre ihr der Mensch noch so verhaßt und verächtlich hat einfach Folge zu leisten, will sie nicht überhaupt auf das Tanzen verzichten. Es ist merkwürdig, wie leicht von sonst ganz feinfühligen Menschen der unsittliche Kern einer Sitte übersehen wird und wie selten sich Naturen finden, die kein Bedenken tragen, auch über die altehrwürdigsten Bräuche nachzudenken, sie einer Kritik zu unterziehen und sie zu verurtheilen, wenn sie ihnen widersinnig und häßlich erscheinen. Ich darf ganz offen bekennen, den modischen Rundtanz, der durch den Vergleich mit den meist graziösen Nationaltänzen geradezu lächerlich- unschön wird, von Kindesbeinen auf gehaßt zu haben, und es ist dies einer von den wenigen Punkten, über die ich erbittert und hartnäckig streiten kann, einer von den wenigen Punkten, über die ich leidenschaftlich zu werden vermag."
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Er unterdrückte, was ihm noch auf den Lippen schwebte; er wollte nicht an den Vorwurf erinnern, den in Jordans„ Demiurgos" Heinrich der Geliebten macht, daß sie
,, am Tanz, am dargestellten Sinnenbrand, In seiner Gegenwart Gefallen fand."
Er mochte Goethe's und des Dichterlords Aeußerungen über den Walzer nicht erwähnen, und Martha widersprach ihm ja auch nicht, sondern meinte nachdenklich, sie habe nie passionirt getanzt, und seit es ihr einmal eingefallen sei, mit zugehaltenen Ohren hinabzublicken in einen von galoppirenden Paaren erfüllten Saal, habe sie sich des Tanzens möglichst enthalten und sei immer bemüht gewesen, Engagements zu entgehen; höre man die Musik nicht, so meine man, unter Tollhäusler gerathen zu sein, und
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diesen Eindruck habe sie nie verwinden können; über Wolfgangs Einwände müsse sie erst reiflich nachdenken- sie seien überraschend und fast erschreckend und beschämend für sie, und solche neue Gesichtspunkte wollten sorgsam erwogen sein. Wolfgang gab dem Gespräch unmerklich eine andere Wendung, und Martha hatte ihn im Geiste auf einer Fußwanderung durch die Berge und Schluchten von Nordwales begleitet und mit ihm in Glan- y- Coed Strandferien verlebt, verträumt und verangelt, als sie sehr unliebsam und unerwartet gestört wurden. Ein Husaren- Rittmeister, der seine nicht mehr zu bemäntelnde Glaze wohl mehr dem üblichen " Leben" der Kavallerieoffiziere als seinem Alter verdankte, dessen Embonpoint jedoch dafür sprach, daß er in die behäbigen und bequemen Jahre kam, hatte sich zwischen Tischen und Stühlen bis zu den einsam Plaudernden durchgewunden und forderte, Martha mit einer tiefen Verbeugung auf, ihm die Ehre eines Walzers zu gönnen. Sie war überrascht und verwirrt, ihre erste, instinktive Bewegung war, sich zu erheben, und sie würde dem Rittmeister, gewohnheitsmäßig, wenn auch mit Widerstreben und Bedauern, gefolgt sein, wenn ihr nicht plötzlich Wolfgangs lebhafte Abneigung gegen das Tanzen eingefallen wäre. Sie wagte nicht, ihn anzusehen, aber wozu war das auch nöthig? Sie glaubte zu sehen, wie gespannt und erwartungsvoll sein Blick auf ihr ruhte. Sie irrte sich; Wolfgang betrachtete nachdenklich seine Stiefelspizen, als ginge ihn das weitere nichts mehr an, und in seinen regungslosen Zügen war keine Spur einer Bewegung zu entdecken. Er war gespannt auf die Entscheidung, aber er wünschte fast, Martha möge dem Husaren folgen, damit er ein Recht erhielt, ihr gleichmüthig den Rücken zu kehren, und doch sie, sich besinnend, des Rittmeisters Aufforderung ablehnte und ihm erklärte, daß sie diesen Abend noch nicht getanzt hätte und auch nicht tanzen würde, schoß ihm eine jähe Nöthe in die Wangen, und als der korpulente Kriegsmann seinen Rückzug bewerkstelligt hatte, sagte er leise, aber mit einem Ausdruck von Innigkeit, über den er selber erschrak:
ich
"
als
Sie haben mir eine große Freude gemacht, Fräulein Hoyer- danke Ihnen."
War die Ablehnung nach unserer Unterhaltung nicht eigentlich selbstverständlich?"
Nein. Aber wir wollen das nicht weiter erörtern, sondern den abgerissenen Faden wieder aufnehmen, man wird uns hoffent lich nicht sogleich wieder stören."
Und sie setzten ihr Geplauder fort, und die rauschenden Tanzweisen kamen wie aus weiter, weiter Ferne zu ihnen; beide hörten immer nur die eine liebe Stimme, die durch einen einzigen Laut all' jene leichten, seichten Melodien aufwog, und die Zeit verging ihnen mit einer unerklärlichen Schnelligkeit, die beinahe etwas Belustigendes hatte und die doch auch wieder betrübend war. Frau von Larisch und Fräulein Emmy waren so unausgesetzt von ihren Tänzern umschwärmt, daß sie nicht zuzugeben brauchten, das eigenthümliche Paar recht geflissentlich sich selber überlassen zu haben; dennoch würde namentlich die gewandte Frau von Larisch keine Mühe gehabt haben, ihren Verehrern zu entschlüpfen, wenn ihr nicht grade daran gelegen gewesen wäre, die beiden ungestört zu lassen. Diese Neigung war ihr ein psychologisches Problem, dessen Lösung sie reizte, und es beschäftigte sie in einer anregenden Weise, zu beobachten, wie diese beiden ungewöhnlichen Menschen bald mit fühnen Siebenmeilenstiefelschritten einander näher kamen, bald wieder vor einem winzigen feuchten Gesicker bedenklich Halt machten, das über den Weg sich zog und ihnen Es gab nur höchstens die Schuhsohlen genetzt haben würde. eins, was wohl noch interessanter sein mußte, als dieses Beobach ten eine kleine, anmuthig- heiße Liebelei mit dem blonden Sonderling, aber wir kennen die Bedenken der klugen Weltdame von früher, und diese Bedenken hatten nichts von ihrer Stärke eingebüßt.
Es war schon Mitternacht, als sie endlich eine Pause dazu, benützte, die beiden, deren freiwillige Fjolirung im allgemeinen bei dem zwanglosen Charakter des Festes kaum aufgefallen war, aufzusuchen. Lächelnd wandte sie sich an Wolfgang:
Sie erwarten einen Vorhalt derüber, daß Sie nicht tanzen? Seien Sie untesorgt. Erstens haben Sie unzweifelhaft das bessere Theil erwählt, wenn Sie mit Martha plaudern, statt sich im Reigen zu schwingen, und dann ich habe Ihnen bereits das Sonderlings- Privilegium eingeräumt, auf die Vergnügungen und Genüsse gewöhnlicher Menschenkinder mit einem Achselzucken herabblicken zu dürfen, und wundre mich keinen Moment darüber, dak Sie auch in dieser Hinsicht Ihrer Rolle getreu bleiben."