,, Liberalen  " irgendwie die soziale Frage mit der Weltausstellung in Berührung gebracht haben. Es ist als ob die Arbeiter, welche alles das, was später auf dem Marsfelde bewundert werden wird, verfertigen, in ihren politisch- sozialen Forderungen ignorirt würden. Ueberall spricht man nur von dem Glanz, der Arbeit, der Kunstfertigkeit, dem Unternehmungsgeist derjenigen, die mit großem Kapital ausgerüstet erstaunliche Dinge leisten werden. So scheint es fast, als ob die Welt­ausstellung, vornehmlich für die Franzosen  , nur den Beleg liefern soll, wie kolossal die Macht der Kapitalisten in der Republik   ist und wie sie dieselbe verwenden, um den letzten Schweißtropfen der Arbeiter zu ihren Gunsten auszupressen, wenigstens soweit die Industrie in Betracht kommt. Aus dem Gesagten erhellt, daß es sich bei dieser Ausstellung nicht darum handeln kann, Lorbeeren für ein ,, freies Volk" zu sammeln; das Volk ist in Frankreich   ebensowenig frei wie einst unter Napoleon III.  , damals und jetzt herrscht und knechtet ,, König Mammon".

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Kommen wir jetzt noch einmal auf das Eingangs erwähnte ,, patrio­tische" Motiv zurück, welches in allen liberalen Kreisen und Zeitungen mit Begeisterung beschwatzt wird. Also Frankreich   will der Welt zeigen, daß die kolossale Zerrüttung der sozialen Verhältnisse, welche die Invasion der Deutschen   und der Communardenaufstand zeitweise her­vorgerufen, vollständig gehoben sei, daß fünf Milliarden Francs spur­los im Haushaltungsschazze verschwinden können, ohne dadurch Volk und Land ärmer zu machen, daß endlich die alte bewährte soziale Ordnung( wie sie auch schon unter Napoleon existirte) wiederum feſter als je zusammengefügt sei und Früchte ernte, die au Macht, Solidität und Eleganz alles bis dahin Dagewesene übertreffen.

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Angenommen, daß dieser Beweis wirklich geliefert wird, so lohnt es sich wohl der Untersuchung, welch' große und eigenthümliche An­strengungen in Frankreich   innerhalb der letzten sieben Jahre gemacht um jenes glänzende und überraschende Resultat während der pariser Weltausstellung zu erzielen.

Nicht mit Unrecht steht Frankreich   in dem Ruf, ein großes und reiches Land zu sein, es ist aber ein allgemein verbreiteter Irrthum im Auslande, daß die Wohlhabenheit ziemlich gleichmäßig vertheilt sei. Im allgemeinen kann man getrost behaupten, daß die Unterschiede und Gegensäße zwischen Reich und Arm weit größer und krasser sind als in Deutschland  . Adel und der bürgerliche Mittelstand sind reicher als in Deutschland  , deshalb finden Jitdustrie- und Luxusproducte hier größeren Absatz, dazu kommen in Paris  , sozusagen dem Centralmarkte Frankreichs  , die Fremden, welche aus aller Herren Länder herbeigereist, ihre goldgefüllte Börsen aufthun, um zu unverhältnißmäßig theurem Preise die Erzeugnisse der pariser Kunstindustrie zu kaufen. Das Geld fließt meist in die Kassen der Großindustriellen. Die kleineren Handwerker, die Arbeiter, die Männer der Intelligenz, welche den Plan des Ganzen entworfen, also z. B. Ingenieure, die Meister in den Fabriken, die Organisatoren 2c. partizipiren an dem Gewinn nur mit verschwindend kleinen Prozenten, wenigstens hier in Paris  , in Lyon  , Marseille  , Bordeaux   und andern größern Städten. Die großen Ver­dienste sind hier vielleicht mehr noch als in Deutschland   in den Händen einiger Großkapitalisten, die natürlich mit Muße und Behaglichkeit das schöne pariser Leben" genießen können. Sie, in Gemeinschaft mit Sie, in Gemeinschaft mit unzähligen reichen Ausländern, die hier ihr Geld durchbringen, sind es, welche Paris   in den diuf der Schwelgerei, der Ueppigkeit und des unermeßlichen Reichthums gebracht haben. Was den französischen, speziell pariser Mittelstand betrifft, so ist er wohl wohlhabender als der deutsche im allgemeinen, aber das hat nicht darin seinen Grund, wie man häufig meint, daß hier das Geld auf der Straße liegt, son­dern in der rastlosen Energie und Nüchternheit, in dem ascetischen Indifferentismus des Franzosen gegen die kleinen Freuden und Bequem­lichkeiten des Lebens, denen sich der weniger sparsame, lebensfrohere Deutsche williger und häufiger hingiebt. Der französische   Bourgeois spart im Großen und im Kleinen soviel er kann, und nur dadurch ist es ihm möglich ein kleines, vielleicht geerbtes oder sonst ihm zugäng liches Rapital soweit zu vergrößern, daß er das legte Sechstel seines Lebens von seinen Renten billig und schlicht leben kann. Sein Streben ist von jeher Geld, Geld und wieder Beld gewesen und so sehr berechtigt dieses Streben sein mag in andern Fällen, bei dem in der Wolle ge­färbten pariser Geschäftsmann und zukünftigen Rentier artet dies Streben in Habsucht aus, die jedes Interesse für große soziale Fragen, solange sie ihm nicht Hoffnung geben, seine persönlichen Verhältnisse durch prat tische Discutirung derselben zu verbessern, ausschließen. So haben wir gesehen, daß bis jetzt das Ende einer jeglichen Revolution, bei welcher sich der Bürgerstand wohl oder übel, dem Drange der untern Hände nachgebend, betheiligen mußte, seinen Ausgangspunkt in der Wieder­herstellung der hergebrachten Geld- und Klassenwirthschaft fand. Das lebhafte Naturell der Franzosen veranlaßt sie in den Zeiten despotischen Druckes sich Hoffnungen auf bessern Erwerb zu machen, welche, wenn nicht sogleich erfüllt, alsbald den lockenden Vorspiegelungen zum Opfer fallen, mit denen die adlichen und geldaristokratischen Vertreter des Volkes nicht zu sparen pflegen. Den pariser Bourgeois und dessen provinzielle Vertreter kann man mehr noch als den Deutschen  , der einen Rest von Scham zu besitzen pflegt, einen rücksichtslosen, allen höheren Gesellschafts­ideen abgeneigten Egoisten nennen.

Nun denke man sich das Loos derjenigen, die ohne Besißthum und nur init mühsam erworbenen, oft sehr bedeutenden Kenntnissen und Fertigkeiten ausgerüstet sind, in dieser Gesellschaft von rücksichtslosen

Geldaristokraten und Bourgeois! Ach das Bild, welches sich uns dar­stellt ist ein schaudererregendes, doppelt deshalb, weil die Gegensäße nach jeder Richtung hin so außerordentlich grelle sind. Sprechen wir von Paris  , weil Paris   Frankreich   ist.

Wenn wir den günstigsten statistischen Resultaten Glauben schenken wollen, so arbeiten immer noch 80% Besizlose für 20% Besigende und zwar ohne Aussicht auf endgültigen Erwerb, ohne Hoffnung auf eine Versorgung im Alter, da Honorar und Lohnfäße so uiedrig sind, daß von Sparen gar keine Rede sein kann, dagegen die lebenslängliche Entsagung jeglicher Behaglichkeit und oft nothwendiger Lebensbedürf nisse geboten ist. Auf der einen Seite Geld und Arbeit, aber mit der Hoffnung auf persönlichen Erwerb, auf der andern Seite Armuth und stete Arbeit für andere. Kopf- und Handarbeiter, sie haben beide das­selbe Loos.

Und nun die moralischen Gegensäße. Nur mit mein paar Worten will ich sie erwähnen, um nicht von dem eigentlichen Thema der Welt­Den Besitzenden steht hier jeder Luxus ausstellung abzuschweifen. ebendeshalb, weil die Anhäufung des Kapitals bei einzelnen hier auch zur Verfügung, obgleich er theurer als in Deutschland   ist und vielleicht größer ist; die Besizlosen sind nicht einmal in der Lage des Armen, von dem die Bibel erzählt, daß er die Brosamen vom Tische des Reichen esse. Diese ,, Brosamen" werden von dem Mittelstande zusammen gescharrt, um sparsam zu leben, die Besizlosen produziren die Gegen­ſtände des Luxus und des menschenwürdigen behaglichen Lebens und der Rest heißt anstaunen und anstarren, wie herrlich der Mensch auf dieser schönen Welt leben kann, wenn er auch nur für's ganze Leben eine einzige Tageseinnahme des Barons von Rothschild   hätte! Wahrlich, wie grenzenlos hoch muß man die sittliche Kraft derjenigen Menschen schäßen und bewundern, die solchen Gegensägen gegenüber nicht zu Dieben, Räubern, Verbrechern werden, die im Gegentheile in der Nächstenliebe soweit gehen, daß sie mit unendlicher Geduld an eine Kraft des Guten und Edlen glauben, sich in der Disziplin der Menschheit tagtäglich üben, um dermaleinst würdige Bürger eines wahrhaft freien Voltsstaates zu sein. In Elend und Sorgen kaum denkbarer Art lebt hier das Proletariat, nirgendwo, selbst nicht in London   und Berlin  , findet man Garküchen und Nachtlogis so primitiver, so verabscheuungswerther Natur, wie hier. Und doch übernachten und speisen in diesen Cloaken, die schlimmer sind als unsere deutschen   Bettler­herbergen und Arbeitshäuser, tausende und abertausende tagtäglich, die Tagsüber mit Kopf und Hand von früh bis spät arbeiten, Gebildete und Ungebildete und leider auch moralisch Intacte und Verbrecher und Dirnen der gemeinsten Art. Ich will nicht weiter ausmalen, wie ver­heerend die Epidemie der moralischen Vergiftung, meist hervorgerufen durch die Luxussucht und sinnliche Wollust der Wohlhabenden und Reichen, im hiesigen Proletariat wüthet und wie großartig die mora­lische Widerstandskraft jener wenigen ist, auf welchen die Hoffnung eines menschenwürdigeren Zukunftsstaates beruht. Diesen lezteren, die in jeder sozialistischen   Bewegung den Kern bilden, unsere größte Hoch­achtung!

Wie kläglich und heuchlerisch nimmt sich nun angesichts dieser Ver­hältnisse das patriotische" Motiv zur Weltausstellung aus! Die fünf Milliarden, welche die Deutschen   hinweggenommen, der Kriegsschaden, sind im Verhältniß zu dem Reichthum der wohlhabenden Klassen nur unbedeutende Summen und wenn ein jeder der Besitzenden ein Viertel­jahr seine gewohnten Ausgaben um eine Kleinigkeit, deren Ausfall er faum fühlen würde, zu Gunsten des Staates eingeschränkt hätte, wäre das reiche Frankreich   schon nach einem Jahre in der Lage gewesen, sagen und zeigen zu können, daß sein Reichthum unerschöpflich ist.

Statt dessen zahlreiche indirekte Steuern auf unumgängliche Bedürf nisse des Volkes, statt dessen Preissteigerung der Fabrikate und Still stand in der Lohnerhöhung! Dulden und Sorgen des Proletariats auf der einen Seite, auf der andern Seite die sich stets gleichbleibende, vielleicht immer raffinirter werdende Habsucht der Bourgeois und das wollüstige Genußleben der Reichen. Die Besißlosen fast ohne Für sprecher in der öffentlichen Meinung, die Besitzenden gehätschelt und belobhudelt von der conservativen, monarchischen und liberal- republikani­schen Presse, die sich in langathmigen Tiraden ergehet über die Energie, Opferfreudigkeit und den Unternehmungsgeist der Kapitalisten, die es in sieben Jahren so herrlich weit gebracht haben!

Und das Volk muß schweigen, hungern, dulden, sich physisch und­moralisch prostituiren lassen und arbeiten ,,, travailler pour le roi de Prusse" wie das französische   Sprüchwort sagt!

Im nächsten Briese werde ich darauf zurückkommen, welch' hohe Bedeutung trotz des Gesagten die Weltausstellung für das arbeitende Volk hat. Kade.

Non possumus.

Geheimnißvoll und langgesponnen sind die Fäden des ausgleichenden Geschickes. Die Menschenschicksale begegnen sich in dem gemeinsamen Grabe gleicher Demüthigung.

Das Plus und Minus der italienischen Einheit stürzte der Sensen­mann fast zu gleicher Zeit ins dunkle Nichts; den König ,, Ehrenmann" von dem Schild, auf welchen ihn die Weltgeschichte gehoben und den ,, Unfehlbaren" von der transcendentalen Höhe der Unangreifbarkeit, zu welcher ihn die vertrauensselige Dummheit ex cathedra unseres aufgeklärten" Jahrhunderts emporgeschraubt.