Mensch wollte mich sogar in die Backe kneipen, aber ich habe ihn tüchtig auf die Finger geschlagen und ihm gesagt, er sollte sich schämen; der Herr Kommerzienrath und der Bürgermeister lachten herzlich darüber. Ich lachte aber, als ich draußen war, am meisten, denn nun konnte ich Ihnen doch Nachricht geben. Das ist alles, und nun machen Sie ein solches Aufheben davon!" Wolfgang konnte ein Lächeln nicht unterdrücken; er fragte: Also, wenn ich einen Bauch hätte, wie der Herr Bürgermeister, und so häßliche, graugrüne Augen, wie der alte Weinlich, und die beiden sähen ungefähr so wie ich aus, würden Sie nicht auf Ihren klugen Einfall gekommen sein?"

Aber wie können Sie so etwas sagen? Das ist recht schlecht von Ihnen. Wären Sie denn nicht trotzdem immer noch Herr Hammer geblieben und hätte ich Ihnen nicht helfen müssen, wie ich nur konnte?" Wolfgang nickte begütigend und freundlich, dann aber nahm seine Stimme einen ernsten Klang an und er setzte ihr die Lage, in der er sich befunden und den weiteren Verlauf des seltsamen Konflikts genau auseinander. Die Augen der Kleinen hingen an seinen Lippen, Röthe und Blässe wechselten auf ihren Wangen, und als er geendet, gewahrte er am Saum ihrer Wimper ein paar blizende Thränen, die sie aber rasch mit dem Handrücken wegwischte.

" Das war ja ganz schrecklich," sagte sie endlich, und nun bin ich freilich recht froh, daß ich den guten Gedanken hatte. Davon hätte ich mir doch nichts träumen lassen."

Das glaube ich wohl, aber Sie müssen mir nun auch be­weisen, daß Sie schweigen können. Erzählen Sie niemanden etwas von dem, was ich Ihnen anvertraut habe. Ihnen war ich die Aufklärung schuldig, aber ich möchte nicht, daß sonst jemand davon erführe auch Ihre Damen nicht." Und nach einigem Zögern fügte er hinzu: Wenn sie nicht gradezu und ausdrücklich danach fragen.

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Die Kleine sah ihn offen und voll an, als wolle sie ein Ge­lübde ablegen.

Verlassen Sie sich auf mich; ich müßte doch die ärgste Plauder­tasche sein, getraute ich mir nicht, Ihnen zu versprechen, daß kein Wort über meine Lippen kommen soll."

Brav, meine kleine Tapfre, und nun nehmen Sie meinen herzlichen Dank an, nicht wahr?" Er hielt ihr die Hand hin; sie drückte dieselbe herzlich und dann beugte sie sich blitzschnell nieder, preßte ihren Mund für einen Moment auf seine Rechte und war im nächsten Moment mit einem halb erstickten: Jch hätte auch mein Leben für Sie hingegeben!" in der Duukelheit verschwunden, als hätte die Erde sie verschlungen.

Wolfgang ging ziemlich nachdenklich heim; das Benehmen der Kleinen erschien ihm etwas befremdlich, und er hatte Mühe, sich dasselbe mit einem fast hervorgestoßenen:" Jugendliche Exaltation!" nothdürftig zu erklären.

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Es waren wohlthuend stille Wochen, die für Wolfgang auf all' den Sturm und Drang jenes Tages folgten, und er erprobte an sich auf's neue die wunderbare Heilkraft der Natur. Zwischen den Bohnenstangen, an denen die Ranken Tag für Tag höher fletterten, und zwischen den Birken am Waldsaum, die ihre zarte Belaubung lose im Winde fluthen ließen, schlief der Widerstreit zwischen seiner schmerzlichen Sehnsucht und den Vorstellungen seines Verstandes und seines Stolzes oft auf Tage ein und die wenn auch nur halb überwundene Leidenschaft fing an, sich in seiner Seele zur Poesie zu verklären. Er kam selten von seinen Abendspaziergängen heim, ohne ein paar Strophen hatte sie ihm das Laub zugeflüstert, hatten die Zweige sie auf ihn nieder fallen lassen? aufzuschreiben, und es machte ihm ein weh­müthiges Vergnügen, diese neuerwachte Produktivität mit jenem eifersüchtigen Wachen über die Reinheit der Sprache und über die Einfachheit und Natürlichkeit des Ausdrucks auszunuzen, die für seine Poesie charakteristisch waren und ihm als der einzige Vorzug derselben erschienen. Vor einem haltlosen Versinken in diese lyrischen Stimmungen behütete ihn die Thätigkeit im Bildungs­verein, die eine um so angestrengtere war, als der lange Alfred so ziemlich sein einziger Kampfgenosse war.

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Martha Hoyer war weit davon entfernt, in diesen Wochen ebenfalls zu einer vergleichsweisen innern Ruhe zu gelangen, die selben waren vielmehr für sie in vieler Hinsicht an Aufregungen reich. Die häusliche Thätigkeit der Frauen und Mädchen läßt ihnen ja vollauf die Freiheit, ihren bittersüßen Gedanken nach

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zuhängen und dieselben erhalten von feiner Seite ein ausreichendes Gegengewicht an Gedanken, Empfindungen und Sorgen. Immer und immer wieder mußte sie an den Abend denken, der so be­glückend begann und so traurig endete, an die Wandlung, die sich urplößlich mit Wolfgang vollzog und die ihr als ein fast unheimliches Räthsel erschien. Hatte sie diese Wandlung ver­schuldet? Und womit dann?" Diese beiden Fragen beschäftigten sie unaufhörlich und doch konnte sie zu keiner endgiltigen Beant­wortung derselben gelangen und alles Sinnen und Grübeln blieb fruchtlos. Sie rekapitulirte im Geiste alle Phasen des Gesprächs, sie prüfte streng jede Antwort, die sie gegeben, jede Bemerkung, die sie gemacht, aber sie war unfähig, ein Wort zu finden, das sie für den grellen Umschwung hätte verantwortlich machen können. Sie wollte sich zuweilen einreden, daß Wolfgang wirklich nur müde und abgespannt gewesen sei, aber mit schmerzlich zuckender Lippe verwarf sie nur zu bald diese trügerische Illusion, die höchstens dann eine Aussicht hatte, Einfluß auf sie zu gewinnen, wenn ihr Wolfgang bei der nächsten Begegnung mit der vollen, fast vertraulichen Herzlichkeit von einst entgegenkam. Jedoch ge­wann es fast den Anschein, als sei auf eine solche Begegnung garnicht mehr zu hoffen. Wie oft sie auch, zaghaft und erröthend und doch mit fast trozigem Entschluß, in abendlicher Stille durch die kleine Pforte im Wildzaun aus dem Park in den Wald trat, um endlich langsam den Hohlweg entlang zu wandern, in dem sic Wolfgang kennen gelernt, nie begegnete sie ihm, und es blieb ihr bald kein Zweifel darüber, daß er ihr mit Geslissentlich­feit ausweiche. Hätte er nur das leiseste Bedürfniß empfunden, ihr eine Aufklärung über jenen verhängnißvollen Abend zu geben, so lag es doch für ihn so nahe, sie da zu suchen, wo sie ihm das erstemal begegnet war, und daß er dieses Bedürfniß nicht empfand, zwang es sie nicht zu der Annahme, daß er innerlich mit ihr gebrochen habe? Es war ihr zuweilen, als müsse sie, wenn dem so war, fort, weit fort, und dann wieder sagte sie sich, daß sie sich in der Fremde doppelt einsam und verlassen fühlen und daß ein bittres Heimweh sie nach den Stätten zurückzwingen würde, an denen ihr ein Schimmer von Glück gelächelt. Sie sollte bald in unerwarteter Weise auf die Probe gestellt werden. Leontine beschloß, die Familie ihres Schwagers, die nach Pyrmont   zur Kur ging, zu begleiten, nicht, weil sie ebenfalls eine Kur durch­zumachen beabsichtigte, sondern weil sie auf Umwegen erfahren hatte, daß sie in Pyrmont   denjenigen von ihren einstigen Be­werbern treffen würde, der sie am meisten interessirt, den sie aber aus Rücksicht auf seine Jugend und seine Armuth abgewiesen hatte. Aus dem bizarren jungen Manne mit dem halb sanften, halb düstern Wesen war im Laufe der Jahre ein Novellist von Ruf geworden; er war seit Jahren verheirathet, wie man sagte, mit einer äußerst liebenswürdigen jungen Frau; sie wollte ihn in unverfänglicher Weise einmal wiedersehen und erproben, ob ihr Blid noch Macht über ihn habe oder ob er denselben unbewegt aushalte. Es fiel ihr nicht ein, ihn wieder an sich locken zu wollen, sie wollte sich nur die pitante Situation und die kleine Emotion einer unerwarteten Begegnung mit ihm verschaffen und ihn vielleicht einmal eine Stunde lang plaudernd sondiren; es würde ihr geschmeichelt haben, wenn er einen neuen Beleg für die Richtigkeit des alten on revient toujours à ses premiers amours"*) geliefert hätte, wenn ihm auch in der Flucht der Jahre und an der Seite einer aus ächter Neigung heimgeführten jungen Gattin die Empfänglichkeit für den eigenthümlichen Reiz und Zauber grade ihres Wesens nicht abhanden gekommen wäre.

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Seit Fräulein Emmy wußte, daß Leontine mit nach Pyrmont  ging, verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand von Tag zu Tag und der Hausarzt ward plötzlich ein vielbegehrter und unermüdlich konsultirter Mann. Der Kommerzienrath, der sich sehr schwer entschlossen haben würde, seinen Liebling von sich zu lassen, wurde durch die Sorge mürbe gemacht, und als der Arzt, der die eigent­liche Ursache der fortwährenden Klagen des Töchterchens natürlich durchschaute, aber keinen Beruf fühlte, den Herrn Papa aufzu­klären und es dadurch für immer mit der reiselustigen Kleinen zu verderben, ihm mit ernsthaftem Gesicht vorstellte, daß die rasche Wiederherstellung der sich etwas zu rasch entwickelnden jungen Dame nur von einem längeren Badeaufenthalt zu erwarten sei, verzichtete er nicht nur auf jeden Widerspruch, sondern betrieb sogar die Abreise mit einer gewissen Ungeduld und war sehr zufrieden damit, daß sein Töchterchen sich Frau von Larisch und den Verwandten dieser von ihm hochverehrten Dame anschließen

*) Man kommt immer auf seine erste Liebe zurück.