Felsenwinkel lugte ein Theil des unheimlich schwermüthigen Gottschasees hervor glanzlos wie das brechende Auge eines Sterbenden.
Nach Süden derselbe nnermeßliche Halbkreis von Zacken und Domen, die sich chaotisch übergipfeln, und als Abschluß, wie eine Fata morgana in der Luft schwebend, die persische Hochebene, jene Reibungsfläche, auf welcher siebzig Menschenalter hindurch die ungeheure Friktion zwischen Orient und Occident stattfand, und die nach der neuesten Umgestaltung der armenischen Grenzen die letzte Scheidefläche zwischen den Russen und Engländern ist. Zwei Bergriesen flantiren diese Hochebene, der unheimlich kahle und öde Alagoy und der majestätische Ararat mit seinem Doppelgipfel und dem ewig weißen Scheitel.
Horschelt öffnete verschiedene male seine Skizzenmappe, machte sie aber immer wieder mit der Ueberzeugung zu, daß sein Stift, ebensowenig wie meine Feder, diese Herrlichkeiten wiedergeben könne.
Zum Glück für unseren Magen war der gute Achmed kein Naturenthusiast wie wir, denn blind für die Wunder der licht umflossenen Gebirgsherrlichkeit fachte er in einem dunklen Felsenspalt ein lustiges Feuer an, worauf ein saftiger Billaw( Reis mit Hammelfleisch) brodelte. Als wir uns nach der höchsten" Mahlzeit, 6000 Fuß über der Meeresfläche, bei Mokka und Czibut dem süßen Kef überlassen wollten, drängte der Grausame zum Abstieg. Das Prickeln seiner Narben sowie die Unruhe der Pferde bedeute Gewitter, meinte er und rief mit einem schrillen Pfiff die folgsamen Einhufer herbei, die er ohne unseren Befehl abzuwarten, zu satteln begann.
335
Die Szene hatte sich wie mit einem Zauberschlag verändert. Aus den Thälern stiegen helle Dunstschwaden empor, die sich zusehends auf den Köpfen der Herren Bergriesen zu Nebelkappen verdichteten, und doch regte sich keine Welle in dem schwülen Luftmeer. Unwillkürlich sah ich nach der Uhr und dann nach der Sonne. Es war drei Uhr Nachmittags und die Sonne stand am wolkenlosen Himmel, doch schien ihre Leuchtkraft verringert. Die geisterhaften Dunstgebilde, die auf den Felsenhängen auf- und niederschwebten, rannen schon zum gestaltlosen Chaos zusammen und wie Inseln ragten die Firne aus dem fahlen Nebelmeer. Die Pferde drängten durch ungeduldiges Scharren zum Aufbruch. Auf den kahlen und lockeren Geröllschichten, wo sie eine erstaun liche Behutsamkeit bekundeten, führten wir sie am Zügel. Als wir die Region des Nadelholzes erreichten, peitschte schon die tausendarmige Windsbraut des Waldes Geäst. Kaum spürten die schnaubenden Thiere festen Boden unter den Hufen, als sie hell aufwieherten. Mit einem Saz saßen wir im Sattel, warfen den Pferden die Zügel auf den Hals und überließen uns ihrem Instinkt, der jedenfalls findiger ist, als die blöden Sinne der Kulturmenschen. Die wilde Jagd begann, es war ein Ritt um's
Leben, denn wir mußten vor dem Ausbruch des Sturmes, der hier meterdicke Stämme wie Zahnstocher zerbricht, die Wolkenregion durchkreuzen. Wo es die Lichtung erlaubte, im sausenden Galopp über gestürzte Baumstämme und ihren jungen Nachwuchs springend und kletternd zugleich durch das Chaos von Wurzeln und Astneßen drangen die unermüdlichen Thiere, bis sie mit blutenden Flanken und Nüstern, schaumbedeckt die zitternden Glieder, auf der Haide stille hielten.
Jetzt brach die Wetterschlacht los. Der Himmel öffnete die Schleußen und zog alle Register seiner Riesenorgel zum Donnersang auf. Obzwar ein Hagelschauer niedersauste, der Mensch und Thier halbblind machte, feuerte Achmed nach kurzer Rast die erschöpften Pferde durch allerlei Schmeichelworte zum Aufbruch an. Todmüde, zerfetzt und bis auf die Haut durchnäßt erreichten wir ein armenisches Wirthshaus am Ufer des Gottschasees. Unser erstes unter Dach und Fach war die Verpflegung unserer Lebensretter. Abgezäumt wälzten sie sich auf der Erde wie junge Hunde, um nach kurzer Ruhe mit wahrer Gier zu fressen und zu schlafen.
Die Glücklichen! Uns war trotz siebenstündigen Rittes das zweite Gastmahl, wie es Shakespeare nennt, das Labsal des stärkenden Schlummers, nicht vergönnt. Die schmuzigen Räume des Chans fanden wir von persischen Kaufleuten überfüllt, deren einzige Nahrung, nach ihrem Dunstkreis zu schließen, aus Knoblauch und Zwiebel zu bestehen schien. Hier überzeugte ich mich, wie Unrecht Herr Zacherl, der Erfinder des Insektenpulvers, hatte, sein Prophylaktikum persisches" Insektenpulver zu nennen. Die Natur scheint Nassr Eddins beneidenswerthen Unterthanen eine so dicke Haut verliehen zu haben, daß daran die schärfsten Flohzähne zu Schanden werden, denn sie schnarchten wie Sägemühlen, während Horschelt und ich einen aussichtslosen Vernichtungskampf mit diesen achtfüßigen Hyänen begannen, dem erst der Morgen ein Ende machte. Der Knippeldamm im Araxesthal von Erivan nach Kars war, verglichen mit unserer Bergtour, ein parquettirter Fußboden. Papanicola's Operntruppe traf mit uns fast zu gleicher Zeit ein. Mein Vagabundenaussehen erregte ein schadenfrohes Lächeln der Kollegen, nur sie, die gefeierte Diva, lachte nicht. Aber ihr Lachen und Weinen war mir jetzt gleichgültig. Obzwar der Rubel dem Kosaken vorausreitet, wie ein russisches Sprüchwort besagt, schien er damals noch nicht in Kars eingetroffen zu sein. Meyerbeers und Verdis Sirenentöne vermochten die türkischen Offiziere nicht in unsere Konzerte zu lockenweil ihnen der Padischah siebzehn Monate den Sold schuldig war. Papanicola dirigirte deshalb schleunigst den Thespiskarren nach Trebisond, wo er nach Konstantinopel eingeschifft wurde.
Die Argonautenfahrt nach dem Hellespont und die Erlebnisse am goldenen Horn" schildere ich ein anderes mal.
Jhr seid die Herrn der Schlösser und Paläste, Zuhaus bei Gold und Edelstein:
Ich bin ein Fremdling, bin ein Gast der Gäste, Nicht einen Grashalm nenn' ich mein.
Doch mir gehört die hohe Himmelsbeste, Der Frühling und der Sonnenschein: Behaltet eure Schlösser und Paläste! Ich singe und die Welt ist mein."
Es hätte seine Eigenart niemand besser zeichnen können, als es in diesen schlichten Versen der sangesfrohe Recke selber gethan. Ein echter Germane mit gewaltigem Brustkasten und mächtigen Schultern, auf denen ein harter Kopf mit im Grunde sanften Gesichtszügen und beinahe kinderfröhlichem Blick saß, ein merkwürdiges Gemisch von Bauer und Professor, so gelehrt wie die besten unter den Lehrern auf deutschen Hochschulen und so knorrig, derb und lebensfrisch, wie man sonst nur zu sein pflegt, wenn man in stetem und ausschließlichem Verkehr mit der Natur steht, so wandelte August Heinrich Hoffmann durch sein langes und bewegtes Leben. Am 2. April 1798 zu Fallersleben im Lüneburgischen, wo sein Vater Kaufmann und Bürgermeister war, geboren, ging er, nachdem er die Schulen zu Helmstädt und Braunschweig absolvirt, nach Göttingen , um dort Theologie zu studiren. Der Umgang mit den Brüdern Grimm wirkte gefährlich auf den jungen Theo logen er neigte sich immer mehr der Philologie zu und sattelte schließlich gänzlich um. Schon 1823 war er Custos der Universitätsbibliothek in Breslau , 1830 außerordentlicher, 1835 ordentlicher Professor. Mit außerordentlichem Fleiße sandte schon der junge außerordent liche Professor gelehrte Bücher in die Welt, als da sind von 1830 an die ,, Horae belgicae", dann die berühmt gewordenen ,, Fundgruben
für Geschichte deutscher Sprache und Literatur", dann die klassische ,, Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luther " und sehr vieles andere mehr. Aber der gelehrte Hoffmann konnte auch singen und sang selbstgedichtete Lieder mit selbstersonnenen Melodieen, und das schien der damaligen preußischen Regierung so unanständig für einen Professor, daß es nur eines Anstoßes bedurfte, um dies räudige Schaf aus der saubergeschorenen Professorenheerde auszustoßen. Die gewünschte Veranlassung gaben die, jetzt betrachtet, äußerst harmlosen ,, Unpolitischen Lieder", die im Volke den glänzendsten Erfolg hatten. Das Ministerium Altenstein aber entsetzte den fidelen Professor seines Amtes. Nun ein unruhiges Wanderleben von der Nordsee bis zu den Alpen , vielfach von der Polizei gemaßregelt, aber stets dichtend, forschend, sammelnd, herausgebend, bis ihm das Jahr 1848 die Erlaubniß brachte, nach Preußen zurückzukehren. Hoffmann nahm einen festen Wohnsiz am Rhein , verheirathete sich und lebte gänzlich der Kunst und seinen Studien. In ununterbrochener Reihenfolge erschienen jezt Liebeslieder, Heimatklänge, Rheinleben u. s. w. Etwa Mitte der fünfziger Jahre siedelte Hoffmann nach Weimar über, wo er mit Oskar Schade die nur kurze Zeit lebende kultur- und literaturgeschichtliche Monatsschrift, das Weimar 'sche Jahrbuch", herausgab. Nun folgten wieder poetische Werkchen wie ,, Fränzchens Lieder, Lieder aus Weimar ", Theophilus", und auch mit dem schwereren Geschüß der Gelehrsamkeit rüdte Hoffmann mit einer Geschichte der lateinisch- deutschen Mischpoesie, wieder vor schon des bisher noch nie behandelten Stoffes wegen sehr wichtig, und 1858 begann er ein Sammelwerk als Beitrag zur Geschichte deutscher Sprache und Dichtung"," Findlinge" von ihm benannt. Neben vielen Fachschriften ließ Hoffmann seine poetischen Blätter fliegen, und das Volf nahm sie eben so freudig und unverdrossen auf, und singt und sagt Hoffmann's Kinderlieder, Schullieder, Soldatenlieder, Liebeslieder,
-