Bewunderung ihrer Zeitgenossen nicht immer zu Theil geworden, haben sie doch die volle Anerkennung einer ewig dankbaren Nachwelt bis in die späteste Zukunft sich gesichert."
Mit diesen Worten leitet W. Sartorius von Waltershausen die Schrift ein, welche er dem Manne zum ehrenden Gedächtniß geschrieben, von dessen Leben und Wirken wir hier einen kurzen Abriß zu geben beabsichtigen. Und mit vollem Rechte wird dieser Mann zu denen gezählt, welche gleich Marksteinen auf dem großen Entwicklungsgange der Menschheit stehen. Wenn er aber dem deutschen Volke wenig oder garnicht bekannt war, so lag der Grund darin, daß er ausschließlich nach seinem Schaffen und Wirken der Gelehrtenwelt angehört und daß seine Schriften nur von Fachmännern verstanden und in verdienter Weise gewürdigt werden können. Wenn aber ein Volt auch nicht im Stande ist, die Werke aller seiner großen Männer zu verstehen, soll es darum nicht wissen, daß sie überhaupt gelebt haben und wer sie gewesen sind? woher sie gekommen und wie sie zu ihrer Höhe gelangten? Das wäre jedenfalls ein ganz falscher Schluß. Wir halten es daher für unsere Pflicht, auch das Bild dieses Mannes einmal aus den Gemächern der Gelehrsamkeit und tiefernsten Wissenschaft, wo es bisher gestanden, hervorzuheben, es dem Volfe zu zeigen und dessen Bedeutung zu erklären, soweit es möglich ist. Ist doch seine Vaterstadt eben im Begriffe, ihm auf öffentlichem Wege ein Denkmal setzen zu wollen. Wenn man auch zugestehen muß, daß unsere Zeit mit öffentlichen Denkmälern ziemlich verschwende risch ist und dadurch deren Werth bedeutend sinkt, so muß doch gesagt werden, daß dieser Mann mehr als viele andere ein solches verdient hat.
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Carl Friedrich Gauß wurde geboren am 30. April 1777 in der Stadt Braunschweig . Es ist ein altes, kleines Haus, an dem heute eine gußeiserne Gedenktafel mit vergoldeter Inschrift anzeigt, daß in dessen Räumen einst ein Mensch das Licht der Welt erblickt habe, der nachher einer der bedeutendsten Forscher der Wissenschaft geworden ist. Das Häuschen steht auf der westlichen Seite der Nördlichen Wilhelmstraße", welche Gegend früher " Am Wendengraben" hieß, weil zwischen den beiden Häuserreihen ein Kanal, Wendengraben genannt, nach der Ocker führte. Dieser Kanal wurde später zugeworfen, und es entstand die soeben bezeichnete Straße daraus. Wenn daher in anderen, früher erschienenen Lebensbeschreibungen dieses Gelehrten gesagt wird, daß er Am Wendengraben" geboren sei, so ist das allerdings eine Thatsache, welche jedoch für unsere Zeit der hier gemachten Be richtigung bedarf. Die Eltern des Gauß waren wenig bemittelte Leute. Der Vater, Gerhard Diederich Gauß, führte den Titel eines Wasserkunstmeisters. Aus welchem Grunde der Mann diesen Titel führte, ist uns nicht bekannt, da er zu jener Zeit mehrerlei Geschäfte betrieb, von denen jedoch keines genannt wird, welches die soeben angeführte Bezeichnung rechtfertigte. Aus allem geht hervor, daß der alte Gauß ein sehr rühriger Mann gewesen sein muß. Er arbeitete sich aus der Dürftigkeit heraus, gab einen Theil seiner mancherlei Geschäfte auf, trieb noch etwas Gärtnerei und leistete einem Kaufmann auf der Messe zu Braun schweig und Leipzig Hilfe. Später scheint er auch diesen Erwerb eingestellt zu haben, denn er übernahm das Amt eines Rechnungsführers und Schaßmeisters einer bedeutenden Sterbekasse, da er für die damalige Zeit gut zu schreiben und zu rechnen verstand. Dieses Amt bekleidete er bis zu seinem 1808 erfolgten Tode. Er soll zwar ein sehr rechtschaffener und allgemein geachteter Mann, in seinem Hause aber rauh und herrisch gewesen sein, so daß sich das findliche Herz des einzigen Sohnes nie besonders zum Vater hingezogen fühlte. Hingegen hatte der junge Gauß einen Dheim von mütterlicher Seite, Benze mit Namen, der als Bauern bursche die einfache Weberei erlernt und es ohne weitere Anleitung zur kunstgerechten Damastweberei gebracht hatte. Dieser Benze war ein scharfer Kopf, er unterhielt sich viel mit dem heranwachsenden Knaben. Gauß bedauerte sehr den für ihn zu frühe erfolgten Tod dieses Oheims und behauptete später, es sei in ihm ein geborenes Genie verloren gegangen.
Schon frühe zeigte der junge Gauß ein ungewöhnliches Rechen talent. Es wird berichtet, daß der dreijährige Knabe, als der Vater eines Tages mit seinen Leuten eine Abrechnung hielt, in einer Ecke der Wohnstube zuhörte und ausrief:„ Vater, die Rechnung ist falsch, es macht soviel!" und er hatte recht. Später erklärte er oft selbst, er habe eher rechnen als sprechen gelernt. Das Lesen lernte er von selbst, indem er sich von den Bewohnern des Hauses die Buchstaben nennen und erklären ließ und sie alsdann zusammensette. Nach vollendetem siebenten Lebensjahre
besuchte er die Volksschule von St. Katharinen, welche damals unter der Fürsorge und Leitung des Schulmeister Büttner stand, der seinen Haselstock mit Würde zu tragen und mit Nachdruck anzuwenden verstanden haben soll.
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Als zwei Jahre verstrichen waren, trat Gauß in die sogenannte„ Rechenklasse" ein. Hier war es Sitte, daß die Schüler ihre Tafeln, wenn sie die Rechenaufgabe gelöst hatten, auf einen Tisch legten und zwar der Reihe nach wie sie damit fertig wurden. Waren alle Tafeln abgegeben und aufeinandergelegt, so wurde der ganze Stoß umgewendet, so daß die zuerst aufgelegte Rechentafel mit der Lösung zu oberst lag. Als Gauß, gleich nach seinem Eintritt in diese Klasse mit den Genossen die erste Rechenaufgabe erhalten, hatte er sie schon in wenigen Minuten gelöst, warf seine Tafel auf den Tisch, indem er in braunschweigischer Mundart sagte:„ Ligget se!" Die anderen Schüler rechneten weiter, der Schulmeister Büttner aber, sich als Träger der erhabenen Rechenkunst fühlend, ging mit seinem Bakel wundervoll Als jedoch sämmtliche lächelnd in der Schulstube auf und ab. Rechentafeln nachgesehen wurden, da ergab sich, daß Gauß allein die Aufgabe richtig gelöst hatte. die Aufgabe richtig gelöst hatte. Dies Ereigniß verschaffte dem Knaben einen gewaltigen Respekt bei seinem Schulmeister. Büttner ließ nun für diesen Schüler ein besonderes Rechenbuch aus Hamburg kommen, erklärte aber bald, daß Gauß bei ihm nichts Aus dieser Zeit ist eines jungen Mannes mehr lernen könne. Names Bartels zu erwähnen, welcher bei Büttner die Stelle eines Hilfslehrers vertrat und auf Gauß einen bedeutenden Einfluß ausübte. Er war nämlich ebenfalls ein großer Freund der Rechenkunst, war schon in die höhere Mathematik eingedrungen und gab dem talentvollen Schüler besondere Anleitung, in dieser Wissenschaft weiter zu kommen. Daß sich zwischen beiden jungen Leuten sehr bald ein inniges Verhältniß bildete, ist ganz natürlich. Bartels war es, der zuerst einflußreiche Personen auf das junge Genie aufmerksam machte. Er selbst studirte nachher, kam nach der Schweiz und dann als Professor der Mathematik an die russische Universität Dorpat, wo er im Jahre 1836 starb. Gauß hat ihm bis an sein Lebensende in Treue ein dankbares Andenken bewahrt.
Zwei Jahre brachte Gauß in dieser Rechenklasse bei Büttner zu. Durch die Unterstüßung einiger ihm wohlwollender Gönner wurde es ihm ermöglicht, Privatunterricht in den altklassischen Sprachen zu nehmen, für welche er ebenfalls ein besonderes Talent zeigte. Jeder, der ihn kannte, hielt es für selbstverständlich, daß der begabte Knabe weitere Ausbildung erhalten, daß er studiren müsse. Nur der Vater wollte nichts davon wissen. Allein die Freunde des Sohnes brachten es dahin, daß er ohne eigentliche Einwilligung desselben im Jahre 1788 das Gymnasium besuchen konnte, wo er gleich in die zweite Klasse aufgenommen, und da er sich in den alten Sprachen als vorzüglich erwies, schon nach zwei Jahren in die Prima( oberste klasse) versezt wurde. Da hielt man es für Pflicht, Karl Wilhelm Ferdinand , den damaligen Herzog von Braunschweig , auf den talentvollen, ja bereits über seine Altersgenossen bedeutend hervorragenden Jüngling aufmerksam zu machen. Er ließ sich ihn im Jahre 1791. vorstellen und wußte, während neugierige Höflinge den angehenden Jünger der Wissenschaft mit Ausfragen quälten, durch liebevolles Entgegenkommen schnell sein volles Zutrauen zu gewinnen. Zugleich setzte der Herzog für die Weiterbildung des hoffnungsvollen jungen Menschen soviel aus, daß derselbe im Jahre 1792 das Kollegium Karolinum in Braunschweig besuchen konnte, wo er neben den alten Sprachen auch die neuen erlernte. Zugleich fand auch seine Vorliebe für Mathematik reichliche Nahrung und zwar nach den Methoden der großen Mathematiker Euler , Lagrange und Newton. Am 11. Oftober 1795 reiste Gauß von Braunschweig nach Göttingen , um die dortige Universität zu besuchen. Noch unentschlossen, ob er sich der Philologie( Sprachkunde) oder der Mathematik widmen solle, hörte er die philologischen Vorlesungen des Professor Heyne mit der größten Aufmerksamkeit und Liebe, während er den mathemathischen Vorlesungen Kästners feinen Geschmack abgewinnen konnte. Dennoch dauerte es nicht lange und Gauß war entschlossen, sich ganz dem Studium der Mathematif widmen.
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Der junge, strebsame Mann hatte während seiner Studienzeit nur einen sehr beschränkten Umgang. Von den drei Genossen, mit denen er in einem engen Freundschaftsverhältnisse stand, ist besonders Wolfgang Bolyai aus Siebenbürgen zu erwähnen. Dieser war ein Mann von hervorragendem Geiste, von welchem Gauß in früheren Jahren gesagt haben soll, daß er der einzige